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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Beiden entscheiden solle. Da erschien der Schwanenritter auf dem Richtplatz, bot sich der bedrängten Fürstin zum Verteidiger an und erschlug im Zweikampf den habgierigen Oheim. Zum Dank wählte ihn das Fräulein zu ihrem Herrn und Gemahl. Eines erbat sich aber der Ritter von der lieblichen Braut, just wie im Lohengrin.

‚Nie sollst Du mich befragen,
Noch Wissens Sorge tragen,
Woher ich kam der Fahrt,
Noch wie mein Nam’ und Art.‘

Und nun geht es auch weiter wie im Lohengrin. Die junge Frau kann die unselige Neugierde nicht zähmen und der Ritter verläßt, als die verhängnißvolle Frage gethan worden, stumm das Schloß. Unten am See harrt schon der Schwan mit dem goldenen Nachen, und Schwan und Ritter sah man niemals wieder.“ Von der Zeit, wo der echte Sagenheld auf den blauen Fluthen des Sees herangeschwommen, bis zu jener, wo ein junger hochpoetisch gesinnter König die alte Sage neu in Scene setzen ließ und der Sprosse eines unserer ältesten Fürstengeschlechter, das heutzutage noch in der alten Bischofsstadt an der Donau residirt, als moderner Lohengrin unter den Klängen der Regimentsmusik, auch vom Schwan gezogen, den blauen See durchzog – welch’ ein Wechsel der Zeiten, welche gewaltigen Bilder von Blüthe und Tod, von Entstehen und Vergehen! Wem hier nicht das Wort des alten jüdischen Königs. „Es ist aber Alles, Alles eitel“ in’s Gedächtniß kommt, der muß sehr sorglos und sehr leichtsinnig durchs Leben gehen.

Hier saßen die Welfen, als die Macht des stolzen Geschlechts bereits gefestigt war. Im Jahre 1191 kam der ganze Lechrain, also auch dieser abgelegene Bergwinkel mit seinen vielen Burgen, durch Kauf an die Herzoge von Schwaben aus dem Hause der Hohenstaufen, deren letzter Sprosse, der edle Conradin, hier von seiner Mutter Abschied nahm, um als eines der erlauchtesten Opfer des alten Sehnsuchtsdranges der Deutschen nach Italien, auf dem Schaffot Karl’s von Anjou in Neapel sein junges Leben zu lassen. Unter den Hohenstaufen blühte aber auch auf Schwanstein Sang, Dichtkunst und edler Frauendienst, und Wiltibold von Schwangau heißt ihr Tannhäuser, dessen Minnelieder sich theilweise noch bis zu unsern Tagen erhalten haben.

Nach dem Tode des letzten Staufen fiel der Lechrain mit Schwangau nach testamentarischer Verfügung des edlen Conradin an seine beiden Ohme, die Herzoge Ludwig und Heinrich von Baiern. Das vierzehnte bis sechszehnte Jahrhundert brachte auch über Schwangau manchen Besitzwechsel, wir wissen aber, daß bis 1536 die Schwangauer auf der Burg saßen. Ueber die Zeit von 1536 bis 1567 breitet das als „Roman und Geschichte“ bezeichnete große, den Namen „Hohenschwangau“ tragende Werk Karl Gutzkow’s sich aus. ob wir auch Martin Luther zu den berühmten Gästen der Burg zu zählen haben, läßt er unentschieden; dagegen soll ein Gemälde daselbst diesen Besuch des flüchtigen Mönchs darstellen.

Nach dem Aussterben der Schwangauer zogen weniger glänzende Tage für Hohenschwangau vorüber; bis endlich die Ausfälle der Tiroler im Jahre 1809 die ehemals so stolze Veste ganz zur Ruine machten. So weit war es mit dem glänzenden Fürstensitz gekommen, daß ein Bauer die Reste derselben um zweihundert Gulden auf den Abbruch kaufte. Um diesen zu verhindern, übernahm der Fürst von Oettingen-Wallerstein die Ruine um zweihundertundfünfzig Gulden, von ihm kaufte sie der bekannte Topograph Sommer und von diesem endlich im Jahre 1832 der damalige Kronprinz Maximilian von Baiern.

