Seite:Die Gartenlaube (1869) 323.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und die festen Fensterläden schützten Bronzefiguren, Kronleuchter und Damastgardinen vor jeder unsanften Berührung. …

Ein entsetzlicher Lärm tobte um das sonst so stille Dorf. Der Portugiese begleitete Gisela, immer den rechten Arm emporgehoben, um im geeigneten Moment der scheuenden Miß Sarah in die Zügel fallen zu können, bis an das Thor des Schloßgartens; dann verabschiedete er sich schweigend mit einer tiefen Verbeugung.

Da sprengte er hin nach dem Brandplatz! … Gisela preßte die Hand auf ihr zuckendes Herz – wie brach hatte diese Mädchenseele gelegen – zum ersten Mal wieder seit ihren Kinderjahren verdunkelte eine Thräne die braunen Augen. … Nun fiel sicher kein Wort mehr zwischen ihr und jenem Mann! Hatte sie doch nicht einmal den Muth finden können, ihm für seinen Schutz zu danken; sie war wie versteinert gewesen gegenüber dem höfisch ritterlichen Gruß, der eine unverwischbar traurige Erinnerung für ihr ganzes Leben gleichsam besiegelte. … Wie mochte er aufathmen, daß er seiner Beschützerrolle ledig war! … Und wenn dort die Rauchwolken sich verzogen hatten, da kehrte er zu dem Hofkreis zurück. … Die schöne, braunlockige Hofdame hatte ja die Blumen nicht gepflückt, die jetzt welkend in den Steinbrüchen lagen – mit ihr sprach er gewiß heute noch; sie wandelten am See hin, wo der Pirol flötete und kühle Lüste in das Ufergebüsch quollen – und sie erfuhr im Laufe des Gesprächs nebenbei die Thatsache, daß er ein paar arme Habseligkeiten und ein tollkühnes, unvernünftiges Menschenkind vor dem Untergang bewahrt habe. …


23.

Gisela ritt in den Schloßgarten, sprang von Miß Sarah’s Rücken und band sie an die nächste Linde. Von der Dienerschaft mußte noch kein Einziger vom Jahrmarkt in A. zurückgekehrt sein, es war todtenstill im ganzen weiten Gatten. Nur durch das ferne Gebüsch, in der Nähe des Schlosses, leuchteten, hie und da auftauchend, ein helles Frauenkleid und der Strohhut eines Herrn – es schien der jungen Dame, als ob Frau von Herbeck in Begleitung des Arztes eilig auf- und abgehe.

Sie trat wieder vor das Thor und schritt die obere Dorfgasse hinab. Da standen zu beiden Seiten die neuerbauten Häuser der Neuenfelder Hüttenarbeiter.

Noch nie hatten die Füße der jungen Dame dieses Pflaster betreten – fremdartiger kann sich der Besucher von Pompeji nicht angemuthet fühlen, als die Herrin des Dorfes inmitten dieser Wohnstätten und des Lebens, das sich vor ihren Augen entwickelte.

Man hatte die Habseligkeiten aus den brennenden Häusern hierher gerettet. … Welch’ ein armseliger Haufe! Und diesem wurmstichigen verbrauchten Gerümpel, das sie nicht mit dem Fuß berühren mochte, gab man die hochtönende Bezeichnung: Eigenthum!

Eine Gruppe wehklagender Frauen stand dabei. Sie rangen die Hände und erschöpften sich in Muthmaßungen, wie der Brand ausgekommen sein möge. Die Kinder dagegen hatten sichtlich große Freude an dem seltenen Ereigniß und seinen Folgen. Es war doch zu wunderbar, daß Tische und Bänke auf einmal unter Gottes freiem Himmel standen – und das schmutzige Bettzeug erschien in der dumpfen Kammer sicher nicht so einladend, wie hier auf dem Pflaster; die kleinen Köpfe guckten seelenvergnügt aus dem improvisirten „Häuschen“, das sie sich zurecht gewühlt hatten.

Gisela schritt auf die Frauen zu. Sie verstummten erschrocken und stellten sich scheu und ehrerbietig zur Seite.

Wäre der Mond vom Himmel heruntergestiegen und durch die Straße gewandelt, es hätte sie vielleicht weniger befremdet, als die weiße Gestalt, die so plötzlich an sie heranschwebte; denn der Mond war ja ein so guter, alter Freund, dem sie von Kindesbeinen an ungescheut in’s gemüthliche Antlitz, sehen durften dieses vornehme Mädchengesicht jedoch kannten sie nur bedeckt vom Schleier und fern zu Roß oder Wagen an ihnen vorüberfliegend.

„Ist Jemand beim Brande verletzt worden?“ fragte die junge Dame gütig.

