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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

also ungefähr den vierten Theil sämmtlicher Kellereien des Rathhauses ein.

Von mächtigen und zugleich graziösen Pfeilern getragene Bogen einigen sich zu einem etwas niedrigen, doch nirgends drückenden Gewölbe. Der erste Schritt, den wir von der Jüdenstraße hinab thun, verräth uns, daß wir in das Reich von Durchlaucht Hopfenblüth eintreten.

Aus Tausenden von Gläsern schäumt und duftet der Gerstensaft (aus der Brauerei von d’Heureuse und Busse), der hier von Herrn Trieske, dem treuen Vasallen der Weingroßmacht, credenzt wird. Der ganze Raum ist durch die Pfeiler in fünf große Quarrés geschieden, zu deren Seiten sich acht Nischen befinden. Hier ist kein Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, Seide und Kattun, Geldprotz und Executor, Geheimerath und Schreiber. Kopf an Kopf sitzt hier die Menge, dicht gepreßt, vom frühen Morgen bis zur Mitternacht. Zwanzigmal, ja bisweilen vierzigmal des Tages, kündet das Pochen des Bierschlägels, daß eine neue Quelle, das ist ein neues Faß, angestochen sei, und doch lechzt das Volk ewig nach Erquickung. Es ist schier zu verwundern, wo all’ der Durst herkommt. Eines der vielen Sprüchlein aber, die an den Wänden angebracht sind, belehrt uns darüber: „Ob Seidel oder Töpfchen, ob Kuffe oder Krug, ob Flasche, Maß, ob Schöppchen – – man kriegt doch nie genug.“

Der Kellerpoet ruft den Zechern zu: „Nach alter Sitt’ in durst’ger Mitt’, kommt, trinkt euch aller Sorgen quitt“, denn: „Schon Doctor Luther spricht: Wasser thut’s freilich nicht“; sondern: „Cerevisiam bibunt homines“ und – „Was mir Frau Hebe schänken will – Bier oder Wein – ich halte still!“ – Stillhalten, das ist des wackern Zechers Art. Darum: „Stößt dich der Bock, dann trotze du; wirft er dich um, dann – gute Ruh’.“

Auch zur Lebensweisheit gemahnen die Sprüchlein: „Leerer Kopf und leeres Faß, leeres Herz – wie hohl klingt das!“ – „Was sich zum Geist soll klären, muß kochen erst und gähren.“ Dem einen Traurigen rufen sie zu: „Schlag’ dir die Sorgen aus dem Sinn und denk’ nicht an die Hauskreuzspinn’;“ dem andern: „Im Bier- und Weinhaus denk’ nicht an’s Beinhaus.“

Der Wirth hat sein gutes Gewissen bezeugt durch den Reim: „Wer Bier verfälscht und Weine tauft, ist werth, daß er sie selber – trinkt.“ Er selber schärft dem Bierzapfer ein: „Spritz nit zu viel, du Schuft! Bier will ich, doch nit Luft!“

Am Pfeiler der sechsten Nische lesen wir die Inschrift: „Hier unter starkem Pfeiler, schau, der Grundstein ruht zu diesem Bau. Gott laß ihn ruhn viel’ tausend Jahr und schirm das Rathhaus vor Gefahr.“ Daneben hat der Erbauer, Wäsemann, ein paar Sprüchlein angebracht, auf daß sie seine Feinde und Neider beherzigen mögen: „Allen Menschen recht gethan, ist eine Kunst, die Niemand kann;“ und „Wer will bauen an der Straßen, muß die Leute reden lassen.“

Aus dem Bierlocale gelangen wir in die „Rotunde“, die von einer mächtigen Säule getragen wird. Am Capital derselben befindet sich ein Abguß der wunderlichen Thiergestalten, welche die Säule der alten Gerichtslaube krönen. Die Wände sind mit Frescobildern des Malers A. v. Heyden geziert; sie lassen dem Gersten- wie dem Rebensaft gleiche Gerechtigkeit widerfahren, zum Zeichen, daß es hier gestattet ist, beliebig dem einen oder dem andern zu fröhnen. Die Zweiseelen-Theorie ist hier in schönste Praxis übersetzt: hier ist die Stelle, wo Prinz Rebenblüth und Hoheit Hopfenblüth den Friedens- oder vielmehr den Suzeränetäts-Vertrag abgeschlossen haben.

