Seite:Die Gartenlaube (1869) 675.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


No. 43.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.
(Fortsetzung.)


Der Ball hatte an einem Dienstag stattgefunden. Die Woche verging, Clemens ließ sich nicht bei der Tante sehen.

„Das ist doch fast eine zu große Gleichgültigkeit gegen Verwandte,“ brummte diese. „Gott im Himmel, wenn ein Neffe in mein Haus kommt, werde ich doch nicht gleich glauben, daß er mein Geld will, und nun gar ein Sohn Brücken’s. Hm, für den Hasso plünderte er mich gern, aber doch nicht für sich und seine Pflanzen.“

Am Sonntagmorgen, als Hasso wie gewöhnlich vom Lande hereinkam, hörte er schon aus dem Flur draußen die Stimmen der Schwestern in hellem Jubelton in einander klingen.

„Was ist passirt, Dore?“ fragte er diese, aber sie lachte ihn nur an und zeigte auf die Thür.

Er riß diese hastig auf und Rose trat ihm entgegen. Mit ausgestreckter Hand ging sie auf ihn zu. Sie hatte aber nicht Zeit, ein Wort des Willkommens zu sagen oder zu empfangen, Tante Rosine fuhr in höchster Aufregung dazwischen.

„Sie hält Wort, sie giebt ihr erstes Concert hier bei uns, für mich!“ rief sie ganz entzückt. „Rose, das vergesse ich Dir nicht! Und wie hübsch Du geworden bist, Kind! Du wirst Liddy und Elly ausstechen – und zum Theater geht sie auch nicht, das ist brav. Das freut mich, daß Du auf mich gehört hast,“ so schwatzte sie bunt durcheinander.

„Rose auf’s Theater gehen!“ sagte Hasso. „Als ich in Berlin war, hoffte Madame Durando immer es durchzusetzen, ich wußte wohl, daß Du es nicht thun würdest, Rose.“

„Nein, nein, das konnte ich dem lieben alten Großvater nicht zu Gefallen thun, das nicht!“ versicherte sie.

„Nicht von den Todten reden!“ rief Rosine dazwischen. „Sie holen die Lebenden nach und ich bin die Aelteste, will aber erst recht noch nicht sterben.“

„Wer möchte es, wer vermöchte es, wenn man so glücklich ist,“ sagte Hasso, Rosens Hand noch in der seinen und das schöne Mädchen mit Entzücken betrachtend. „Du bist doch verändert, Rose,“ sagte er dann gedankenvoll. „Vor drei Jahren hattest Du Dein Kindergesicht noch, jetzt ist etwas Fremdes hinein gekommen, was ist es?“

Eine leichte Blässe löste die frühere Farbe ihrer Wangen ab.

„Vielleicht nur Müdigkeit, Abspannung,“ entgegnete sie, „ich bin in den letzten Monaten sehr angestrengt worden. Ich habe mich deshalb schon jetzt frei gemacht und denke noch für einige Zeit irgendwo auf’s Land zu gehen, mich bei irgend einer Pfarrers- oder Amtmannsfamilie einzumiethen, um mich gründlich zu erholen, ehe ich mein Engagement antrete.“

„Komm nach Lichtenfeld heraus, ich spreche mit Bütows,“ rief Hasso lebhaft aus. „Es sind liebe Leute und wir haben schon frische Gebirgsluft in Lichtenfeld.“

„Unsinn!“ erklärte die Tante. „Wenn sie Landluft braucht, die Luft ist frisch genug hier, und wozu habe ich Gülzenow? Ihr wolltet ja das alte Eulennest immer ’mal sehen, Kinder. Gut, wenn die Bälle zu Ende sind, fahren wir hinaus und Du kommst mit.“

Dieser Vorschlag war ein so unerhörter Gunstbeweis, daß Dore, die im Zimmer war, vor sich hinbrummte: „Na, nu geht die Welt unter!“ Bei den Betheiligten aber erregte dieser überraschende Plan großen Jubel. Selbst Ursula fand ein paar beredte Worte, ihre Freude auszudrücken: Rosens Augen strahlten. Hasso fing den Blick auf, obgleich er wohl nicht ihm galt.

„Also nach Gülzenow, Du hast es versprochen, Tante!“ rief Elly, und Liddy meinte sogar: „Können wir nicht gleich hin? wir haben genug getanzt, wir wollen gleich hin.“

„Affen Ihr! Ich weiß nicht, was Ihr Euch von Gülzenow denkt, warum Ihr so dorthin verlangt. Es ist doch ein verwünschtes Nest und das einzige Gute wird sein, daß kein Wagen in unsere musikalischen Freuden hineinrasseln kann. Ich werde wenigstens nicht dulden, daß ein Gespann über den Hof fährt, während gesungen wird, und wenn ich mir wer weiß wie viel Fuder Heu dadurch vor dem Regen retten könnte,“ behauptete die Tante.

Hasso lachte hell auf.

„Das sollte Herr Bütow hören,“ rief er lustig scherzend, „er machte drei Kreuze vor der Landwirthin.“

„Mag er!“ sagte sie abweisend. „Güter, die nichts bringen, und Menschen, die nicht spielen oder singen, können mir gestohlen werden.“

„Ich glaube, Gülzenow wird Dir halb und halb gestohlen,“ meinte Hasso ernsthaft. „Alle Welt sagt, es sei ein schönes Gut.“

„Ich liebe nicht, daß mit aller Welt über mein Eigenthum gesprochen wird. Wenn ich mich bestehlen lassen will, wen geht’s was an?“ sagte die Tante rauh und warf einen mißtrauischen Blick auf Hasso, den er aber nicht bemerkte.

„Warum berührtest Du den wunden Punkt?“ sagte Ursula nachher leise zu ihm, „dachtest Du nicht an ihr Mißtrauen?“

„Ach, das ganze Mißtrauen ist ja Unsinn,“ wies Hasso die Warnung zurück. „Soll ich deshalb schweigen wenn sie betrogen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_675.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2020)