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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

schollen und ebenso verhallten. Der Mond beschien das Antlitz des Herrn im Innern des Wagens: es war, als wenn eine geheime Lust seine Wangen erglühen mache. Als sein Gesicht den Scheiben näher kam, um in die Nacht hinaus zu spähen, lag es wie ein geheimnißvolles Lächeln, wie eine schöne Gemüthsbewegung auf seinen Lippen. Die Stadt war im Rücken, das Dorf Steinkirchen passirt. Gleich am Ende desselben, rechts einige hundert Schritte abseits von der Straße, liegt auf einem Hügel das mehrerwähnte „Neuhaus“, des Dichters Tusculum, die Stätte seines Stilllebens. Eine schöne Allee führte damals von dem Wege unten zu demselben hinauf. Der Wagen hielt. Der Herr im Pelz stieg aus und ging langsam auf das Haus zu. Die Fenster waren hell erleuchtet; lauter Jubel erklang von innen heraus: es war ja des Dichters Ehrentag, der da gefeiert wurde. Der Fremde ging langsamer, je näher er seinem Ziele kam. Sein auf dem knirschenden Schnee hörbarer Fußtritt machte die Jagdhunde munter, kläffend sprangen sie ihm entgegen, an ihm empor. Er sprach zu ihnen und sie beruhigten sich. Sonst war Niemand sichtbar. Der Herr trat in die Hausflur. Ein Bedienter fragte nach seinem Begehr und führte ihn, als er erklärte, daß er den Besitzer des Hauses zu sprechen wünsche, in das Empfangszimmer, welches von einer kleinen Ampel erleuchtet war. Dem Fremden schien die Helligkeit aber noch zu groß, denn er zog den Docht der Lampe noch mehr ein, als der Bediente ihn verlassen hatte, und, seinen Pelz ablegend, stellte er sich in die Fensternische, so daß sein Gesicht beschattet war. Es währte nicht lange und die Thür öffnete sich wieder – Ernst von Houwald war eingetreten. Der Dichtergreis befand sich in gehobener Stimmung, seine Wangen waren freudegeröthet – so stand er da hellen Auges, mit wehendem Haar, in seinen langen braunen Goetherock gekleidet. Er durchspähte die Stube, blieb am Tische stehen und sah, wie fragend, zu dem Fremden hinüber; das dauerte aber nur einen Augenblick, denn der Letztere näherte sich schon dem Dichter und, indem er mit bewegter Stimme anhob:

Doch, weil ich auch ein Bursche war,
So lass’ ich mich nicht lumpen;
Ich weiß, wie oft die Spieße rar,
Und will Dir etwas pumpen!
Du giebst mir’s wieder einstiglich –
Dann wollen wir uns sicherlich
     Versteh’n bei vollen Humpen – – –

reichte er ihm – – – einen neuen blanken Friedrichsd’or hin. Der Dichter sah den fremden Herrn erst einige Augenblicke verwundert an, dann aber kam ihm sein Gedächtniß zu Hülfe, die Augen wurden ihm feucht und mit den Worten: „Lieber, guter Herr,“ schloß er den Fremden im Gefühle innigster Rührung über einen so schönen Beweis männlicher Treue in die Arme. Es dauerte lange, bis sich Beide in kurzen, schnellen Hin- und Herfragen völlig verständigen konnten. Als aber dieser schöne Rausch vorüber war, da leuchtete es von Houwald’s Stirn wie von einem neuen Gedanken und trotz seines Sträubens zog er den Fremden mit sich fort, unaufhaltsam, hinüber in das Festzimmer, um die dort Versammelten Theil nehmen zu lassen an der Freude, die ihm soeben widerfahren war. Es bedarf wohl der Erwähnung nicht, daß der Dichter die beiden oben mitgetheilten Gedichte, als wenig werthvolle Documente, nicht aufbewahrt hatte und daß der Jubel, namentlich Seitens der beiden Hauptpersonen, ein noch größerer war, als der ehemalige Bruder Studio, aus dem wirklich „ein braver Mann“ geworden war, dieselben hervorzog und den Anwesenden zum Besten gab. Mit ihm war wieder einmal ein guter Mensch zu guten Menschen gekommen, und der Dichter hielt auch sein Wort und „verstand sich mit ihm bei vollen Humpen“.

