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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu benützen gesucht. Selbst die Handels- und Verkehrserleichterungen und die Milderung der Lage der armen Fellahs, welche unter Said eingetreten waren, sind von Ismail factisch wieder aufgehoben worden. Die Masse der Nation, die drei und eine halbe Million eingeborener Aegypter, schmachtet noch heute, kaum das nackte Leben fristend, in einem unbeschreiblichen materiellen und geistigen Elende.

Ein durch und durch praktischer Mann, ist Ismail viel schwieriger zu behandeln, als sein ungestümerer und weniger überlegender Vorgänger. Was Findigkeit und zähe Schlauheit betrifft, so können unsere gewiegtesten Diplomaten bei dem Khedive in die Schule gehen, wie er denn auch in verschiedenen Differenzen mit europäischen Mächten schließlich den unbestrittenen Sieg davongetragen hat. Allerdings besitzt er in seinem ersten Minister einen unvergleichlichen Gehülfen und Förderer seiner Pläne, einen Mann, der durch seinen erfinderischen Kopf und seine gewandte Feder für Aegypten und dessen Regenten das geworden ist, was in seinen Blüthentagen Reschid Pascha dem Sultan war. Obschon von Geburt ein armenischer Christ, also von vornherein mit den schwersten socialen Hemmnissen kämpfend, hat sich Nubar Pascha, durch sein überlegenes Talent und seine ungewöhnliche Bildung, doch schon als junger Mann erst Said und dann Ismail bei ihren heikelen Verhandlungen mit den europäischen Mächten und deren Geschäftsträgern in Aegypten unentbehrlich zu machen verstanden. Die hauptsächlichsten der modernen Sprachen sprechend oder doch verstehend und von Kindheit an für das diplomatische Handwerk geschult, schwang sich Nubar Pascha von einem untergeordneten Posten im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten unter Abbas Pascha, unter dessen Nachfolger Said rasch zum Premierminister auf, welchen Posten er auch heute unter Ismail noch bekleidet.

Nubar Pascha’s äußere Erscheinung hat etwas ungemein Ansprechendes. Sein südlich dunkeles Gesicht ist rund und voll mit regelmäßigen Zügen und glänzenden schwarzen Augen. Die beständig lächelnde Lippe und die immer glatte, unbewölkte Stirn des Mannes lassen nicht ahnen, welche Schlauheit und Energie sich dahinter versteckt, denn, gleich allen hohen Würdenträgern des Ostens, heuchelt auch Nubar Pascha eine Apathie und Indolenz, die seinem eigentlichen Wesen ganz fremd sind. Seine Sprachfertigtet kommt dem polyglottischen Talente des Cardinals Mezzofanti nahe; theils im Abendlande, theils in Constantinopel erzogen, spricht er fast eine fremde Sprache so gut wie die andere. Der Erbe eines enormen Vermögens, hat er dasselbe durch glückliche Speculationen noch beträchtlich zu vergrößern gewußt und ist gegenwärtig unter den reichen orientalischen Paschas wahrscheinlich einer der allerreichsten. Zu seiner Ehre sei aber bemerkt, daß er seine Carriere nicht etwa der Apostasie verdankt, vielmehr hat er sein Christenthum niemals verleugnet und schwört bis heutigen Tages zu dessen Fahne.

Zwei Eigenschaften machen sich in Ismail’s Charakter die Herrschaft streitig: seine Geldgier und sein Ehrgeiz. Die erstere hat ihn zum größten Pflanzer und Kaufmann des Landes werden lassen, zum Bankier, Speculanten und Monopolisten, und anstatt seinen Reichthum in fürstlichen Passionen und Festlichkeiten zu vergeuden, wie es Said zu thun liebte, ist er so klug gewesen, Schätze auf Schätze zu sammeln und durch ganz Aegypten sich Grundbesitz zu erwerben, so daß er in seinem Reiche geradezu für geizig gilt. Als Baumwoll- und Zuckerproducent hat er ein ganz besonderes Talent für mercantilische Speculation an den Tag gelegt und jedweden Vortheil seiner Stellung auf das Geschickteste auszubeuten verstanden.

Zur Zeit, als die Viehseuche so ziemlich alle Lastthiere Aegyptens dahinraffte, führte der Vicekönig ungeheure Mengen der letztern ein und verkaufte sie mit hohem Nutzen. Sein ganzer Import ging ohne Quarantäne ein und war von Zöllen und Abgaben jeglicher Art befreit, so daß jede ausländische Concurrenz völlig ausgeschlossen und ihm das Monopol der Lieferungen blieb. Auch in englischen Steinkohlen soll er höchst glücklich speculirt haben; ägyptische Staatsschiffe mußten den Transport derselben frachtfrei übernehmen, so daß für Ismail auch hierbei ein ganz erklecklicher Gewinn abfiel, denn die jährlich aus England nach Aegypten gehenden Steinkohlen belaufen sich auf ein Quantum von nahezu viermalhunderttausend Tonnen.

