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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

leichter, wenn man sich auch nicht ganz vor ihm geborgen glaubte. Denn etwas Unverwüstliches lag in seinem Wesen. Bald machte er neuen Alarm. Der nächste Tag war kaum angebrochen, so kam der Eisenmeister gelaufen und klingelte wie toll am Hause des Arztes. „Kommen Sie nur geschwind herüber, Herr Doctor, der Franzl hat sich heut’ Nacht erhenkt. Gerade, wie ich jetzt die Runde machen wollte, seh’ ich ihn am Kreuzstock hängen. Doch weil er schon eiskalt war, hab’ ich ihn gar nicht mehr abgeschnitten.“ Spornstreichs eilte der Arzt in das Gefängniß und fand, daß sich Alles nach Bericht verhielt. In jener wilden Verzweiflung, die bei energischen Naturen entsteht, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen, hatte der kühne Räuber beschlossen, sich selbst zu morden – Sofort schnitt der Arzt die Leinwandschlingen durch; kaltes Wasser wurde ihm in’s Gesicht gegossen, aber alle Belebungsversuche blieben erfolglos. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde im Ort und Viele, die sie vernahmen, meinten, das sei die erste nützliche Handlung des Franzl. Ja, wenn er nur wirklich hin ist! setzten die Pessimisten dazu, dem Teufel darf man nicht trauen, bis er im Grab liegt. Die Section war unterdessen vorbereitet; man ging daran, die Leiche zu entkleiden. Doch siehe da, die Wimper regt sich, ein Muskel zuckt, der Todte ist wieder lebendig geworden. Es war auch die höchste Zeit gewesen, denn das Sectionsmesser lag bereits auf dem Tische. So hatte die Lebenskraft des jungen Verbrechers über seine Willenskraft gesiegt; gegen alle Absicht befand er sich diesseits.

Mit aller Sorgfalt ward er nun zum Bewußtsein und dann wieder in die Keuche gebracht, um am nächsten Tag nach München spedirt zu werden. Niemand mochte ihn gern „verwalten“; selbst das Gefängniß schien unsicher, so lang er darinnen war. Gleichwohl war er von stoischer Ergebung. Ja, es sah fast aus, als ob er kleinlaut geworden wäre, als ob er auf neue Todesarten sinne, statt sich des neuen Lebens zu freuen.

Am nächsten Tage wurde ein Bauernwagen eingespannt und Franzl, an Händen und Füßen gefesselt, nahm Platz auf demselben. Neugierig blickten die Leute auf das gefangene Wunderthier. Langsam zog das Gefährt des Weges, der dicht am Ufer vorüberführte. Plötzlich knackt es leise, die Fesseln waren zerrissen, – ein Ruck, und der Verbrecher schnellte aus dem Wagen. Kopfüber warf er sich in den See, daß die Wogen über ihm zusammenschlugen, und schwimmend suchte er das Weite. Da Niemand von seiner Bedeckung ihm folgen konnte, oder Jeder einen Ringkampf in den Wellen vermeiden wollte, so wurde ein Schiff geholt, das dem Entwichenen nachfuhr. Trotz des Vorsprungs hatten ihn die flinken Ruderer bald erreicht, allein was nun? Anfangs tauchte er unter, um sich den Blicken der Verfolger zu entziehen; jedoch sein Athem war von der Anstrengung gar bald erschöpft. Ein wahres Gefecht begann. Da ihm anders nicht beizukommen war, so ergriffen jene die Ruder und schlugen ihn, so oft er emportauchte, mit aller Macht auf den Kopf, um ihn zu betäuben. Seine Eisenstirne aber war nicht zu brechen, noch weniger war es möglich, ihn zu packen und hereinzuziehen; denn wie wüthend warf er sich auf das Schiff und suchte dasselbe umzuschlagen. Jetzt war die Gefahr auf der andern Seite und man fand es gerathen, die Verfolgung einstweilen einzustellen. Stürmisch brandeten die Wellen, als nach hartem vergeblichem Kampfe das kleine Schifflein an’s Land zurückfuhr; jener dagegen erreichte das hohe Schilf, das ihm ein sicheres Versteck gewährte.

Erst als es dunkel wurde, kroch er aus demselben hervor und fand es angemessen, für einige Zeit zu verschwinden. Wochenlang hörte man nichts mehr von ihm, und Viele glaubten, daß er im Sturm ertrunken sei. Plötzlich aber stand er wieder da, wie aus dem Boden gestiegen. Sein Wesen hatte sich nicht gebessert, dafür war die Feindschaft, die er gegen Alles hegte, was Gesetz und Friede hieß, durch die letzten Niederlagen nur geschärft worden. Jetzt nahm er die Fehde mit erneutem Ingrimm auf; er hatte sogar einen Compagnon (mit vier Beinen) gefunden, denn ein riesiger gelber Wolfshund folgte ihm auf Schritt und Tritt. Forschend sah er seinem Herrn in die Augen und leckte die räuberische Hand; auch knurrte er der ganzen Welt so misanthropisch entgegen wie sein Gebieter. Dieser schien ihm nicht minder zugethan, denn wenn er seine Mahlzeit forderte, so reichte er ihm den ersten Bissen, und wer sich weigerte, dem zeigte der „Wolf“ die Zähne, noch eh’ sein Herr mit den Augen winkte. Er besaß die einzige Liebe, die dem Burschen geblieben war, und wenn man den Beiden begegnete, so sah man’s ihnen an, daß sie auf Leben und Sterben verbunden waren.

