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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Wohnungen werden mit Erker versehen und wird besonders auf zweckmäßige Beleuchtung Rücksicht genommen werden. Zu diesem Behufe soll jedes der zu errichtenden Häuser im zweiten Hofe so placirt werden, daß es inmitten desselben zu stehen kommt, so daß zwei und respective drei Höfe für jedes Gebäude entstehen und folgerecht die in den zwei Höfen gelegenen Hintergebäude bis zur vierten Etage Doppellicht erhalten. Die Räumlichkeiten werden wieder zu Ateliers, Werkstätten und Fabriken vermiethet. Ein besonderer Vortheil dieser von Herrn Geber selbst angegebenen Bauart ist noch der, daß die sämmtlichen Corridore des Vorderhauses ihr Licht von dem zweiten und dritten Hofe empfangen, so daß die berüchtigten finsteren Berliner Stuben und Corridore in den Häusern der neuen Straße künftig fortfallen.

So ist es Herrn Geber durch seine bewunderungswürdige Energie gelungen, nicht nur das neue Industriegebäude, sondern eine ganze Straße zu schaffen, deren Ausführung so gut wie gesichert ist und schon in kurzer Zeit bevorsteht. Wo sonst eine alte verfallene Caserne stand, erhebt sich jetzt ein glänzender Palast, in dem der Gewerbfleiß und die Kunst Berlins täglich neue Triumphe feiert; wo in diesem Augenblick noch Höfe und nur zum Abbruch taugliche Remisen und Ställe stehen, wird bald ein neuer glänzender Stadttheil emporblühen.

Max Ring.




Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


20. Die Losung.

Ein langer banger Tag war über das Haus der Salten hingezogen. Es war Feldheim gelungen, Alfred in Unwissenheit über den Tod seines Vaters zu erhalten; doch von Stunde zu Stunde wuchs seine Unruhe, und je länger er ausblieb, desto mißtrauischer wurde er selbst gegen seinen Lehrer. Er war auf dessen Wunsch zu Bett geblieben und hatte fest gehofft, daß sein Vater, der angeblich nach Zürich gefahren war, wiederkäme; doch als es Abend wurde und der Erwartete noch immer ausblieb, da bemächtigte sich seiner eine unsägliche Angst. Er schärfte sein Gehör und lauschte auf jedes Geräusch – und er vernahm gar seltsame Dinge. Immer war es ihm, als höre er über sich schluchzen, Thüren auf- und zumachen, gehen und kommen. Die Tanten waren auch den ganzen Tag nicht bei ihm gewesen – der Candidat hatte es ihm zwar damit erklärt, daß sie ihm zürnten wegen seines Benehmens gegen seine Mutter, aber es war doch Alles so sonderbar! – Die Letztere hatte drei Mal bei ihm Einlaß begehrt, er hatte es geweigert und ward dabei von Feldheim unterstützt. Jetzt wünschte er, daß seine Mutter käme, weil er hoffte, von ihr zu erfahren, was ihm Feldheim verschwieg. Immer dunkler ward es und immer lauter schlug Alfred’s Herz. Er hätte aufschreien mögen nach seinem Vater, aber er schwieg, denn er fühlte, daß nichts den Lehrer vermöchte, die bleichen Lippen zu öffnen.

Da ertönten schwere dumpfe Tritte im Hausgange. Der Knabe horchte. Feldheim ward unruhig und fing gegen seine Gewohnheit laut zu sprechen an; Alfred fühlte, daß er das Geräusch von draußen übertönen wollte, und lauschte um so schärfer. Man schien etwas zu bringen; es waren die gleichmäßigen schwerfälligen Schritte von Leuten, die zusammen einen Gegenstand trugen. Es mußte ein großer ungefügiger Gegenstand sein, denn sie stießen mehrmals damit an, er hörte es ganz deutlich. Was konnte denn das sein? Jetzt stiegen sie die Treppe hinauf damit – sie schleppten es in seiner Mutter Zimmer und setzten es hart auf den Boden nieder, daß die Decke zitterte. Und jetzt gab es wieder ein Hin- und Hergehen da oben und zwischendurch jenes seltsame Stöhnen und Schluchzen vieler gedämpfter Stimmen, das ihn den ganzen Tag verfolgte. Es war kein Zweifel, da oben geschah etwas Schreckliches!

Alfred ward seiner Angst nicht mehr Meister; ein Entschluß keimte in ihm. Er machte die Augen zu und stellte sich schlafend.

