Seite:Die Gartenlaube (1869) 419.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Freilich viel Dank hätte sie heute keinenfalls geerntet, wenn sie auch mehr Fleiß und Würze an den Hasenpfeffer gewendet. Herr Wilderich trat nach mehr als einer Stunde sehr rasch, fast stürmisch und höchst aufgeregt ein. Er stellte die Büchse in die Ecke, er warf die Waidtasche von sich, ohne zu sehen, wohin sie fiel. Er ging in’s Hinterzimmer zum Bette des Kleinen und drückte einen Kuß auf seine Stirn, daß das Kind sich erschrocken in seinem Schlummer umwarf. Er kam zurück und schritt in der Küche auf und ab, immer auf und ab; und daß Margarethe da war, mit all’ ihren Verwunderungen und Fragen im alten Gesicht, und daß ein sauber gedeckter Tisch da war, nahe am Feuer, und daß Margarethe eine dampfende Schüssel darauf stellte zu dem Brode und der Flasche Landweins und dem alten Kelchglase, die schon darauf standen, Alles das schien er gar nicht zu sehen, nicht zu ahnen; ebenso wenig, daß die alte Frau, nachdem sie sich wieder zu ihrem Spinnrad gesetzt, ihn mit Seitenblicken beobachtete, in denen nichts weniger lag, als die stumme Versicherung für den Mann, daß er’s mit all’ seinem Treiben und Gebühren der guten, aber etwas mürrischen alten Seele recht mache.

„Ich soll Euch sagen, der Sepp sei da gewesen, um Euch Nachrichten zu bringen, und das Weitere würdet Ihr vom Gevatter Wölfle, dem Müller, erfahren … Die Franzosen seien geschlagen …“

„Ich weiß, was der Sepp wollte,“ antwortete Wilderich zerstreut.

„Auch daß die Franzosen geschlagen sind?“

„Auch das, auch das!“

„Nun, wenn Ihr Euch nicht mehr d’raus macht – mir kann’s auch gleich sein.“

Der Förster antwortete nicht.

„Wollt Ihr nicht essen heute?“

„Gewiß, gewiß!“

Trotz dieser Versicherung setzte Wilderich seine Wanderung fort.

Margarethe folgte ihm mit ihren Blicken.

Nach einer Weile fielen Wilderich’s Blicke in diese ihm so gespannt folgenden.

Er blieb vor Margarethe stehen, und ein plötzliches heiteres Lächeln glitt über die schönen, ausdrucksvollen Züge des hochgewachsenen jungen Mannes.

„Alte Margareth, weißt Du, daß Du sehr komisch bist mit dem bösen Gesicht, das Du mir machst? Weshalb fragst Du nicht?“ rief er aus.

„Fragen? Wonach soll ich fragen? Wenn der Herr Wilderich sich nicht herabläßt, von irgend einer Sache anzufangen, wo man doch hier mutterseelenallein im Walde sitzt, daß Einem die Zunge gar noch eintrocken könnt’, und man nicht weiß, wo man das Bischen Sach’ und Zeug, an das man mindestens denken könnt’, hernehmen soll …“

Wilderich lachte.

„Und wenn wunderliche, unverhoffentliche Frauenspersonen,“ fuhr Margarethe fort, „daher gehen und es schon zeigen, daß sie mit der Margareth nicht zu thun haben wollen, sondern an der Thür still vorübergehen und in den Wald hinein, wo der Weg doch ein Ende hat und Niemand sie erwarten kann, und am wenigsten ein Kloster ist, wo solche Frauenspersonen hingehören, und wenn der Herr Wilderich als ihr Bote und Packträger nebenher zieht –“

„Nun hör’ auf, hör’ auf,“ fiel ihr Wilderich in’s Wort … „Was soll der ganze Psalm, statt daß Du mich ehrlich fragst, wie’s Dir doch das Herz abdrückt: wer war die Nonne?“

Margarethe stemmte ihre Arme in die Seite, und das Spinnrad mit dem Fuß von sich schiebend, rief sie laut und unverhohlen aus:

„Wissen möcht’ ich’s, so viel ist gewiß!“

„Nun, so geht’s Dir grad’ so wie mir!“ versetzte Wilderich.

„Ihr wißt es nicht? … Ihr wollt es nicht wissen?“

„Ich weiß es nicht, ich werde nicht klug daraus.“

„Ah … und Ihr tragt ihr doch ihr Bündel, und Ihr führt sie doch, und sie mußte Euch doch sagen, – woher sie kam, wohin sie wollte?“

„Wohin sie wollte, das hat sie mir allerdings gesagt …“

Margarethe schüttelte ungläubig und entrüstet den grauen Kopf und zog mit der Miene der Resignation wieder ihr Spinnrad an sich.

„Wohin wollte sie denn?“ sagte sie mit einem verbissenen Ton, den sie für geeignet hielt, um ihren völligen Unglauben an den Tag zu legen.

