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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Natur und nach bestimmten Gesetzen das Recht zustehe, zu Zwecken der öffentlichen Wohlfahrt über das Eigenthum seiner Bürger zu verfügen, daß er vollkommen dafür entschädigt werde. Der Bergwirth, seiner Sinne kaum mächtig, war für Vorstellungen blind, für Gründe taub, so daß dem Bauführer, wollte er es nicht zur offenen Gewalt kommen lassen, nichts übrig blieb, als das Eigenthum des störrischen Wirths vorläufig zu überspringen und jenseits desselben mit seinen Erhebungen fortzufahren. Er ließ Abends Juli das Vorgefallene mehr errathen, als er es erzählte; sie vernahm ihn auch nur undeutlich und halb, wie durch Schlaf und Traum; Alles in ihr war übertönt von dem einzigen Worte, das den Abschied ankündigte und sich anhörte wie ein schmerzlicher, schmerzerstickter Todesschrei.

Das Scheiden war da, schneller, unerwarteter und flüchtiger, als sie gefürchtet hatte. Falkner erklärte, daß er noch vor Tagesanbruch sich auf den Weg machen müsse; sie durfte also nicht hoffen, ihn vorher noch wiederzusehen, der Vater, ganz gegen seine Gewohnheit, wich nicht aus der Nähe, wenn er auch kein Wort an Juli oder den Gast richtete; es war unmöglich, beim Abschied demjenigen Ausdruck zu geben, was in Beiden während des kurzen Umgangs aufgewacht war, was Beiden gerade im Augenblick der Trennung, wie vom Blitz erhellt, auf einmal zum vollen und klaren Bewußtsein kam und was ihnen überquellend aus dem Herzen nach den Lippen drängte, sie mußten, als es nicht länger zu verzögern war, auseinander gehen wie Fremde oder wie gleichgültige Bekannte, welche die Gewißheit haben, sich bald und freudig wieder zu begegnen, sie mußten es mit lächelnder Miene thun; ein leiser Druck beim letzten Handschlag, ein kurzer verstohlener Blick über die vereinigten Hände hin war Alles, was sie mitnehmen durften in die Trennung und Ungewißheit – und doch war es mehr, als sie je wieder zu vergessen vermochten.

Mindestens bei Juli war das der Fall.

Darum war es ihr öde geworden im heimathlichen Haus und war es heute doppelt, weil in die Gedanken an den Freund sich die nicht weichende Besorgniß wegen des Vaters mischte – mit jeder Stunde steigend, um welche die Wiederkehr desselben sich verzögerte. Wie leicht war es möglich, daß der schwer gereizte Mann seinem Zorn die Zügel schießen ließ und durch eine Handlung der Leidenschaft das Unglück auf sich und die Seinen vollends herabbeschwor! Bei der Versammlung mußte auch Falkner anwesend sein … wie nahe lag es, daß er dem Vater begegnete, daß sie aneinander geriethen, denn sie kannte nicht nur das unbändige Gemüth ihres Vaters, sie hatte oft genug gesehen, wie auch auf Falkner’s Stirn die Ader anschwoll und wie er nur um ihretwillen ein gerechtes Aufwallen seines männlichen Unmuths niedergekämpft hatte …

Immer ängstlicher schlug die Sorge die unheimlichen Flügel ihr um das Haupt, als die Nacht einbrach, ohne daß der Bergwirth oder eine Nachricht von ihm eintraf. Mehrmals lief sie unter die Thür und schaute in das Dunkel und den unablässig niederklatschenden Regen hinaus und athmete hoch auf, als endlich das Rollen eines Wagens an ihr gespanntes Gehör schlug. Wohl erkannte sie bald ihren Irrthum; der Ankömmling war der auf seinen Wanderungen oft einsprechende Viehhändler mit einem Bauern, der ebenfalls bei der Versammlung gewesen war und noch eine Strecke in die Berge hinein zu fahren hatte, während der Händler im Bergwirthshause übernachten wollte. Der Mann mit seinem rohen Wesen und seiner aufdringlichen Vertraulichkeit war ihr von jeher widerlich, dennoch ward er diesmal mit Freundlichkeit aufgenommen; durfte sie doch hoffen, von ihm über das Ausbleiben des Vaters und über den Verlauf der Versammlung Nachricht zu erhalten.

„Ob ich den Bergwirth nicht gesehn habe?“ sagte er auf Juli’s Frage, indem er den Regen vom Hute schwang und sich mit dem Bauer in der Ofenecke niedersetzte. „Freilich haben wir ihn gesehn – nicht wahr, Niederkirchner? Auf den kann die Jungfer immerhin noch eine Weil’ warten, braucht sich aber nit zu ängstigen wegen seiner – der sitzt warm und trocken im grünen Sternen und laßt sich den Ungarischen schmecken, damit er seinen Zorn vergißt …“

