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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Das erste Mal fand ich sie verschlossen, am nächsten Tage tönten mir das Rauschen der Orgel und die monotonen Responsalien der Priester entgegen. Ueber den absonderlichen Zweck des Gottesdienstes hatten mich zwar die im Vestibulum angeschlagenen Zettel belehrt, in denen ein „Vorbeter“ die Gläubigen zu der Pilgerfahrt nach Mariazell einlud und zugleich die Anzahl der vorbereitenden Exercitien nebst dem obligaten Quantum an Ablaß bekannt machte, aber trotzdem konnte ich mich nicht entschließen, die Messe zu stören. Ich vergaß wieder, daß in katholischen Ländern der Fremde ungehindert zwischen den Andächtigen und den Geistlichen circulirt, wie ich es selbst so oft gethan. Daß die Dinge, die ich suchte, die verrostete eiserne Thür und die düstere gespenstische Höhle, nicht im Innern der Kirche sich befanden, daß sie überhaupt nicht existirten, wie ich sie im Geiste gesehen, erfuhr ich erst heute.

Nicht weit von dem Hauptportal führt ein heller gemauerter Corridor in das Innere des anstoßenden Gebäudes. Als ich eintrat, sah ich zur Rechten eine Pforte geöffnet, die abwärts führen mußte, denn mir war, als vernähme ich aus der Tiefe ein halblautes Gemurmel von Stimmen. Ich hatte mich nicht getäuscht – über steinerne Stufen ging der Weg nach dem Orte, an den ich zu gelangen wünschte. Nicht in die Finsterniß; ein heller Schein von Fliesen und Pfeilern winkte mir entgegen, als ich die Treppe hinunterstieg. Von der einen Seite wenigstens, auf der anderen war es Nacht. Ein Mönch hatte mich oben empfangen. Er trug eine braune Kutte von weißem linnenem Gürtel umschlossen und ein Käppchen auf dem silberlockigen Haar. Seine Gestalt war klein, doch nicht würdelos; er war nicht hager und nicht gedunsen, nicht leichtfüßig und nicht schwerfällig, nicht freundlich und nicht düster. Auf seinen Zügen lag weder Fanatismus noch Schwermuth; seine Stimme klang ruhig, als hätte niemals die Leidenschaft darin vibrirt. In Haltung und Bewegung glich er einem Menschen, in dem Alles entschlafen ist, die Begierde wie die Hoffnung, der Haß, aber auch die Liebe; der die Maschine seines Lebens weiter treiben läßt, ohne zu fragen, ob sie heute oder morgen still steht. So war er der rechte Hüter des Ortes, an den er mich führte. Noch diese letzten Stiegen und ich stand in der Gruft des Hauses Habsburg.

Unter weißgetünchten Wölbungen zog es sich hin, zu beiden Seiten, Sarkophag neben Sarkophag. Aber während zur Linken das Licht des Tages durch die Fensteröffnungen hereinfiel, lag über den Räumen zur Rechten bleischwere Dämmerung. Nur hie und da blinkte es wie ein matter metallischer Glanz durch das eiserne Gitter, welches die beiden Hälften des unterirdischen Friedhofes trennte.

Ich war nicht allein; zwei Damen in Begleitung eines Führers waren kurz vor mir hinabgestiegen. Es waren Russinnen, denn ich hörte sie flüsternd Worte in ihrer Muttersprache wechseln; Beide waren edle und vornehme Erscheinungen, aber die Todten waren mir jetzt interessanter, als die Lebenden.

Der Capuziner hatte eine brennende Lampe ergriffen und ging unhörbaren Schrittes vor uns her auf das Gitter zur Rechten zu. Eine Pforte bewegte sich in ihren Angeln und wir traten durch sie in einen Gang, den wiederum auf jeder Seite eine Reihe eiserner Stäbe abgrenzte. Nur auf die vordersten fiel der bleiche, flackernde Schein der Flamme, dahinter war Alles in tiefe Finsterniß gehüllt. Die Leuchte bewegte sich nach rechts – wir sahen sie hoch schweben auf der dünnen Hand, die aus den braunen Falten der Kutte hervorblickte, und im nächsten Augenblicke stiegen die bauchigen Wandungen eines Sarkophages vor uns auf. Matte und polirte Flächen übereinander und die scharfen Kanten eines seltsam verzierten Deckels glitzern uns entgegen und von den Ecken herab grinsen uns gekrönte Todtenschädel an. „Leopold der Erste!“ sagt die eintönige Stimme unseres Begleiters.

Die Geschichte ist eine harte Richterin, daß sie das Bild derer, die in ihren Blättern verzeichnet stehen, so tief in die Erinnerung der Nachkommen eingräbt, daß es auch da nicht weicht, wo persönlicher Haß und egoistische Leidenschaft schweigen – an den Gräbern der Heimgegangenen. Ich konnte vor diesem nicht an die versöhnende Vorstellung zerfallener Erdenherrlichkeit mich halten; ich dachte nur an das, was der Todte Deutschland gekostet an Ehre und Macht – daneben auch an die schreckliche Lippe, die seit ihm in gemilderter Gestalt im Hause der Habsburger erblich geworden, und die mir an seinen Büsten schon mehr als ein Mal Entsetzen eingeflößt hatte.