Das erste Bild hebt uns zum Olymp: „Bacchus, Ganymed und Hebe labten einst der Götter Chor; trink’ der Rebe Saft und schwebe selbst ein sel’ger Gott empor.“ Das zweite Bild führt uns zur Unterwelt der Gnomen: „Flüssig Silber, flüssig Gold schürfen ihr und schlürfen sollt, wie es in krystall’ner Pracht Kobolds Macht an’s Licht gebracht.“ Auf dem dritten Bilde gelangen wir in die Steinzeit: „Die Sündfluth kommt, die Welt ersauft! so sprachen der Heiden Fürsten und tranken die Weine ungetauft mit heidenmäßigem Dürsten.“ Von der Steinzeit in die Weinzeit des ritterlichen Mittelalters ist allerdings ein gewaltiger Sprung; aber der Maler hat ihn gewagt mit dem poetischen Satze: „Amate, da ihr jung noch seid, cantate, so ihr traget Leid; doch ob ihr habt Lust oder Weh, ob jung, ob alt seid – bibite!“ Das fünfte Bild zeigt uns einen Derwisch, einen Chinesen und einen klösterlichen Moabiter: „Mohammed lehrt euch und Confuz, beschaulich lehrt’s euch die Kapuz’: Trink, Menschenkind, fein mit Bedacht, was fröhlich dich und selig macht.“ Das sechste Bild endlich geleitet uns in das Paradies der „alten Burschenherrlichkeit“: „Wenn Lust aus schönen Augen glänzt und Liebe uns den Trank credenzt, dann träumen wir beim Cerevis uns in’s verlor’ne Paradies.“

Aus dem Paradiese aber führt der Weg zur Erkenntniß des Guten und des Bösen, zur Wahrheit, und darum lautet die Inschrift über dem schmalen Gange, der uns das Reich Rebenblüths aufschließt: „In vino veritas.“ Links von dem Gange überblicken wir das Reich des mächtigen Prinzen in seiner ganzen schlummernden Herrlichkeit. Da schlummern sie, die tapfern Niersteiner, Steinberger und Johannisberger und wie die blonden Gesellen sonst noch heißen mögen! da harren des Aufbruchs die feurigen Burgunder, Ungarn und Spanier! da sehnen sie sich im Traume nach Erlösung, die gefesselten Franzosen! Wie pocht das Herz hörbar dem alten Domdechant inmitten von so verschiedenen Seelen! Welch’ stattliche Mannen in diesem Lager! Und wie stolz und selbstbewußt schreitet zwischen ihnen einher der Generalissimus und Kellermeister, Herr Röper! Er kennt Jeden seiner Tapferen mit Namen und jedes Einzelnen Tugenden; er hat ihrer Viele erzogen von Jugend auf bis zum Tage der Reife. Er weiß, was er von ihnen zu halten hat, sobald er sie zu Thaten weckt. Er zittert nicht wie jener mittelalterliche Feldherr vor dem Hahnenschrei; er freut sich, wenn der Hahn am Fasse kräht. Er ist, sagt man, trotz seiner hohen Charge, ein schlichter, braver Mann, ein Feind der Fälscher und – falscher Etiquette.

Zur Rechten des Ganges sind sechs lauschige, elegant eingerichtete Nischen, deren jede mit Sprüchen geziert ist. Wir finden da eine poetische Weinkarte: „Rheingold – Weingold, Maingold – fein Gold, Frankenwein – Gedankenwein, Burgunderwein – ein Wunderwein, Rusterwein – ein Musterwein, Tokayersaft – Befreierkraft, Schaumwein – Traumwein.“ Herr Rebenblüth lehrt uns: „Der Geiz am Saft der Rebe frißt, Geiz aller Uebel Wurzel ist – trink flott, so du kein Geizhals bist!“ Trinke! denn „Moselblüth macht froh Gemüth“, trinke, damit der Frühling einziehe in dein Herz, denn „Beim Maientrank und Liederschall – grüß Gott, grüß Gott, Frau Nachtigall.“ Laß dich umschweben von den Genien des Frühlings: „Guter Geister milder Hauch waltet auch im Kleinen; Augen hat die Rebe auch, auch die Reben weinen.“ Trinke und gedenke dabei deiner Lieben: „All was ihr liebt, all was euch hold, beim Traubengold ihr preisen sollt.“ Bist du geistlich gesinnt und „Quält dich des Durstes Höllenbrand – such’ Hülf’ und Trost beim Domdechant.“ Bist du aber ein Weltkind und „Willst wie ein Kind du fröhlich sein, saug Liebfrauenmilch brav ein.“ Erhebe dich über allen Jammer dieser Welt und denke: „Wer baß singt und trinkt und wirbt, den lehrt die Erfahrung: selbst der grimmste Kater stirbt doch am sauren Harung.“

Zum Ausgange des Kellers müssen wir am Probirstübchen des Kellermeisters vorbei. Wir werfen einen flüchtigen Blick in das Heiligthum und lesen hier über dem Eingange das Sprüchlein: „Das Schlimmste fürchte, hoff’ das Best’; was sich erprobt, das halte fest; laß fahren hin, was dich verläßt; der eignen Kraft trau bis zum Rest; – dann wohl dir auch im engsten Nest!“

So schaut es aus im Reiche der Unterirdischen, darinnen Prinz Rebenblüth und Durchlaucht Hopfenblüth noch lange regieren mögen zum Heile der „Weltstadt“, und darinnen viel Traurige Freude und die Verzagten frischen Muth gewinnen und unsere Enkel sich über die Vergänglichkeit des Irdischen trösten mögen mit dem Worte des Dichters:

„Unsre Väter sind gesessen
Einst bei vollen Gläsern hier;
Unsre Väter sind vergessen
Und vergessen werden wir.“

Rudolf Löwenstein. 




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