„Sie wollte nach Goschenwald drüben.“

„Zu dem rothen Herrn Schösser? Will der ein Kloster stiften?“

„Zu dem – oder vielmehr zu dem Hause, in dem der alte gestrenge Herr Lieutenant wohnt. Höre nur. Ich komme heute Nachmittag –“

„Aber wollt Ihr denn nicht essen, Herr Wilderich?“ unterbrach ihn die Alte – sie sagte es, als wolle sie andeuten, daß sich eine rechte Jagdgeschichte eben so gut über Tisch erzählen lasse.

„Nun ja, ich will endlich Deinem Ragout alle Ehre anthun,“ entgegnete Wilderich, sich an den gedeckten Tisch setzend – „aber hör’ zu. Also, ich komme heute Nachmittag durch die Kiefernbüsche oberhalb Rohrbrunn und von da auf die Würzburger Heerstraße, um so heim zu wandern; da begegnet mir der Weißkopf, der Waldmeister aus dem Siefengrund, weißt Du, und der ruft mir zu, ob ich’s schon gehört hätte, die Franzosen seien geschlagen am 24. bei Amberg in der Oberpfalz, der Erzherzog Karl habe sie gefaßt, ihr Obergeneral, der Jourdan, sei schon bis an die Wiesent zurück, Fürst Johann Lichtenstein mit seiner Cavallerie schon in Nürnberg … wenn die Franzosen sich auch noch einmal stellten, so würden sie doch gegen den Erzherzog nicht aufkommen können, so groß seien ihre Verluste. Auch flüchte sich schon Alles oben im Lande, was sich flüchten könne, vor ihren zurückfluthenden Heermassen; denn wenn der Franzose geschlagen heim marschirt, dann ist er wie ein wildes Thier und ärger als Kroat und Türke; und was dann unbeschützt auf dem Lande wohnt, was wohlhabende Leute sind, Beamte, Pfarrer und Ordensleute, die thun wohl, sich aus dem Staube zu machen, und das geschähe denn auch aufwärts am ganzen Main, erzählte der Weißkopf …“

„Wenn nur das schlechte Sansculottenvolk nicht hierher kommt!“ rief Margareth erschreckend aus … „Gott steh uns bei!“

„Sag’ lieber: Gott steh ihnen bei!“ fuhr Wilderich mit dem Ton der Drohung und des Zornes fort; „wir haben vor, ihnen an den Spessart ein Andenken mit auf den Weg zu geben, wenn sie kommen! Hab’ keine Angst. Du wirst schon sehen, was geschieht … und davon rede ich denn mit dem Waldmeister ein wenig, und dann gehn wir auseinander … er geht aufwärts und sagt im Fortgehen:

‚Seht Euch doch nach der Nonne um, die da unten an der Heerstraße sitzt – ich hab’ sie gefragt, wohin sie wolle, aber sie hat den Kopf abgewandt, ohne mir Antwort geben zu wollen – da bin ich meines Wegs gegangen; aber es ist doch seltsam, woher die Person so hierher in den Wald geschneit ist – und sie kann doch nicht allein in den Abend und die Nacht hinein laufen.‘

‚Will schon sehen,‘ sag’ ich, und gehe weiter und sehe nach einer Weile denn auch richtig eine Nonne dasitzen auf einem Stein, die Hände im Schooß und ihr Bündel neben sich; und ich gehe auf sie zu und sage:

‚Guten Abend, ehrwürdige Mutter, wie kommen Sie denn so allein, wenn man fragen darf …‘ aber damit stockt mir auch das Wort auf der Zunge, weil sie jetzt den Kopf aufhebt und mir das Gesicht zuwendet – ein Gesicht, – ich sage Dir, Margareth, so eins hast Du nie gesehen, und ich auch nicht, nie in meinem Leben; ein Gesicht so fein und schön und rührend blaß, mit großen glänzenden braunen Augen, glänzend und doch so weich, so sanft, so still, und das Gesicht dabei so fein und so rosig bleich –“

„So fein und so bleich – das habt Ihr schon mal gesagt!“ murmelte Margareth spöttisch.

„Ich sage Dir,“ fuhr Wilderich eifrig fort, „die heilige Genovefa muß so ausgesehen haben, als sie zwischen den Baumwurzeln unter der Eiche im Ardennenwald saß …“

„Nun ja, und den kleinen Schmerzenreich für die heilige Genovefa hätten wir ja auch zur Hand!“ hätte Margareth sagen mögen – aber sie verschluckte die Bosheit, denn Wilderich’s Blicke lagen so ehrlich auf ihr, er sprach mit solcher Aufrichtigkeit, daß sie irre zu werden begann an der Geschichte.

„Sie sah mich mit diesen Augen an, als wolle sie mir in der Seele lesen,“ erzählte Wilderich weiter; „und dann sagte sie leise, daß ich sie kaum verstand: ‚Ich komme von Oberzell. Ich bin sehr ermüdet. Wie weit ist noch bis zu dem Hause Goschenwald?’

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_419.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)