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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Bergketten, Thäler und Alpen, ohne einen Ruhepunkt zu finden. Der Eindruck war zu groß, zu überwältigend.

Um uns möglichst rasch zu kräftigen, wurde der Plaid ausgebreitet, der Mundvorrath ausgepackt und unter freiem Himmel in einer Höhe von nahezu elftausend Fuß über dem Meere im Genusse einer großen, unermeßlichen Rundschau das Diner eingenommen. Die Schilderung der Rundschau erlassen uns die Leser; sie erführen ja doch nur Namen. ohne Farbe und Klang. Genug, daß nach dem außerordentlich großartigen Genuß in der That mein Scheiden von der Höhe ein schmerzliches und wehmüthiges war; doch die Zeit mahnte zum Aufbruche, und wollten wir noch die lange Tour zur Schwarzensteinalpe machen, so durften wir nicht säumen. Nachdem Alles verpackt war und ich noch einen Jauchzer als Lebewohl in die Lüfte hinausgesandt, stiegen wir ab, alle fest am Seile.

Nach einer sehr anstrengenden Tour, bei welcher aus langen steilen Strecken spiegelglatten Eises Stufen in dasselbe gehauen werden mußten, gelangten wir glücklich, aber etwas ermattet auf den oberen Firn und bald auch zu der großen Firnkluft, oder vielmehr dem Bergschrund, der uns Vormittags so viel zu schaffen gegeben. Hier wurde nun Kriegsrath gehalten. Die gut im Andenken stehende Reit- und Rutschpartie über das Eisband (vergl. Illustration S. 268) schien keinem recht zu behagen, am allerwenigsten aber mir, der ich mir durch das Sitzen auf dem Eisgrate bereits einen ganz gediegenen Rheumatismus zugezogen hatte. Ich rieth daher, anstatt abwärts, quer über den Firn zu gehen, die weiter westwärts furchtbar zerrissenen Eislagen in der Höhe zu umgehen, um dann nordwärts gegen den großen Mörchenspitz steuernd, zur Alpe Schwarzenstein abzusteigen. Obgleich dies bei günstigem Terrain der nächste Weg zur genannten Alpe gewesen wäre, so meinte doch Bartl, daß wir auf unvorhergesehene Hindernisse stoßen, umkehren, und schließlich wegen Einbruchs der Nacht auf dem Eise übernachten müßten, was ihm nicht einleuchten wollte. Jedoch wenn ich Courage habe, wolle er mich schon begleiten, obgleich er diesen Weg noch nie gemacht. Da ich schon auf der Spitze diesen Gedanken nachhing, so hatte ich mir oben mit Hülfe des Perspectives eine genaue Terrainzeichnung gemacht, die ich dem Bartl zur Verfügung stellte. Nachdem er einige Zeit die Zeichnung umgekehrt in den Händen gehalten und bedenklich in die verworrenen Bleistiftlinien geschaut, schüttelte er sein Haupt und meinte, er kenne sich da nicht aus, da er überhaupt gar nicht lesen und schreiben könne. Wenn ich es könnte, sollte ich nur vorausgehen, er werde mir schon helfen. Also band ich mir denn den Strick neu um und übernahm in Gottes Namen die „Führung der Führer“, die ganz ruhig und geduldig, in Erwartung der Dinge, die da etwa noch kommen würden, hinter mir einherschritten.

Genau meinem Plane folgend rückte ich einem blanken Firnfelde zu Leibe, das, mäßig ansteigend, in Form einer großen Kuppe sich über die unten befindlichen furchtbaren Eisbrüche wölbte. Wir waren etwa vierzig bis fünfzig Schritte weit gegangen, als ich plötzlich den Firn unter meinen Füßen weichen fühlte und sausend in die Tiefe fuhr. Mein Führer hinter mir, der auf ein so plötzliches theatralisches Verschwinden nicht vorbereitet war, sank in die Kniee, nur der zweite Führer hielt sich. Mit ihrer Hülfe wurde ich wieder aus der Kluft herausgezogen, und weiter ging es, jedoch diesmal vorsichtiger. Trotz einiger Uebung, die ich mir auf den Oetzthaler und Stubaierfirnen erworben hatte, konnte ich von der Ferne die verdeckten Klüfte, die meistens einen graubläulichen Schein haben, doch nicht immer entdecken, daher es denn kam, daß in dem erweichten Firn bald der eine, bald der andere „Verschwinden“ spielte, ein Vergnügen, das meinen beiden „Gefährten“ durchaus nicht behagen wollte, wenigstens äußerte sich der letzte, „er habe bis aufer genug, er sei schon ganz watschelnaß“ („er habe bis herauf genug, er sei schon durch und durch naß“), ein Uebelstand von dem ich jedoch auch nicht verschont blieb. Stets bis an die Kniee in den erweichten Firn einsinkend, gelangten wir endlich nach zweieinhalbstündiger Arbeit und manchen überwundenen Hindernissen matt und erschöpft zur tiefen Einsattelung, die den Floitengletscher vom Schwarzensteingletscher trennt und aus wild durcheinander geworfenen Eisblöcken und brüchigem Firn bestand. Hier mußte eine halbstündige Rast gehalten werden, wollten wir anders nicht ganz ermatten und uns zur morgigen ebenso anstrengenden Tour nicht untauglich machen. Der kleine Rest von kaltem Thee wurde unter uns vertheilt und mit etwas Chocolade genossen. Er trug wesentlich zur Erheiterung und Weckung unserer gesunkenen Lebensgeister bei, dem Fleische und Brode wurde auch tüchtig zugesprochen, und es war bereits sechs Uhr geworden, als wir mit allem Ernste an den Aufbruch denken mußten. Der Himmel, vordem noch rein, hatte sich im Süden etwas verdüstert und zeigte zerrissene Wolken streifen, Zeichen des eintretenden Föhn's oder Scirocco's (warmer, regenbringender Südwind), während die Luft schwül und warm war.

