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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

einem kleinen Beil, Speckspaten, Compaß, einem Fäßchen mit Wasser und einem anderen, die Laterne und etwas Schiffsbrod enthaltend; häufig führt man auch jetzt eine sehr schwere, kanonengleiche Büchse mit eisernem Sprenggeschoß geladen.

Die Leine, ungefähr einen Zoll stark und vom besten Manila-Hanf gedreht, durchschnittlich dreihundertfünfzig Faden lang, ist mit der gewissenhaftesten Sorgfalt in zwei flache, zwischen den Ruderbänken befestigte Zuber eingerollt; von diesen aus ist sie nach hinten gelegt, schlingt sich im Stern um einen Kopf von hartem Holz und läuft von dort, zwischen der Bemannung hindurch, über die ganze Länge des Bootes nach vorn und vermittelst einer kleinen führenden Rolle im Bug hinaus in die Tiefe. An diesem Ende der Leine sind nun die beiden Harpunen befestigt, welche ein geübter Harpunier, der Sicherheit wegen, schnell hintereinander dem angegriffenen Thiere „giebt“. In jedem Boot befinden sich ein Steuermann, ein Harpunier und vier Ruderer, erlesene Leute, welche stets ihren bestimmten Platz haben, um ein erfolgreiches Zusammenwirken zu ermöglichen, und welche auf die Leistungen ihres Fahrzeugs äußerst eifersüchtig sind. –

Nun beginnt die wilde Jagd; mit ermunterndem Zuruf feuern wir uns gegenseitig an und die schweren Ruder biegen sich in langem, gleichmäßigem Zuge. Mit weitem Auge überblickt der Officier die unruhige See und mit kräftigem Schwung seines Steuerruders wirft er das Boot schnell in jede günstige Richtung. So nähern wir uns den Walen, die vereinzelt auf und nieder tauchen. Soeben ist einer derselben an die Oberfläche des Wassers gekommen, nicht weit von uns zeigt sich sein „Spant“ (Athemstrahl); wie das Boot fliegt! „Streicht, Jungen! Streicht! Der Officier spricht mehr durch Geberden als durch Worte; geräuschlos zieht der Harpunier sein Ruder ein, sich im Bug aufrichtend, prüft er nochmals vorsichtig die Leinen und, den linken Schenkel fest angestemmt, wiegt er den schweren Schaft der Harpune in den Händen. Pfeilschnell nahen wir der runden, schwarzglänzenden Masse, schon strafft sich der Arm zum tödtlichen Wurf – da versinkt der wachsame Wal und wir schießen im nächsten Augenblick über die leere, strudelnde Stelle.

Die Beute ist entkommen, athemlos und enttäuscht haben wir das Nachsehen. Zum größten Aerger wird unser Boot auch noch zum Schiff zurückgerufen, da wir, bei dem zum Abend heftiger werdenden Wind, helfen sollen, die Segel zu kürzen. Dies gethan, stehen wir verdrießlich an Deck und beobachten mit sehnsüchtigen Blicken die anderen Fahrzeuge.

Die Jagd zieht sich mehr und mehr windwärts; das eine Boot hat es möglich gemacht, den kleinen Mast aufzurichten, jetzt fliegt es unter gerefftem Segel vor dem Winde her, wie ein Raubvogel auf einen träge in den Wellen liegenden Wal zuschießend. Unsere Spannung steigt auf’s Höchste – noch eine Minute – noch eine einzige halbe Minute und sie werden in Wurfweite sein – da! – der Wal hat den nahenden Feind bemerkt, er hebt sich zum Hinabtauchen – zu spät, alter Bursche – heran braust das brave Boot, im Bug steht der Harpunier wie ein Neptun, ausholend mit mächtigem Wurf entsendet er das Eisen und mit wuchtigem Fall begräbt es sich in dem Riesenleibe des verschwindenden Thieres.

Ein Moment peinlicher Ungewißheit – der Wal ist untergetaucht, er hat nur eine Harpune bekommen – das Boot schwankt auf den quirlenden Wassern, sein kleines Segel flattert im Winde – aber jetzt! – dort geht es hin, von einer unsichtbaren Macht fortgerissen über und durch die Wellen. „Fest! fest!“ schreit und jubelt Alles, die wilde Lust kennt keine Grenzen. Die Flagge entfaltet sich an der Gaffel und die wehenden Sterne und Streifen verkünden den anderen Booten das glückliche Ereigniß und sie eilen mit Aufbietung aller Kräfte zu Hülfe. Unterdessen hat sich der harpunirte Wal dem Schiffe genähert, er taucht auf und verschwindet wieder; doch nun eilt auch das festgemachte Boot herbei, jetzt erst den eigentlichen Kampf zu beginnen; aber wo ist die Beute? – da! seht! Im Nu ist die Nußschale emporgehoben und überworfen, der ungeschlachte Kopf des Wals erscheint einen Augenblick über Wasser, und dann senden die gewaltigen Schläge des Schwanzes die Trümmer nach allen Seiten. Wassergarben werden emporgeworfen, Schaum und Gischt bezeichnen die Unglücksstätte, wo sich das bösartige Thier zwischen den Ueberresten umherwälzt, wüthend nach den Stücken beißend.