Unserem Führer folgend traten wir jetzt hinter das Gitter in einen andern schmäleren Gang, der zwischen diesem und den Särgen hinführte. Ein zweiter niedrigerer Schrein mit trübe blinkenden Schildern und Festons tauchte aus dem Dunkel empor.

„Karl der Sechste!“ ertönte es wie vorhin.

Auch ein Fürst, dem es nicht um’s Ganze zu thun war! Seinen Namen hat er zu verewigen gesucht durch zwei Denkmäler in der Prager St. Veitskirche: das geschmacklose Johann Nepomuk’s aus siebenunddreißig Centner Silber, um die seine Unterthanen ärmer wurden, und das schöne marmorne seiner Vorgänger auf dem Kaiserthron; dann durch ein drittes in der Geschichte, das die pragmatische Sanction heißt – aber das Vaterland setzt ihm keine Ehrensäule.

Es folgten drei schlichte zinnerne Särge; der vorderste war der unscheinbarste, jedes Zierraths und Schmuckes baar.

„Kaiser Matthias!“ rief der Capuziner.

Armer Fürst! Dein Vergehen war, Kaiser zu sein in einer Zeit, deren stürmischer Kraft die Deinige nicht gewachsen war. Niemand war wohl glücklicher, als Du selbst, da der Tod das Scepter Deiner zitternden Hand entriß. Dritthalb Jahrhunderte verronnen vor wenigen Tagen – schlaf’ in Frieden!

„Ferdinand der Zweite!“

Ha, Ferdinand, ich grüße Dich – grüße Dich von den Prager Siebenundzwanzig – eben komme ich von den Steinen, über die ihr Blut rann auf Dein Geheiß! – grüße Dich von Böhmen, dem gesegneten, das manche Tage des Elends geschaut, aber nimmer solche, wie die Deiner Herrschaft – ich grüße Dich von Deinen Freunden, den Jesuiten, die, aus Deiner Hauptstadt verwiesen, dafür Deutschlands Gefilde beglücken! Freust Du Dich nicht der Botschaft?

Neben Ferdinand liegt sein Sohn, der Dritte dieses Namens – dann folgen Mitglieder des Kaiserhauses, die keine Krone getragen. Die letzten drei Sarkophage stehen nicht parallel den andern, sondern in gleicher Linie mit der Mauer nebeneinander, so daß die Füße der Leichen nach den Seitenwänden jener gerichtet sind. Es sind zwei Geschwister Maria Theresia’s und zwischen ihnen die Oberhofmeisterin ihrer kaiserlichen Schwester, Gräfin Fuchs, die Einzige aus geringerem Stamm, die hier Theil hat an der Herrlichkeit des erlauchten Fürstengeschlechtes.

Zufällig war ich bisher der erste in der Reihe der Besucher gewesen und dicht hinter dem Capuziner hergeschritten; jetzt, als dieser den Rückweg antrat und mit hochgehobener Leuchte sich abermals an die Spitze des Zuges stellte, schloß ich denselben. Unser Führer ging rascher als vorhin und die Uebrigen folgten ihm in gleicher Weise, mir aber war, als hemmte eine dunkle Gewalt meinen Gang. Im nächsten Moment fühlte ich eine eisige Berührung meiner Hand – ich war dem einen Sarg zu nahe gekommen – als ich mich umwandte, erkannte ich den des blutigen Ferdinand. Ich mußte still stehen, wie von magischer Kraft gefesselt, und hinblicken, starr und unbeweglich nach dem Kopfende der Leiche. Ich hörte vorn den dumpfen Klang der eisernen Thür und das Rauschen der Gewänder, die an den Gitterstäben hinglitten – dann bewegte sich darüber die andere Pforte und noch einmal ertönte in meinem Rücken ein dumpfes Murmeln und das Gleiten der Füße über die Steine des Bodens hin, dann erstickte die Entfernung und die doppelte Scheidewand den letzten Laut. Ich war allein mit den Todten.

Das Auge hatte sich an das Halbdunkel gewöhnt und die Gegenstände vor mir traten in nebelhaften Umrissen aus den Schatten des Gemäuers hervor. Wo die untere Wand des Ganges an die Straße draußen stieß, da glitten durch eine enge vergitterte Oeffnung einzelne Lichtstrahlen herein und beleuchteten grell die nächsten Särge. Dort tanzten auch die Moderstäubchen, welche unter unsern Schritten aufgewirbelt waren, in der glänzenden Luft um die vorspringenden Strebepfeiler. Dunkle unregelmäßige Streifen traten auf der bleigrauen Wand hervor, als ob eine Flüssigkeit dort an ihnen herabgetroffen wäre, und wo ein Schimmer Lichtes über sie glitt, da schillerten sie in feuchtem widerlichem Grün. Ich hatte meine Hand an die eisernen Stäbe gepreßt, während mein Auge abermals über die schweigende Genossenschaft vor mir hinflog. Wie ein Sturm umbrauste es meine Stirne, mir war, als sähe ich Deckel sich heben und als hörte ich Purpurfalten rauschen. Mein Ohr vernahm es wie drohenden Zuruf der Todten, deren Ruhe ich gestört, und ich fühlte Augen, die schon längst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_038.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)