Mit Mißbehagen und einem bitteren Vorgefühl eines morgen etwa eintretenden Regens machten wir uns auf den Weg und erreichten in einer Stunde wieder festen Boden. O, wie that das so wohl, nach zwölfstündiger Wanderung, die Fußeisen wieder loszuschnallen und endlich sicher auftreten zu können! Abends nach acht Uhr zogen wir in die luftige Hütte der Schwarzenaualpe, 6457 Fuß über dem Meere, ein. Hier trafen wir schon zwei Fremde und einen Führer, die ganz gemüthlich um ein trauliches Feuer lagerten. Der eine der beiden Fremden war ein Professor aus Westphalen, der auf Mineralien ausging und am Roßruck Studien machte, der andere ein Maler aus Erfurt, beides liebenswürdige Persönlichkeiten. Die gegenseitige Bekanntschaft war bald gemacht, und ich verdankte schließlich diesem freundlichen Zufall frische Mund- und Weinvorräthe, indem die auf der Heimkehr begriffenen Fremden mir ihren Ueberfluß abtraten und ihren Führer dazu, weil er sich am Schwarzensteingletscher gut auskenne. Nach einer gründlichen Ruhe brach ich noch in der Morgendunkelheit auf. Beim ersten Schritt aus der Sennhüttenthür kam mir schon ein Strich ganz warmen Windes entgegen. Der Himmel war fast rein, nur einzelne stark zerrissene Windwolken verkündeten den Sturm in den oberen Lüsten. Schwarz, fast geisterhaft hoben sich, so gut man es sehen konnte, die mächtigen Felsmassen aus ihrer eisigen Umhüllung, und hie und da hörte man das monotone Stöhnen des lauen Südwindes, wie er um Fels- und Eiskanten fegte. Ganz erwünscht waren mir diese Anzeichen nicht, jedoch wollte ich, in der Hoffnung, daß der obere warme Wind anhalten und so der Himmel wenigstens bis Abends rein erhalten würde, die Partie wagen und schickte mich daher zum Aufbruche an. Schade, daß es so früh an der Zeit war das ganze herrliche Schwarzensteiner Panorama mit seinen gewaltigen Firnlagern und Eisfirsten, dem Hornspitz, Roßruck, Thurnerkamp, Hohe Möselspitz, Fürtschlagelspitz etc. hob sich nur matt und undeutlich hervor. Fast dämonisch klang von den nahen Gletschern das Dröhnen und Brechen des Eises, ein nur zu sicheres Zeichen, daß das Wetter bald umschlägt.

Mit Hülfe einer Holzfackel suchten wir, südöstlich steuernd, uns mühsam aus dem felsigen und schluchtigen Terrain herauszuarbeiten und gelangten endlich nach manchem unfreiwilligen Stolpern und Purzeln an das untere Ende des Schwarzensteingletschers, 7071 Fuß. Als ein Gletscher erster Ordnung, weiß derselbe seine Stellung auch zu wahren und breitet den gewaltigen zerrissenen Eismantel um sein Felsenhaupt, den Schwarzensteinspitz, 10,651 Fuß. Nachdem wir die prachtvollen Eisstufen und blauen Hallen seines nördlichen Absturzes bewundert, stiegen wir, dieselben im Osten umgehend, über Schuttfelder und ungeheure Steintrümmerlagen hinauf und erreichten um halb fünf Uhr Morgens das Eis, das nun auf viele, viele Stunden unser steter Begleiter sein sollte. Wie ganz anders that sich gestern auf dem Floitengletscher der rosige Morgen auf, wie freudig begrüßte ich gestern das erste Anschlagen der goldenen Strahlen an den fernen Eisgipfeln!

Heute war die Stimmung in der Natur und in uns eine gedrücktere. Eine böse Ahnung, als würden wir nicht ungefährdet das jenseitige Thal erreichen, beschlich mich und die Führer. In scharfen Linien zogen die Firngrate west- und ostwärts, manchmal in dichte Wolken aufgewirbelten Hochschnees sich hüllend; lauter und lauter dröhnte der Gletscher, neue Spalten werfend, und eine drückend schwüle Luft lagerte über uns. Wir schnallten die Fußeisen an, banden uns das Seil um die Mitte, und nach kurzem Ausblicke und erfolgter Besprechung über die einzuschlagende Richtung stiegen wir still und schweigsam das ungeheure Eisfeld hinan. Auf Anrathen des neuen Führers, Hanns, wurde eine mehr südliche Richtung genommen, ziemlich knapp an dem Abfall des Schwarzensteinspitzes, da der Gletscher (hier zu Lande auch Kees genannt) in der Mitte furchtbar zerrissen und zerklüftet und fast

unüberschreitbar ist; auch war im Falle eines eintretenden Unwetters

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_390.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)