Der Capitän auf der Mastspitze tobt. „Bringt mir diesen Fisch, Jungen! Bringt mir diesen …“ Mehr hören wir nicht; nach unserm Boote stürzend sind wir schnell hinunter auf das Wasser und legen uns in die Ruder; die Anderen mögen unsere umherschwimmenden Cameraden retten, an uns ist es, sie zu rächen.

Im Fluge nehmen wir die Richtung, in welcher der Wal verschwunden ist; hoch empor heben uns die Wellen, dann wieder sinken wir hinab zwischen flüssige Berge und das Spritzwasser kühlt unsere heißen Stirnen, rastlos arbeiten die Ruder – der Wind braust, es fängt an dunkel zu werden, wir beachten es nicht, wir rudern, eifrig, entschlossen. – Auf dem Rücken einer Woge reitend, sichten wir plötzlich eine unförmliche Masse, rings von einem weißen Kranze brechenden Wassers umgeben. Das ist er, der Unheilstifter! Gemächlich schwimmend steuert er quer über unserm Curs, die lange Leine des zerschlagenen Bootes nach sich ziehend. Jetzt eine letzte Anstrengung! Wir nähern uns pfeilschnell; der Harpunier ist fertig – noch einen Ruderschlag und noch einen – und: „Gieb es ihm!“ preßt der Officier durch die zusammengebissenen Zähne. Mächtig geschwungen saust das Eisen und mit dumpfem „Tschug“ sitzt es fest, fast gleichzeitig läuft das Boot gegen den Wal, im vollen Schuß hinaufgleitend auf den breiten, schlüpfrigen Rücken und mit wüthendem Stoße wird die zweite Harpune „gesetzt“. „Stern! Stern!“ schreit Alles, das Wasser dampft und rauscht, die dünnen Bretter beben und biegen sich zwischen uns und sicherem Tode. „Stern! Um Gotteswillen, Stern!“ In wilder Aufregung schieben und rudern wir rückwärts – umsonst – die Wellen waschen in das Boot, es fängt an sich zu füllen – dem hintersten Mann wird das Ruder in den Händen zerschlagen, der Wal taucht hinab – noch ein heftiger Stoß, Wassermassen überschütten uns – und jetzt endlich sind wir frei; schwerfällig rollt und schwankt unser halbvolles Fahrzeug in der strudelnden Fluth.

„Habt Acht! Die Leine!“ Schon strafft sie sich an, schneller und schneller entrollt sich ihre geschmeidige Länge dem flachen Zuber; das Vordertheil des Fahrzeugs wird tief in das Wasser gedrückt – beinahe dreihundert Faden sind schon hinaus – da stockt die Bewegung und das Boot richtet sich auf.

Endlich Ruhe! Achtzehnhundert Fuß Leine sind beinahe im Nu abgelaufen! Wir sind allein in der Dunkelheit auf weiter See, mit einem gebrechlichen Boote, festgekettet an das Ungeheuer unter uns; tief aufathmend wechseln wir einige Worte, Freude und Muth belebt uns Alle. Das Trinkwasser geht von Hand zu Hand, wir schöpfen unser Fahrzeug aus und zünden die Laterne an, um dem Capitän und unseren Cameraden in den anderen Booten die Orientirung zu ermöglichen – und nun zum Werke, zum letzten Kampfe! Officier und Harpunier vertauschen ihre Plätze; wir prüfen die Leine, sie „steht“, der Wal liegt unter uns wie ein Stein. Die Lanzen werden handrecht gelegt; jetzt vereinen wir alle Kräfte, um die Beute heraufzuholen. „Zieht, Jungen! Zieht! Der alte Bursche kann ja da unten nicht vor Anker liegen!“ Siebenzig Faden heben wir ihn herauf mit „ho!“ und „hub!“ – „Halt! – Achtung, losgelassen!“ – Er geht wieder hinab. Von Neuem versuchen wir, das mühsam Errungene wird uns oft gewaltsam wieder entrissen, der Wal läßt nicht mit sich spielen – wir ziehen – er zieht – so geht es hin und her; einige seemännische Kraftausdrücke werden laut und plötzlich arbeiten wir spielend, Hand über Hand holen wir die Leine ein, der Wal kommt an die Oberfläche.

Blur–r–rff! Huff–f! Hört ihr ihn, seht ihr ihn, dort wo das weiße schäumende Wasser ist? Sein unförmlicher Kopf ragt wie ein Felsen hervor, doppelt groß erscheint er in den phosphorescirenden Wellen. „Leise, leise rudern!“ Jetzt sind wir an ihm, tief unten im Wasser setzt der Officier die Lanze an und kräftig nachschiebend stößt er sie tief in die zitternde Masse. „Stern! Streicht!“ Ein Glück, daß wir dem gefährlichen Schwanze nicht zu nahe sind; dort geht das Thier hin in verzweifelter Flucht, wenig Leine nur geben wir und hinter ihm her fliegt das Boot in wilder Jagd. Windab geht’s in der Richtung des Schiffes – dort sind die Lichter, die Masten – unheimlich schwankt der dunkle Rumpf durch die Nacht – unser jubelndes Hurrah verhallt im Brausen des Windes – vorbei schon – Alles ist verschwunden, um uns wieder weite, wogende See. Jetzt ändert sich der Curs, wir laufen wieder gerade in den Wind. Der Officier hält sich im Bug trotz Sturm und dem gegen ihn prasselnden Wasser, mit eiserner Faust drückt er die Leine auf die Führung nieder, damit erstere nicht bei der heftigen Bewegung herausspringe, über die

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