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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Cousine, als daß Du, nachdem er die nöthige Reife erlangt hat, den Nutzen zögest, der für Dich daraus erwachsen würde, daß Du ihm die Verwaltung Gülzenow’s übertrügest.“

„Wundervoll! Ich danke für den Verwalter,“ sagte Rosine unwillig. „Der jetzige, der Jahre der Erfahrung für sich hat, bringt in der Sandbüchse nichts zuwege und die Einkünfte decken kaum Zinsen und Wirthschaftskosten.“

„Liebe Cousine, warum entlastest Du das Gut nicht, warum zahlst Du nicht Capital ab und machst es frei? Vor allen Dingen, warum vertraust Du es nicht andern Händen an?“

„Das alte Lied!“ warf Rosine dazwischen.

„Der arme Junge würde es späterhin ein gut Theil leichter haben und die Mädchen hätten immer noch genug,“ sagte der Major, mit seinem ehrlichen Ungeschick nur das Wohl seiner Mündel im Auge und das Mißtrauen der Tante für eine Grille haltend, die man am besten ignorire.

Auf Rosinens Stirn bildeten sich rothe Flecken, das Herz schlug ihr heftig.

„Was habe ich mich doch dieses verdammten Eulennestes wegen schon ärgern müssen!“ brach sie los. „Habe ich’s denn etwa aus Eigennutz übernommen? Ich that es doch nur dem Vater zu Liebe, um es vor Subhastation zu bewahren. Ich zahlte von meinem mir durch die Tante zugefallenen Erbtheil die rückständigen Zinsen und die fällige Hypothek und übernahm es mit allen Schulden, nur um den alten Familienbesitz, an dem mein Vater hing und gewissermaßen ich auch, nicht in fremde Hände übergehen zu lassen. Was sollte ich anders thun?“

„Es konnte anders eingerichtet werden,“ versicherte der Major. „Wenn Du das Gut nicht kauftest, sondern Deines Vaters Gläubiger wurdest, so hatten die Kinder gleiches Anrecht wie Du, Hasso als männlicher Erbe vielleicht moralisch ein größeres. Ihr wart gemeinschaftliche Besitzer, Du hattest nicht allein über die Verwaltung zu entscheiden, die Kinder oder vielmehr deren Vormund sprach mit –

„Das wollte ich gerade nicht. Entweder, oder!“ erklärte die Tante. „Das hätte mir gefehlt, mich all den Quängeleien und Bevormundungen auszusetzen, die ein solches Verhältniß herbeigeführt haben würde.“ –

Der Major, ohne sich an den Einwand zu kehren, fuhr fort:

„Dein Capital stand sicher, das Gut ist schön, seine Einkünfte tragen mehr als die Zinsen der darauf stehenden Schulden und die Wirthschaftskosten. Dein Verwalter ist meiner Meinung nach ein Schuft, aber Du bist seine Herrin und ich kann mich nicht einmischen. Ich kenne den Kerl. Er hatte nichts an und auf dem Leib, als er hinkam, und soll sich jetzt Grundbesitz in Polen gekauft haben.“

„Das ist mir gerade lieb, ich will, daß meine Leute sich gut stehen“ fertigte Rosine den Major ab.

„Auf Kosten Deiner Bruderskinder, die ein thörichter, im Verzagen gefaßter Entschluß, den der Verstorbene bereut haben soll, ihres Erbes beraubte,“ entgegnete Brucken indignirt.

„Wo steht das geschrieben?“ fuhr sie auf.

„Hier,“ sagte er und schlug sich auf’s Herz. „Alles das, was ich Dir heut und vorher schon hundertmal auseinandergesetzt habe, natürlich vergebens, weil Du ein Weib bist und diejenigen am meisten auf ihr Herrscherrecht trotzen, die am wenigsten Fähigkeit haben, es vernünftig auszuüben –“

„Leo, Du bist ein Grobian,“ rief sie dazwischen.

Er fuhr ruhig fort, da anknüpfend, wo er stehen geblieben war „es vernünftig auszuüben, das Alles sagte ich Deinem Vater, als ich ihn das letzte Mal vor seinem Tode sah, und er versprach mir, mit Dir darüber zu sprechen –“

„Er hat es nicht gethan,“ unterbrach ihn Rosine.

„Schriftlich vielleicht,“ fuhr der Major fort.

„Ich habe seine Papiere durchgesehen und nichts gefunden,“ erklärte sie.

„Aber Andere willst Du nicht suchen lassen? Vier Augen sehen bester als zwei,“ sagte der Major.

„Nein!“ fuhr sie heftig auf, „ich lasse mir kein Mißtrauenszeugniß ausstellen.“

Der Major zuckte die Achseln.