Nun blühte für Hohenschwangau ein neues frisches Leben herauf, es wurde gemauert und gezimmert, daß die stillen Waldthäler laut wurden, und mit überraschender Schnelligkeit erhob sich aus dem Schutt und Gräuel der Zerstörung das herrliche Schloß mit seinen zackigen Mauern, den schönen, kühnen Erkern und den schlanken Thürmen. Dann kamen von allen Seiten die frohen Künstler, und die Maler malten die Geschichte längst vergangener Tage an die Wände, die Bildhauer meißelten in Stein die Gestalten der großen Männer, die hier gewaltet, und beide vereinigten sich mit den mannigfachen Kunstgewerben, um dieses Eden zu vollenden. Auf dem von ihm geschaffenen herrlichen Fürstensitz verlebte König Max als Kronprinz, fern von allen Wirren einer Politik, die er nicht billigen konnte, im Schooße seiner Familie heitere, sonnige Tage, auf Hohenschwangau wuchs König Ludwig der Zweite, der jetzige Regent Baierns, heran, und dies seltene Beispiel eines wahrhaft reinen, den höchsten Idealen zugewandten Strebens, das uns Kindern einer nüchternen Zeit bei einem jungen Fürsten, dem alle Lebensgenüsse zu Gebote stehen, oft so unbegreiflich erscheinen will, wird uns schon verständlicher, wenn wir Hohenschwangau gesehen haben und bedenken, daß eine Jugend, die unter solcher Umgebung herangewachsen, nothwendiger Weise so mächtige Eindrücke mit in’s reifere Alter hinüber nehmen mußte. Und wie die verwittwete Königin Marie hier als an dem Schauplatze ihres reinsten Glücks stets am liebsten weilt, ebenso zieht es den jetzigen König fort und fort wieder zu den Stätten hin, wo er nach reiner einfacher Menschenweise hatte Kind sein und Jüngling werden dürfen.

Es war die schönste Sommerzeit, als ich zuletzt die Burg besuchte. Hat man die beiden wappengeschmückten Thore hinter sich, so weht uns auf dem seltsam-heimlichen Burghof der köstliche Duft der Lindenblüten entgegen. Auf Hohenschwangau durfte freilich der heilige Baum der Sage und Poesie nicht fehlen. Unter dem dichten Schatten seines grünen Laubdachs sprudelt ein frischer Quell, darüber thront ein frommes Madonnenbild. In der dunklen Laube stehen Bank und Tisch von Stein, einladend zum kühlen Morgentrunk im schattigen Grün, drüben wieder locken andere Bänke zur herrlichen Aussicht. Auf der Terrasse wirft der aus unzähligen Abbildungen bekannte herrliche Löwenbrunnen, getreu nach seinem berühmten Vorbild in der Alhambra modellirt, das klare Wasser an vierzig Fuß hoch empor, wetteifernd mit dem nicht minder schönen Schwanenbrunnen, dessen gußeiserner Schwan aus senkrecht emporgehobenem Schnabel fort und fort das kühle Element spendet.

Südliche Gewächse blühen und duften an der steinernen Treppe zum Haupteingang, in der Vorhalle grüßen uns die Worte:

„Willkommen, Wandrer, holde Frau’n!
Die Sorge gebt dahin!
Laßt Eure Seele sich vertrau’n
Der Dichtung heitrem Sinn.“

Wir durchschreiten hierauf eine Halle, in welche durch die bemalten Fenster nur spärliches Licht fällt, bewundern die schönen Rüstungen und Waffen, freuen uns des naiven Verses über der Thür zum Weinkeller, der da beginnt.

"Ich grüß’ dich, du edle Leibsalben,
Du arzneist mich allenthalben“ etc.

und bedauern nur, daß selbstverständlich der Gebrauch der Apotheke, in welcher diese „edle Leibsalben“ verabreicht wird, den das Schloß besuchenden Fremden nicht frei steht. Im ersten Stock beginnt dann die lange Reihe der Gemächer, an deren Wänden die bekannten Meister Ruben, Neher, L. Quaglio, Lindenschmitt, A. Adam-Gliek in eigenen und namentlich in den herrlichen Entwürfen Schwind’s die glorreiche Vorzeit Hohenschwangau’s in Sage und Geschichten mit freudigem Pinsel verherrlichten. Wollten wir auf alle die einzelnen Gemälde, die da im Schwanritter-, Schyren-, Orient-, Helden-, Hohenstaufen-, Welfen-Saal, im Bertha-, Damen-, Tasso- und Antheris-Zimmer prangen, näher eingehen, so gäbe das ein Buch. Leider wurden uns die besten Bilder im Tassozimmer, welche nach Schwind's Entwürfen die unsterbliche Liebesgeschichte Rinaldo’s und Armidens verherrlichen, nicht gezeigt, weil sie zu schön, das ist zu verführerisch sein sollen; ebenso wenig konnten wir wegen Anwesenheit des Königs Einlaß in das berühmte Schlafgemach erhalten, von dem so viel gefabelt wird, das aber factisch an seiner Decken nicht nur den schönsten Sternenhimmel, sondern auch einen prachtvollen Mond enthalten soll, der durch einen sinnreichen Mechanismus alle seine Functionen, das Leuchten und das Auf- und Untergehen, gerade wie in der Natur, verrichtet.

Auch den berühmten Felsenbädern stattete ich meinen Besuch ab, von welchen das eine mit seiner wunderbaren Rosa-Beleuchtung und dem unvergleichlichen Blick durch das in die Wölbung des Felsens gebrochene Fenster auf die schwindelnd hoch sich aufbauende Burg mich geradezu in die Zeit der Feenmärchen zurückversetzte. Dem durch die rosige Dämmerung seltsam erregten Auge thut nachher die wundervolle Aussicht über See und Berg und grünen Wald doppelt wohl und wir verlassen jetzt, obwohl nur zögernden Schrittes, das schöne Schloß, um uns auch die Wunder anzusehen,

die rundherum die Natur in verschwenderischer Fülle bietet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_555.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)