Juli fragte nicht weiter; ihr genügte, was sie aus diesen Worten heraushörte; sie wollte weder Unruhe noch Neugier zeigen und rechnete darauf, daß die Redseligkeit der beiden Männer, die unverkennbar dem Glase ebenfalls tüchtig zugesprochen hatten, ihr auch ungefragt mehr mittheilen würde, als ihr zu erfahren lieb war. Diese Vermuthung trog sie auch nicht, denn kaum hatte sie unweit derselben Platz genommen und, den Kopf in die Hände stützend, sich den Anschein gegeben, als ob sie ermüdet und schläfrig sei, als der Viehhändler seinen Gefährten anstieß und mit den Augen nach Juli hinüberwinkte. „Siehst Du, wie sie sich anstellt, als wenn sie schlafen thät?“ sagte er leise. „Das thut sie nur, damit sie sich nicht zu uns hersetzen und mit uns reden muß, wie es Brauch ist bei Gästen, auf die man etwas hält … ich hab’ es schon lang’ gemerkt, seit der Fremde, der Geometer in’s Haus gekommen ist, seitdem ist sie wie umgewandelt – der Discurs mit uns Leuten vom Land ist ihr jetzt viel zu dumm, jetzt steckt ihr die Stadt und die langen Stadtkleider im Kopf, und so gewiß, als der Fremde dem Bergwirth zuwider ist wie Gift und Opperment, so gewiß ist es auch, daß sich die schöne Juli in ihn vergafft hat! Ich lass’ mich hängen, wenn sie nicht jedes Wort hört, das wir reden, und will ihr den Hochmuth eintränken … Also wie ist das gewesen?“ hub er dann mit überlauter Stimme an. „Weil wir jetzt im Trocknen – sitzen, erzähl’ mir nochmal, wie’s bei der Versammlung zugegangen ist … Erzähle nur recht laut,“ setzte er wieder leiser hinzu, „ich will dann schon die richtigen Schlauderwörteln anbringen, wo sie hingehören!“

Der Bauer, wie das Landvolk meist, war gleich bereit, weil es an ein Necken, eine Fopperei ging, und begann in überlauter und weitschweifiger Weise zu erzählen, wie eigens ein Regierungsrath aus der Residenzstadt München gekommen, der die versammelten Bauern als Herren angeredet und ihnen gesagt habe, daß er blos ihretwegen gekommen sei, ein „niederträchtiger“ Herr, der mit Jedem „ganz gemein“ umgegangen wie mit seines Gleichen …

„Aha – nit wie gewisse Leut’,“ schaltete der Metzger ein, „die zu vornehm sind, daß sie Einem Bescheid thun, wenn man ihnen den Krug zubringt!“

Der Commissari, fuhr der Andere fort, habe den Männern auseinandergesetzt, daß sie die Eisenbahn so nothwendig brauchten wie das Brodessen, und daß sie zu ihrem eigenen Nutzen nichts Besseres thun könnten, als so geschwind wie möglich den Grund und Boden abzutreten, den man von ihnen verlange; da hätten die Bauern alle ein Einsehen bekommen und hätten gesagt, wenn man ihnen das früher so ausgedeutscht hätte, so wären sie nie dagegen gewesen aber sie seien eben aufgeredet worden …

„Ja, ja, es giebt schon solche Leutaufhetzer,“ rief der Viehhändler wieder, „solche Hintereinanderbringer, denen es nit wohl ist, wenn ’was zusammen geht! Man kennt sie aber ganz gut – sie sind oft so nahe, daß man sie mit Händen greifen könnt’!“

Der Bauer fand immer mehr Gefallen an dem Spiele, das ihm höchst lustig erschien; es habe aber nichts genützt, fuhr er zu erzählen fort, denn wie der Commissari zuletzt Umfrage gehalten, wer sein Grundstück abtreten wolle, da hätten Alle Ja gesagt, Alle bis auf einen Einzigen, der sei durchaus auf seinem Kopfe stehen geblieben …

„Ein Einziger gegen Alle?“ lachte der Viehhändler. „Ist denn das möglich? Kann’s denn auch einen solchen bockbeinigen Narren geben auf der Welt? Den möcht’ ich auch kennen … Weißt seinen Namen nit, Niederkirchner?“

Der Bauer zögerte mit der Antwort, aber auch ohne das wäre er nicht dazu gekommen, den Namen auszusprechen, denn plötzlich stand Juli, die geräuschlos aufgestanden, hart vor den Beiden und sah dem Händler mit durchdringendem Blick in das verdutzte Gesicht. „Der Vater ist nit zu Haus’,“ sagte sie, „der thät’ Dir vielleicht den Namen sagen, wenn Du die Schneid’ hätt’st, ihn darum zu fragen; weil er aber nit da ist, will ich für ihn reden und sage Dir, daß ich das Spotten und das Gewörtel nit leid’! Wenn Du mich vexiren willst, mußt es gescheider anfangen – über das, was mein Vater thut, kannst Du reden und föppeln, so viel Du willst, aber nit vor seiner Tochter und nit in seinem eigenen Haus’ … verstanden, Metzger-Natzi?“

„Ja – was soll denn das heißen …“ rief der Händler.

„Das soll heißen,“ entgegnete sie wie zuvor, „daß ich Dir das Maul verbiet’ – Solche ungehobelte Gäst’ brauchen wir nit im Haus’, und wem das nit recht ist, was ich sage, der kann seine sieben Zwetschgen zusammenpacken und sich um ein andres Nachtquartier umschaun!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_372.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)