Die Behandlung der Fellahs, welche unter unerbittlichen Aufsehern die ausgedehnten Ländereien des Khedive bebauen müssen, ist eine wahrhaft empörende. Früh und spät werden sie mit der Peitsche zur Arbeit angehalten. Ismail’s Reichthum ist mithin buchstäblich dem Schweiß und Blut seiner unglücklichen Unterthanen abgepreßt worden. Factisch sind sie Sclaven, wenn sie schon officiell nicht so heißen. Jene menschenfreundlichen internationalen Bestrebungen, die sich die Ausrottung des Sclavenhandels am weißen Nil zum Ziele gesetzt haben, kommen ihnen also nicht zu gute.

Die andere Charaktereigenschaft des Vicekönigs – jener intensive Ehrgeiz, welcher als Erbstück von Mehemed Ali auf ihn übergegangen ist und bei Said Pascha die größeren Verhältnisse des Patriotismus angenommen hatte – brennt in seiner egoistischeren Brust wie ein verzehrendes Feuer. Dieser Ehrgeiz hat ihn auch nicht ruhen und nicht rasten lasten, als bis er endlich das Ziel erreicht sah, welches der Lieblingstraum schon sämmtlicher seiner Vorgänger war, für welches sie Alle die unsäglichsten Opfer gebracht, die unerhörtesten Anstrengungen gemacht haben, ohne je reussiren zu können – die Thronfolge in der directen Linie seiner männlichen Nachkommenschaft.

In Aegypten, wie noch heute in der Türkei, war nämlich nicht der älteste Sohn des jedesmaligen Regenten der künftige Erbe des Thrones, sondern der älteste männliche Sprosse der Dynastie überhaupt, und der Umsturz dieser durch altes Gesetz geheiligten Bestimmungen, welchen Ismail schließlich durchgesetzt hat, muß eben so wohl als ein bedenkliches Wagestück von Seiten des Sultans als für ihn selbst betrachtet werden; denn in dem Ferman, das Aegypten als ein erbliches Paschalik erklärte, war dieses alttürkische Nachfolgegesetz ausdrücklich hervorgehoben und seit dem Vertrage zwischen der Hohen Pforte und Mehemed Ali, welchen die europäischen Großmächte garantirt hatten, immer gewissenhaft befolgt worden.

Ismail Pascha ist indeß möglich geworden, was seinen Vorgängern unmöglich war; die Pforte hat seinen Sohn als den künftigen Khedive anerkannt und bis jetzt keine der Großmächte einen Einspruch wider die willkürliche Verletzung einer Vertragsbestimmung erhoben, eben so wenig aber auch einer der geschädigten Prinzen gegen den Act protestirt. Stillschweigen ist jedoch nicht allemal gleichbedeutend mit Einwilligung, am allerwenigsten im Orient, wo man an die Löwenhaut, falls sie nicht zureicht, gern ein Stückchen Fuchspelz anzustücken pflegt. Nach dem alten Gesetz hätten die nächste Anwartschaft auf die Nachfolge in Aegypten gehabt: Mustapha Pascha, der Bruder, und Halim Pascha, der Onkel Ismail’s, der Erstere blos sechs Wochen, der Letztere nur zwei Monate jünger als der derzeit regierende Vicekönig, dessen Sohn erst zehn Jahre alt ist. Diese beiden Prinzen sind gleich gescheidte Männer, sehr populär im Lande und stützen sich auf eine mächtige Partei. Wenn sie für jetzt schweigen, so geschieht dies lediglich aus Furcht vor unliebsamen Maßnahmen, die sie treffen würden, wollten sie ihre Ansprüche geltend machen. Mustapha Pascha erfreut sich des Vorzugs europäischer Bildung in höherem Maße als alle anderen Mitglieder seiner Familie. Er hat einen großen Theil von Europa bereist und lebt viel in Paris, wo er in der besten Gesellschaft verkehrte, namentlich in literarischen und künstlerischen Kreisen. Ein Mäcen von Kunst und Wissenschaft, zeichnet er sich durch eine wahrhaft fürstliche Freigebigkeit aus. Auch in Constantinopel hat er sich längere Zeit aufgehalten und hohe Aemter unter der türkischen Regierung bekleidet. Aber er ist bekanntlich ein Reformer und das anerkannte Haupt der „jungtürkischen“ Partei; darum hat ihm der Sultan, welcher die Reform nur auf dem Papier liebt, seine Gnade, seine Aemter und seinen Einfluß entzogen. Ja, die Erbitterung, die den Großherrn gegen ihn ergriff und welche die den schwachen Monarchen in ihren Banden haltende alttürkische Partei immer von Neuem zu schüren suchte, hat ohne Zweifel eben so viel wie die reichen Spenden Ismail’s dazu beigetragen, daß dieser Letztere die Umstoßung des alten Successionsgesetzes endlich glücklich erwirkte.

Gleich dem türkischen Botschafter Dschemil Pascha ist auch Mustapha ein ausgesprochener Liebling der Pariser Damen und sein rother Tarbusch in jedem vornehmen Salon eine willkommene Erscheinung, wo sein ausgezeichnetes Conversationstalent den Vergleich mit den gesuchtesten „Causeurs“ der modernen Pariser Gesellschaft nicht zu scheuen braucht. Eben so hat er sich von jeher durch seinen Hang zur Intrigue hervorgethan, und seine Schlauheit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_779.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)