„Sage was Du willst,“ fuhr sie fort, „all deine Annahmen von besserer Bewirthschaftung, von höherem Ertrag, von der Unredlichkeit des Verwalters, dem ich vertraue, weil ich ihn kenne, das Alles sind nur Hypothesen. Es ist Dir nur ärgerlich, daß ich das Gut habe, weil ich eine Frau bin und Ihr Männer es einmal nicht gelten lassen wollt, daß eine solche auch das Regiment führen oder gar als Haupt einer angesehenen Familie repräsentiren könne. ,Frau von Fuchs auf Gülzenow“, das mißfällt Dir, mir aber gefällt’s gerade und ich will’s bleiben, nicht einen Acker, nicht eine Wiese, nicht einen Stein trete ich von dem Schloß und Gebiet Gülzenow ab.“

„Gut, aber in’s Grab kannst Du Gülzenow doch nicht mitnehmen, und Deines Bruders Kinder sind Deine natürlichen Erben.“

„Natürliche Erben sind natürliche Feinde!“ schrie die Dame, ihre Stimme zu den höchsten Tönen erhebend, und die Haube hatte schon wieder eine bedenklich schiefe Richtung, „ich will nicht, daß auf meinen Tod gelauert wird. Er wird früh genug kommen, auch ohne daß die auf mein Eigenthum gierig gerichteten Augen ihn herbeiwünschen.“

„Weiß Gott, das thut Keiner,“ versicherte der Major begütigend. „Ich betrachte nur den Tod als etwas sehr Natürliches und irdisches Eigenthum als etwas sehr Unwesentliches nach dem Tode, deshalb scheute ich mich nicht, das Thema zu berühren, da es entscheidend für meiner Mündel Zukunft ist und bei Berathung derselben nicht außer Acht gelassen werden darf.“

„So abstrahire bei den Zukunftsplänen ganz von der Erbschaft,“ erklärte die Dame, „ich verpflichte mich zu nichts. Ich habe die Waisen aufgenommen und erzogen, weil ich Platz im Hause hatte und Einer doch für sie sorgen mußte außer dem Vormund, dessen Wirkungskreis durch seinen Namen deutlich genug bezeichnet wird. Es muß außer dem Vormund,“ setzte sie spöttisch hinzu. „immer noch Einer sein, der für den Mund, das heißt der dafür sorgt, daß etwas in den offenen Schnabel der Verwaisten hineinkommt. Dieser Fürmund , mein Herr Vormund und Vetter, bin ich gewesen. Es war viel Plage dabei, und ich habe wohl ein Recht, die einzige Freude, die ich davon habe, auch ein wenig bei den Zukunftsplänen in Betracht gezogen zu sehen. Das Leben ist ein jämmerliches Ding, Vetter, und Vergänglichkeit die Frucht desselben, eine vergiftete, todbringende Frucht. Die Schönheit verwelkt und die Fremde daran ist eine kurze. Ein Thor, wer die Zeit nicht nützt. Schönheit erfreut das Auge, Musik das Herz. Ich will von Beiden so viel haben. wie ich immer kann. Was hätte ich von Ursula und Hasso, wenn sie nicht sängen! Sie sind sonst Beide nicht nach meinem Geschmack, ich verstehe die stillen Wasser nicht, ich will Bewegung. Aber sie singen, und wenn sie singen, sind sie andere Menschen, die ich verstehe und die ich nicht missen möchte. Wenn ich Musik höre, sind alle Menschen gut. Im Augenblick, wo Einer singt oder spielt, wird er nicht daran denken, daß ich sterben werde und er mich beerben kann.

„Ich will, wenn’s nicht anders ist, meinetwegen die Musik, die sie mir vormachen, bezahlen, so hoch wie sie wollen, ich bin nicht geizig, und aus Geiz hänge ich nicht an meinem Eigenthum, nur weil’s mein ist und Keiner darein zu reden hat. Also Geld, so viel sie wollen, auch die Erlaubniß für Hasso, in Lichtenfels die Wirtschaft zu lernen, aber auf die Universität lasse ich ihn nicht.“

„Pardon, darüber habe ich zu entscheiden,“ schaltete der Major ein. Die Dame überschrie ihn:

„Soll er sich durch Kneipen und Biertrinken die Stimme verderben? Was braucht er zu studiren, wenn er Landwirt werden soll?“.

„Damit ihm allezeit der Weg zum Staatsdienst offen steht, wenn’s mit der Landwirtschaft nicht geht,“ fiel der Major ein. „Man kann ihn nicht wie einen reichen jungen Mann mit Berücksichtigung von Talenten und Liebhabereien erziehen, sondern wie Einen, dem man die Bahn des Erwerbs nach jeder Richtung hin öffnen muß.“

„Dann werde ich ihm Gülzenow verschreiben und er bleibe erklärte Rosine.

„Gülzenow mit all den Schulden, nachdem alle die Jahre hindurch versäumt sind, in denen sie hätten zum Theil wenigstens getilgt werden? Wie sollte er das Gut wohl annehmen ohne einen Groschen Capital! Wenn Du das Gut vermachst, mußt Du auch die Mittel dazu geben, es zu erhalten, sonst ist er von Hause aus bankerott auf demselben.“

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