„Nein, gnädige Gräfin, bis jetzt – Gott sei Dank – Niemand!“ erscholl es von allen Lippen.

„Nur dem Weber seine Ziege ist mit verbrannt,“ sagte eine alte Frau. „Dort unten steht er – er weint sich fast die Augen aus dem Kopf.“

„Und wir haben keine Unterkunft für die Nacht,“ klagte eine andere. „Drei Familien können in den neuen Häusern untergebracht werden, mehr aber nicht – wir sind übrig, und ich habe ein kleines Kind, das zahnt.“

„So kommt mit mir,“ sagte Gisela. „Ich kann Euch Alle unterbringen.“

Die Frauen standen wie versteinert; sie sahen sich scheu unter einander an. Damit war doch unmöglich das Schloß gemeint! Denn dort konnten sie doch nirgends den Fuß hinsetzen, ohne vor „unterthäniger“ Angst zu vergehen! Und gar drin schlafen mit dem Kind, das Zähne kriegte und Tag und Nacht schrie! Bei jedem Tritt und Schritt hallte es ja in den vornehmen Hallen, Gängen und Sälen, daß man sich vor seiner eigenen unverschämten Stimme fürchtete. … Und das mochte Alles noch sein – aber die böse, böse gnädige Frau! Vor der versteckten sich selbst die Männer im Dorf!

Gisela ließ den Frauen nicht länger Zeit zum Ueberlegen.

„Nehmen Sie nur Ihr Kind, liebe Frau,“ ermuthigte sie das Weib, das gesprochen hatte, „und gehen Sie mit – und wer ist noch obdachlos?“

„Ich,“ sagte ein junges Mädchen schüchtern. „Unser Häuschen steht zwar noch, und die Männer sagen, es würde nun auch nicht abbrennen – die Neuenfelder Spritzen sind gerade noch zur rechten Zeit gekommen … ’neinziehen können wir freilich so bald nicht wieder es wird zu sehr eingeweicht. … Gnädige Gräfin, ich bin aber nicht allein; da ist der Großvater und die Eltern, und Bruder und Schwestern und die alte, blinde Muhme –“

Gisela lächelte – wie ein tröstender, erquickender Strahl ging es von diesem jungen, holdseligen Gesicht aus.

„Nun, die werden wir doch nicht draußen lassen,“ sagte sie. „Holen Sie getrost Ihre ganze Familie – ich werde sogleich für eine Wohnung sorgen.“

Das junge Mädchen sprang fort; die Frau aber nahm ihr leidendes Kind auf den Arm, während zwei andere sich an ihren Rock hingen. Sie bat eine Nachbarin, ihrem Mann, der noch nicht von A. zurück war, zu sagen, wo sie sei, und folgte, wenn auch mit beklommenem Herzen, der jungen Gräfin nach dem Schloßgatten.

Gisela band ihr Pferd los, nahm es beim Zügel und betrat den Hauptweg, der nach dem Schloß führte.

Jetzt kam das helle Frauenkleid, wie vom Sturmwind getrieben, auf sie zugeflogen. Das junge Mädchen fühlte doch eine Art von Mitleiden für die kleine, fette Frau, die den Stempel des Entsetzens und der Angst auf dem echauffirten Gesicht trug.

Zuerst kam sie mit ausgebreiteten Armen gelaufen, wobei sich ihre große Mantille wie ein Segel aufblähte, dann schlug sie die Hände zusammen und ließ sie gerungen wieder sinken.

„Nein, nein, liebe Gräfin – das war mehr, als sich ertragen läßt!“ rief sie mit halberstickter Stimme. „Das Dorf brennt – unserer gottverlassenen Dienerschaft fällt es nicht ein, wieder nach Hause zu kommen, und Sie verschwinden für eine volle Stunde! … Ich leide oft und schwer unter Ihren Capricen, füge mich aber stets willig – Liebe und Anhänglichkeit helfen Einem über Vieles hinweg – aber der Streich, den Sie mir heute gespielt haben, war denn doch zu stark. Verzeihen Sie, aber das muß heraus! … Mir fallen nur für einen Moment die Augen zu, und diese augenblickliche Schwäche benutzen Sie, um ohne meine Erlaubniß das Schloß zu verlassen – nein, nein, es ist zu unverantwortlich! … Und nun weckt mich der Feuerlärm – mein erster Gedanke gilt Ihnen – ich laufe durch Haus und Garten, laufe sogar hinunter in das brennende Dorf – Niemand hat Sie auch nur mit einem Auge gesehen. … Fragen Sie den Medicinalrath, was ich gelitten habe!“

Der Herr im Strohhut, der sie jetzt eingeholt hatte, bestätigte mit einem Kopfnicken, wobei er sich ehrfurchtsvoll vor der jungen Gräfin verbeugte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_323.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2018)