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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ich faßte mir ein Herz und sprach: „Ich gehe schon,
Die Arbeit nehm’ ich auf zu uns’rem alten Lohn;“
Und ob ich gleich besorgt um den Empfang,
War in die Schänke doch mein erster Gang,
Wo immer noch die Führer hielten Rath.
Zu träumen glaubte ich, als ich in’s Zimmer trat,
Man zechte hier – wir litten Hungerspein –
Man zechte – die ihr zahltet diesen Wein
Und so für uns gewebt das Hungertuch,
Euch treffe, euch des armen Greises Fluch!

Als ich genähert mich der Zecher Kreis,
Die Stirn gesenkt, das Auge roth und heiß,
Da merkten sie, was mich hieher geführt;
Doch von den finst’ren Blicken ungerührt,
Nahm ich das Wort:
 „Ich sag’s euch frank und frei,
Mein Weib, gleich mir, ist sechzig Jahr vorbei,
Und uns’re Enkel blieben uns zur Last;
In uns’rer Kammer ist der Hunger Gast
Und Alles ist versetzt – ein Bett in dem Spital
Für meinen Lebensrest und dann im großen Saal
Für meinen Leichnam der Studenten Messer –
Das ist es, was noch meiner harrt – nun gut!
Ein schlechter Schluß zwar, aber meinen Muth
Zerbricht er nicht! Doch für die Meinen will ich’s besser!
Wißt denn: Zur Werkstatt kehre ich allein;
Doch bitt’ ich euch vor Allem: willigt ein,
Damit mir Niemand meine Ehre schände;
Mein Haar ist weiß, und schwarz sind meine Hände,
Seit vierzig Jahren bin ich Schmied, in Ehren,
Laßt mich zurück zu meiner Werkstatt kehren;
Zum Bettelnlernen bin ich schon zu alt,
Und dann, o, welche traurige Gestalt:
Mit Furchen auf der Stirne, die gegraben
Die ew’gen schweren Hammerschläge haben,
Nach Gaben strecken eine nerv’ge Hand!
Ich fleh’ euch an – nein, es ist keine Schand’,
Bin ich der Aeltste doch und darum ist’s nur billig,
Zeig’ als der Erste auch ich mich zu fügen willig.
Ich bin zu Ende. Seid ihr bös?“
 Da ruft,
Indem er vortritt, Einer:
 „Feiger Schuft!“

Ein eisigkalter Schauer faßt mich an,
Ich seh’ nach ihm, der mir den Schimpf gethan:
Ein junger Bursche war’s – gleich einer Dirne
Trug er das Haar in Ringeln an der Stirne,
Und sein Gesicht war fahl vom Lampenschein
Der Kneipenbälle und erhitzt vom Wein.
Er starrt mich höhnisch an – die Andern schwiegen,
Mein Herz nur hämmert, meine Pulse fliegen.

Da faßt’ ich meine Stirn mit beiden Händen
Und rief: „So sei’s, die Meinen mögen enden,
Ich werde nicht in uns’re Werkstatt geh’n,
Doch du – ich schwör’s – du wirst mir Rede steh’n:
Wir schlagen uns – ganz wie ’s die Herren thun.“ –
„Wann?“ – „Augenblicklich!“ – „Und womit?“ – „Ei nun!
Wir führen doch den Schmiedehammer Jeder
Weit leichter als den Degen und die Feder;
Ihr, Cameraden, sollt die Zeugen sein;
Zwei Hämmer her! und schließt im Kreis uns ein,
Und du, der niederträchtig feigerweise
Schimpf in das Antlitz schleudert einem Greise,
Zieh’ deine Blouse aus und spuck’ in deine Hand!“

Ich ruf’s und brech’ mir Bahn – dort an der Wand
Liegt altes Eisenwerk in wirren Haufen
Zwei schwere Hämmer, wie gemacht zum Raufen,
Wähl’ ich mir aus und heb’ sie auf im Nu
Und werf’ den bessern meinem Gegner zu!
Der lacht und nimmt mit höhnischer Geberde,
Zu decken sich, den Hammer von der Erde
Und ruft:
 „Du alter Narr, mich schreckst du nicht!“
Ich gehe auf ihn los und schau’ ihm ins Gesicht:
Er senkt den Blick, um seine Schläfe kreisen
Lass’ schwirrend ich des schweren Hammers Eisen,
Der Handwerkszeug und Waffe mir zugleich.