Unterdessen trieb es der Franzl ärger als je zuvor. Von Tag zu Tag ward er ungestümer und der Schrecken unter den Leuten größer. Eines Nachts hatte er wieder eine Bauersfrau geweckt, daß sie ihm kochen sollte. Zagend erschien sie am Fenster und weigerte sich der seltsamen Zumuthung, während er unten vor der Altane stand. Da ergriff er das breite Messer und stieß es in’s Haus, daß es durch die Balken fuhr. „Hast Du’s g’sehn? ’s nächste Mal trifft’s bei Dir,“ rief er drohend hinauf, und ging mit dem schäumenden Hund von dannen. Alle Nachforschung der Behörden blieb erfolglos, denn einen Schelm in den Bergen aufzuspüren, ist verlorene Mühe. Längst hatte die öffentliche Meinung ihn vogelfrei erklärt; und so geschah es denn, daß auch von Amtswegen ein Preis auf seine Einbringung gesetzt wurde. Es war das äußerste Mittel.

An der Straße, wo die Wege sich kreuzen, steht ein einsames mächtiges Wirthshaus. Es ist noch ganz im alten Styl errichtet; eichene Tische und steinerne Krüge. In der Bauernstube hängt das Fuhrmannszeichen, unter dem Ofen schnarcht der Kettenhund und der Wirth ist noch der mächtige souveräne Gebieter. Hier saßen in später Stunde einige Genossen zusammen, den Hut auf dem Kopfe und die trotzige Feder weit vorgerückt. Plötzlich ging die Thüre auf; ein gedrungener Bursche trat herein und setzte sich bei ihnen am Tische nieder. Jeder kannte ihn, so gut wie wir ihn kennen.

Es war am selben Tage, wo der Steckbrief gegen ihn erlassen worden war. „Weißt Du’s schon, Franzl, daß sie Dich verschrieben haben?“ rief der Eine. „Fünfzig Gulden kriegt der, der Dich fangt,“ versetzte ein Anderer. „Das muß Dich doch freuen, weil die Leut allweil sagen, Du bist nix werth!“ Lautes Gelächter scholl durch die Stube; der Franzl verzog aber keine Miene, sondern stemmte die Hände in die Seite und rief: „Nun ja, da habt ihr mich, so fang’ mich halt einer, wenn ihr a Schneid habt und kein Geld.“ Niemand rührte sich; nur unter dem Tische knurrte der gelbe Wolf, als ob er die Worte verstanden hätte. Schweigend setzte sich der Räuber nieder und trank dann gemüthlich mit den Andern weiter, wie er es so oft gethan. Etwas stiller als sonst aber war er doch geworden, denn nach einer halben Stunde legte er seine Kupferkreuzer auf den Tisch und ging in die Nacht hinaus, ohne sich mehr umzusehn. Nur der Hund wandte den Kopf unter der Thür und zog zornig die Lippen empor, daß die riesigen Fangzähne herausstachen. „Heut hat er keine Freud nit mit den Karten,“ sagte der Eine, der ihm ein verbotenes Hazardspiel angetragen hatte. „Glaub’s gern,“ erwiderte der Nachbar, „daß einen ’s Spielen nimmer freut, wenn man’s selber verspielt hat.“ Und dann rückten sie enger zusammen und munkelten: „Diesmal kommt er nimmer durch.“ „Todt oder lebendig, heißt’s in dem Schreiben,“ fügte Einer halbleise bei.

Zwei Tage waren seitdem verstrichen, da pochte der Franzl wieder an die Thür eines Bauernhauses. Es war in der Nähe von Gmund, auf jenem Höhenzug, der wie ein Riegel vor dem Gebirge liegt und von Tegernsee bis Miesbach hinüberreicht. Als die Bäuerin unter die Thüre trat, erkannte sie wohl in verhaltenem Schreck den Missethäter, allein sie stellte sich, als ob sie einen Armen aufnähme, und hieß ihn in die Stube treten. Unterdessen rief ihr Mann die Nachbarn zu Hülfe. Lautlos schlichen die Gerufenen durch die Hinterthüre in den Stall und beriethen dort, wie man ihn überwältigen könne; aber keiner hatte den Muth dazu. „Todt oder lebendig, heißt es im Schreiben; wie wär’s, wenn wir ihn niederschießen?“ Unter den Herbeigeeilten war ein junger Soldat, der als guter Schütze berühmt und erst vor wenigen Tagen vom Regiment zurückgekehrt war. Dieser beurtheilte den Fall nach Standrecht und meinte, daß nicht für die Einbringung des Todten, sondern für die Tödtung der Preis bestimmt sei. Der bringt doch noch Einen um, wenn er weiter lebt, dachte er sich, und da ist’s besser, ich bring’ ihn selber um. „Hinten beim Ofen hängt mein Zwillingsstutzen,“ flüsterte der Bauer und dann trat athemlose Stille ein.

Unterdessen hatte der Franzl sein Mittagsbrod verzehrt und rüstete sich zum Aufbruch.

„B’hüt’ di Gott, Bäuerin,“ rief er, „und wenn Dich wer fragt, wem Du aufgewart’ hast, dann sag’ nur: dem Wiesbauerlumpen.“

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