Seinem Gruße galt noch manch schäumender Becher edlen Weins, ehe sich der Gast losmachen konnte von dem herrlichen Manne neben ihm. Wehmütig schieden Beide endlich, und der Fremde, H., damals Rath in O., kehrte mit den schönsten Erinnerungen in seine Heimath zurück – er hat den Dichter nicht wiedergesehen, denn auch dieser kehrte nur wenige Jahre später in seine bessere Heimath zurück, in die seiner irdischen Träume, wo er den irdischen Frieden und die absolute Harmonie gefunden haben wird, die er hienieden so sehr geliebt und gesucht.

Treue für sein Vaterland, für sein Amt, für die Seinen und die seiner bedurften, Liebe und Freundschaft, Seelenadel, warmes Gedenken für Freud’ und Leid, die ihm auf seiner irdischen Pilgerschaft je begegnet, endlich ein unerschütterliches Gottvertrauen – das waren die Züge, die sein Leben athmete. Wir finden hier überall die Spuren in Dem, was er gesagt und gethan, und wir finden sie auch noch in einem uns überkommenen Toaste aus seiner letzten Lebenszeit, welchen der Dichter bei Gelegenheit der Feier eines Goethe’schen Gedächtnißtages ausbrachte, und es scheint, als wenn noch einmal sein um seine Entwicklung hochverdienter alter Jugendfreund Contessa es hauptsächlich ist, an den er sich darin wendet:


Der erste Becher sei gebracht
Dem König, unserm König,
Dazu ein Denkspruch ausgebracht
Voll Kraft, an Worten wenig!

Der zweite ehre dann den Freund,
Der’s unverändert bliebe!
Und mit dem dritten sei gemeint
Das Herz und seine Liebe!

Und endlich wendet sich der Greis
Zu seinem Freund, dem Greise: –
Du kennst die Tage, kalt und heiß,
Der langen Lebensreise!

Dies Glas der alten guten Zeit,
Der sel’gen wie der trüben,
Der heiligen Vergangenheit,
Den Gräbern unsrer Lieben!


Ernst von Houwald wurde am 28. Januar 1845 von einem schnellen, sanften Tode ereilt. Sein Verlust war selbstverständlich für Alle, die je mit ihm in Berührung gekommen, ein beinahe gleich schmerzlicher. Man senkte mit dem Edelmanne einen wahrhaft edlen Mann in das Grab.

Gegenüber seinem lieben „Neuhaus“, auf dem kleinen Kirchhofe des Dörfchens Steinkirchen steht ein altes Kirchlein. Grau und verwittert sieht es mit bemoostem Antlitz zum Himmel auf und mahnt uns schon von Weitem zur Ehrfurcht. Es hat auch sein gutes Recht, stolz zu sein auf sich selbst, denn es weiß von einer Zeit zu erzählen, wo Dr. Martinus Luther’s ehernes Wort von seiner Kanzel herab sein kleines Gewölbe erdröhnen machte. Am Fuße dieses Kirchleins schlummert der Dichter unter so üppigem Grün,

„daß man vor Riedgras kaum das Grab zu sehn vermag.“

Es ist schon eingesunken, dieses Grab, und mit ihm der ausgewaschene Sandstein darauf. Aber seine noch lesbare Inschrift giebt dem Wanderer deutliche Kunde, was für ein Grab es ist, das er beschirmt! Ja, sie giebt ihm auch wohl noch Anlaß darüber nachzudenken, wie er selbst leben müsse, um sie dereinst für sein eigenes zu wählen:

Christoph Ernst,

Freiherr von Houwald,
Landsyndicus des Markgrafthums
Niederlausitz,
geb. 29. November 1778,

gest. 28. Januar 1845.

Seines Namens Gedächtniß
Hat er sich selbst gestiftet.
     Darum, o Stein,
Sei nur ein Denkmal der Liebe,
Denn die Herzen, die ihn geliebt,
Zerfallen früher in Staub, als du.


Auch des Dichters Herz ist längst in Staub zerfallen, aber noch steht sein Bild Vielen vor der Seele sammt den bedeutungsvollen Worten, die er unter sein ähnlichstes Portrait geschrieben hat und die gerade in Bezug auf ihn selbst zur herrlichen Wahrheit geworden sind:


Des Menschen Antlitz ist das Titelblatt
Des Buches, das in stiller Herzenskammer
Die Seele niederschreibt und aufbewahrt.
Nicht kannst du die verschwieg’nen Blätter lesen,
Doch schaust du prüfend auf das Titelblatt,
Wird dir der Inhalt auch wohl offenbar.


Cottbus in der Niederlausitz.

Paul Wesenfeld.




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