Da klopfte es an die Thür, die nach des Freiherrn Zimmer führte, Feldheim ging rasch nachzusehen, es war Adelheid. „Herr Feldheim,“ flüsterte sie, „der Sarg ist gekommen, ich habe die Leiche mit diesen meinen Händen hineinlegen helfen, ich habe gelitten und gebüßt, wie ein Mensch büßen kann – lassen Sie mich aber jetzt zu meinem Kinde!“

Feldheim schob sie sanft zurück und trat zu ihr hinaus, die Thür leise nach sich ziehend.

„Er schläft, gönnen Sie ihm die Ruhe, wenigstens heute noch.“

„Sie sind grausam!“ flüsterte Adelheid. „Sie allein haben Einfluß auf meinen Sohn, Sie allein können ihn mir wiedergeben und Sie thun es nicht – das ist nicht im Sinne des Todten gehandelt, denn die Zeilen, welche Sie mir von ihm übergaben, athmen Milde und Barmherzigkeit. O, er hat mich gekannt – er wußte, daß ich von nun an das beklagenswertheste Geschöpf sein werde, und ihn jammerte meine Reue – er konnte mir verzeihen – und Sie können es nicht – Sie –!“ Adelheid hielt inne und schlug sich mit der kleinen Hand vor die Stirn.

Feldheim schüttelte das Haupt und schwieg.

„Aber Sie sollen mir noch Gerechtigkeit widerfahren lassen – Sie sollen und werden!“ fuhr Adelheid immer leidenschaftlicher fort. „Sie haben kein Recht zu der mitleidigen Verachtung, mit der Sie so stolz auf mich niedersehen, denn Sie hätten mich retten können, wenn Sie gewollt – und Sie ließen mich fallen!“

Feldheim zuckte zusammen.

„Ja, hören Sie es nur, ich spreche mit Ihnen wie ein abgeschiedener Geist mit dem andern, Sie werden mir glauben, daß nach all’ dem Gräßlichen, was heute über mich hereinbrach, kein irdischer Wunsch mehr meine Seele belastet. Die Hand des Herrn hat mich erfaßt und abgestreift, was sündhaft an mir war. Ich habe mich selbst erkannt und habe all’ mein Thun verworfen. Eines nur, Eines war in mir, was ich nicht verwerfen kann – mögen Sie es nun glauben oder nicht – Eines, was wahr und heilig war, Eines, um dessen willen ich – wie stolz es auch klinge, Vergebung hoffe von Gott – die Liebe zu Ihnen!“

Feldheim trat einen Schritt zurück. Sie fuhr fort: „Daß ich mit dieser Liebe im Herzen irren konnte, das ist das Nichtswürdigste – ich weiß es wohl – und giebt mich doppelter Verachtung preis. Ich kann es nicht versuchen mich zu entschuldigen, Sie können es nicht verzeihen, und dennoch – Gott, der in mein Herz sah, in dies arme, schwache, liebebedürftige Herz – Gott weiß es, wie ich Sie geliebt!“

Sie stürzte vor ihm nieder und bog die erglühende Stirn zur Erde. Feldheim verhüllte das Gesicht.

„O, ich bin ein schwächlich Weib, ich fürchte den Schmerz, ich habe keinen Muth, keine Geduld ihn zu ertragen – und der Schmerz um Sie zerriß mein Herz – ich wollte ihn betäuben! – Ich bin ein eitles Weib – ich konnte es nicht ertragen verschmäht zu sein – ich wollte mich in’s Geheim an Ihnen rächen. Ich hoffte Sie vergessen zu können, ach! und was ich begann, war umsonst. Ich wollte Feuer mit Oel löschen – und verbrannte uns Alle!“

„Gnädige Frau, ich bitte Sie,“ rief Feldheim erschüttert, „wozu das Alles?“

„O, lassen Sie mich!“ flehte das schöne Weib. „Was will ich denn? Ich will ja nichts als Buße, nichts als Vergebung. Ihre Kniee will ich umklammern, Ihre Hände küssen, bis Sie mir verziehen haben, und dann sterben!“

Da bog sich Feldheim herab und hob die zuckende weiche Gestalt auf in seinen starken Armen und nahm sie an sein Herz. Es war ein unbeschreiblicher Augenblick, wo die Rinde um dieses große Mannesherz schmolz und die Wogen machtvoll dahin strömten. „Weib,“ flüsterte er; „unseliges Weib, solch eine Größe wohnt in Dir und dennoch konntest Du so klein sein! O, hätte ich Dich früher erkannt, Alles wäre besser. Denn auch ich, auch ich habe gefehlt!“ Sie sah ihn fragend an, er neigte seine Lippen ihrem Ohr und flüsterte ihr leise zu. Seine Rede quoll ihm aus der Seele, wie der Lavastrom in’s Thal hernieder fließt: „Ich habe gefehlt, denn ich habe Dich geliebt und begehrt und habe Dich von mir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_287.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)