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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Dr. O. v. Heinemann schon in einer Urkunde, welche Kaiser Heinrich der dritte am 27. Juni 1043 zu Merseburg ausstellte und in der er das Dorf dem Hochstifte zu Naumburg überwies, Erwähnung gethan ist. Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts kam Volkmanrode aus dem Besitz der Familie Marschalk an die Fürsten Heinrich und Otto von Anhalt. Wann das Dorf mit seiner Kirche wüst geworden ist, darüber sind keine beglaubigten Nachrichten beizubringen. Beckmann, der Anfang des vorigen Jahrhunderts schrieb, sagt: „Allwo vor langer Zeit war Nichts, als ein kalter verfallener Kirchthurm zu sehen gewesen … Auf dieser Dorfstätte nun werden jährlich auf Walpurgis und Michaelis jedesmal ein Land- und Rügegericht gehalten.“ Dies ist auch jetzt noch der Fall; auch jetzt noch wird das Gericht zwei Mal im Jahre, um Walpurgis und Michaelis, „gehegt“ und erstreckt sich auf alle Forst-, Jagd- und Waldfrevel in dem Bezirke. Außerdem werden Grundeigenthums-Streitigkeiten zur Entscheidung gebracht und Steuerbeträge erhoben. Ueber das Alter des Rügegerichts selbst ist nichts zu constatiren. Doch darf man annehmen, daß die Gründung der Institution mit der Erbauung des Dorfes zusammenfällt. Die Aecker der Wüstung sind zum größten Theile an die beiden preußischen Ortschaften Stangerode und Abberode gefallen, weshalb die Besitz[er] dieser Aecker eben diesem Gerichte dingpflichtig sind. Außer dem anhaltinischen Dorfe Tilkerode haben sich noch einzelne Bauern aus den Ortschaften Ritzgerode, Braunrode, Alterode, Ulzigerode, Welbsleben, Greifenhagen und Quenstedt zu stellen. Im Ganzen sind es gegen zweihundert Familien, die dem Gerichte unterworfen, von denen eine jede bei Vermeidung von fünf Silbergroschen Strafe mindestens einen erwachsenen Vertreter, sei er männlichen oder weiblichen Geschlechts, zu den Gerichtstagen zu senden hat. Nur zwei Familien jeder Ortschaft sind von dem Erscheinen entbunden, um für das hier Recht sprechende Personal die pflichtschuldigen Forellen zu fangen, die nach aufgehobenem Gerichte im Schatten des nahen Waldes bei heiterem Mahle verzehrt werden und für die, wenn sie ausbleiben, eine Strafe von zehn Silbergroschen eingezogen wird. Wie strenge in früherer Zeit die Gerichtsbarkeit gehandhabt wurde, geht aus einer naiven Bemerkung des anhaltischen Saal- und Lagerbuches Anno 1737 hervor, wo es heißt: „Wenn Strafen und Gefälle nicht auf gesetzte Zeit einkommen, so werden die Ländereien derer Ungehorsamen gekreutziget oder einige Stück Vieh von der Weyde genommen, wodurch sie mehrentheils zum Gehorsam gebracht werden.“

Die Rügehütte auf der Volkmanroder Wüste.
Nach der Natur aufgenommen von W. Castendyck.

Doch die vorstehenden geschichtlichen Bemerkungen, welche wir unseren Lesern zum Verständniß der nun folgenden Scene schuldig waren, haben uns über Gebühr aufgehalten; eilen wir, in der nächsten Nähe der „wüsten Kirche“ Posto zu fassen, denn schon dröhnen vier Schüsse aus den Büchsen der vier Flurschützen, die als Schutz- und Sicherheits-Beamte walten, durch die Luft, und werden in hundertfachen Echos von den umliegenden Berggehängen wiederholt. Sie sind der Gruß und das Zeichen, daß der Gerichtshof sich nahe. Auf dem Bergplateau haben, herbeigeströmt von fern und nah, die Völker von den drei Feldfluren Abberode, Tilkerode und Stangerode sich in malerischem Kranze um die Gerichtsstätte gelagert. Wenigstens zwei Drittheile gehören dem schönen Geschlecht an, d. h. ich habe, die Wahrheit des bekannten lateinischen Sprüchworts zu erproben, trotz genauer Forschung auch nicht eine einzige auffallende Schönheit entdecken können. Schwere Arbeit raubt dem Körper die schöne Rundung und läßt die noch jugendlichen Gesichter runzlig und verwittert erscheinen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_437.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)