Ein Hund, der heulend unterm Peitschenstreich
Am Boden kriecht, hat nicht so feiges Fleh’n
Im Aug’, wie jenes war, das ich geseh’n
Im Blicke jenes Elenden der zag
Zurückwich jetzt vor meinem wucht’gen Schlag
Bis an die Wand, die einen Rückhalt bot.
Es war zu spät; ein Schleier dicht und roth,
Ein heißer, blut’ger Nebel senkte sich
Um ihn den Schreckerstarrten und auf mich;
Mit Einem Streich hab’ ich sein Haupt zermalmt!

Vergoss’nes Blut empor zum Himmel qualmt.
Ein Mord ist’s – ich verlange nicht, daß man
Als Zweikampf gelten lass’, was ich gethan.
Da lag er, bleich, bespritzt von Blut und Hirne,
Ich senkt’ in beide Hände meine Stirne,
Den Vorwurf fühlt’ ich brennen im Gewissen,
Der Kain’s, des Brudermörders, Herz zerrissen.

Als nun die Cameraden sich mir nahten,
Um mich zu fassen – zitternd, da sie ’s thaten –
Macht’ ich mich los mit leichter Müh’ und sprach:
„Ich selbst verdamme mich zum Tod der Schmach.“

Sie ließen ab von mir – ich hielt zum Sammeln
Dann meine Mütze hin und sprach mit Stammeln:
„Für … nun, ihr wißt …“ Zehn Francs hat’s ausgemacht,
Ein Camerad hat’s meinem Weib gebracht.
Dann ging ich hin und stellt’ mich dem Gericht.

Erzählt hab’ ich die Wahrheit treu und schlicht.
Und wahrlich, nichts habt ihr danach zu fragen
Was mir zu Gunsten mag mein Anwalt sagen.
Genau geschildert hab’ ich diese Dinge,
Damit man sieht, daß oft gleich einer Schlinge
Uns das Verhängniß einer That umstrickt.
Die Kinder hat in’s Spittel man geschickt,
In dem mein Weib dem Kummer unterlag.
Was immer auch für mich nun kommen mag:
Ob Freiheit oder Bagno – mir gilt’s gleich –
Doch ist es das Schaffot – dann dank’ ich euch!




Das Bernsteingold des Samlands und seine neueste Gewinnung.
Von einem Ostpreußen.

Wenn der Besucher der durch ihre malerische Uferschönheit ausgezeichneten westlichsten Hälfte des ostpreußischen Nordstrands Umschau hält von der thurmhoch aufragenden „Fuchsspitze“ des uralten Warnicker Parks voll tausendjähriger Baumwunder, so gewahrt er mit gutem Jägerauge eine starke Meile westwärts am Fuß der Brüsterorter Leuchtthurmspitze eine zumal im Abendstrahl scharf markirte Gruppe kleiner schwarzer Kähne, welche dort regungslos vor Anker zu liegen scheinen. Nahe kommend wird er jedoch bald eine rege Thätigkeit auf und unter ihnen gewahr, welche mit den sonst bekannten nautischen Verrichtungen wenig gemein hat. Es ist dies die Taucherflottille der jungen Königsberg-Memeler Bernstein-Firma Stantien u. Becker.

Bevor wir indeß auf die Schilderung des höchst interessanten neuen Tauchereiverfahrens auf Bernstein, welche zunächst den Zweck

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_362.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2019)