Seite:Die Gartenlaube (1869) 275.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

beim Eintritt verlangend die Schnauzen entgegen; man sah es ihnen an, daß sie gewohnt waren, bei solchen Besuchen von ihr freundlich bedacht zu werden.

Vom Stalle aus ging es wieder in den Garten, Marie holte im Vorbeigehen einen blauen Strickstrumpf aus dem Hause und sagte: „Wir trinken gewöhnlich erst um vier Uhr Kaffee; die Mutter meint, ob es Ihnen nicht angenehmer wäre gleich jetzt eine Tasse zu trinken, wie die großen Herren nach Tische zu thun pflegen?“

„Ich hätte auch ebensogut bis vier Uhr warten können, liebe Marie, aber wenn er fertig ist, so trinke ich auch gleich gern eine Tasse.“

Die Beiden ließen sich im Garten auf einer Bank nieder, Marie setzte unverzüglich ihren Strickstrumpf in Bewegung, während der Fürst seinen Kaffee schlürfte, den ihm die Mutter, ohne weiter zu fragen, selbst gebracht hatte, indem sie dabei bemerkte:

„Ich dachte mir gleich, daß der gnädige Herr wohl lieber vor der Kirche, als nachher den Kaffee tränke.“

Alexander ließ sich mit Mariens Mutter in ein Gespräch ein und fand ihre Antworten und Bemerkungen überaus verständig.

Inzwischen hatte das Kirchenläuten schon wieder begonnen und ermahnte die Hausfrau ihren Mantel umzuthun (ohne welchen keine verheirathete Thüringerin vom Lande Sonntags ausgeht, und wenn die Hitze noch so drückend wäre), und den Hausvater zu wecken. Marie brachte ihren Strickstrumpf in Sicherheit, um das Gesangbuch dafür zu holen, und Alexander verließ zugleich mit dem frommen Kleeblatt das Haus, kam aber auf seinem Kirchgange nicht weiter, als bis zum Curhause, wo ihn sein Onkel wieder abfing, der unter den schattigen Kastanienbäumen mit gelangweiltem Gesicht auf und ab schlenderte und den Dampf seiner Cigarre mit einer Verdrossenheit von sich blies, als ob ein kurzer Aufenthalt in dein reizvollen Liebenstein zu den schwersten Prüfungen des Lebens gehörte.

„Wohin sollte der Weg jetzt wieder gehen?“, fragte er Alexander, der in seiner harmlosen Unterhaltung mit Marien den Onkel gar nicht bemerkt hatte und unangenehm überrascht war, als dieser ihm plötzlich in den Weg trat.

„In die Kirche,“ erwiderte Alexander.

„Du würdest mir einen großen Gefallen thun, jetzt ein wenig bei mir zu bleiben, um mir vor Tisch die vielgerühmten Herrlichkeiten Liebenstein’s zu zeigen, da ich gleich nach Tisch wieder abzureisen gedenke.“

Alexander verabschiedete sich von Marie und ihren Eltern und versprach, sie bald wieder zu besuchen. Die wackern Leute setzten ihren Weg zur Kirche fort; Dimitry, der schon vorher Marie scharf in’s Auge gefaßt hatte, warf jetzt auch ihren Eltern einen langen, prüfenden Blick nach und zog dann seinen Neffen am Arm mit sich fort.

„Du scheinst die frischen Walderdbeeren zu lieben,“ sagte er nach einer Weile, „und hast keinen üblen Geschmack. Wie lange kennst Du das Mädchen schon?“

„Seit gestern.“

„Seit gestern? und heute nach einem langen Besuche, auf dem Wege zur Kirche, in Gesellschaft der Eltern; das nenn’ ich rasch und schlau zu Werke gehen. Dein Vater würde es nicht glauben, wenn ich es ihm sagte, und ich selber hätte dem jungen, schüchternen Heiligen so etwas nicht zugetraut.“

In dem Tone, mit welchem dies gesagt wurde, lag etwas Verletzendes, Herausforderndes, und Alexander hatte schon eine scharfe Antwort auf der Zunge, hielt sie aber zurück bei dem Gedanken, daß sein ihm wenig sympathischer Onkel nur auf einige Stunden in Liebenstein verweilen werde, die er nicht in Unfrieden mit ihm verbringen wollte. Er schlug ihm vor, mit ihm einen Waldspaziergang nach der hohen Klinge zu machen, und Dimitry ging darauf ein, blos, wie er sich ausdrückte, um die Zeit todt zu schlagen. Beim Anblick der mannigfaltigen Naturschönheiten, auf welche der empfängliche Alexander ihn aufmerksam machte, hatte er nur ein gleichgültiges Achselzucken, und das einzige Ziel, welches er in der Unterhaltung verfolgte, war, seinen Neffen zu bewegen, spätestens in vierzehn Tagen nach Baden-Baden zu kommen, wo sich noch andere Verwandte und Freunde seines Hauses einfinden würden. „Baden-Baden,“ sagte er ein Mal über’s andere, „ist nach Paris der einzige Ort, wo man leben kann, ohne sich zu langweilen.“

Alexander, dessen Gedanken bei Marie waren, ließ seinen Onkel reden, ohne mehr als nöthig zu antworten, und war froh, als er ihn am Abend wieder los war, denn der Onkel hielt Wort und fuhr gleich nach dem Diner, an dem Alexander nur zum Schein theilnahm, wieder ab, um am Spieltische und bei den Bajaderen in Baden-Baden die Aufregungen zu suchen, welche er in den friedlichen Naturreizen von Liebenstein nicht finden konnte.

Schon am folgenden Tage machte Alexander „seiner Marie“ (wie er sie in Gedanken nannte) schon wieder einen Besuch, fand aber weder sie noch ihre Eltern zu Hause und erfuhr von einem kleinen Mädchen, welches vor der Thür des Nachbarhauses saß, daß sie auf dem Felde beschäftigt sei. Er besann sich eine Weile, was er thun sollte; der Gedanke, Marie den ganzen Tag nicht zu sehen, war ihm unerträglich; bei Tisch mochte er die guten Leute nicht wieder überfallen, und so entschloß er sich, sie auf dem Felde aufzusuchen, was ihm denn auch mit Hülfe des kleinen Mädchens, dem er gleich vorweg ein großes Geldstück zur Belohnung gab, glücklich gelang. Er fand sie beschäftigt, Bohnenstangen in das Feld zu stecken, und sie waren so eifrig bei der Arbeit, daß sie sich durch seine Ankunft durchaus nicht stören ließen. Er wurde freundlich bewillkommt, aber zu einer gemüthlichen Unterhaltung bot sich keine Gelegenheit. Es blieb ihm nichts übrig, als sich anzubieten auch bei der Arbeit zu helfen, was ohne weitere Umstände angenommen wurde. Marie gab ihm lachend die nöthigen Anweisungen, und der Alte sah mit Vergnügen, daß sich der junge Fürst unter der Leitung seiner Tochter sehr anstellig zeigte, obgleich er sich in seinen zierlichen Lackstiefeln und feinen Handschuhen als Ackerbauer drollig genug ausnahm und es keines großen Scharfblicks bedurfte, um zu merken, daß er solche Arbeit zum ersten Male im Leben verrichtete. Es lag ihm aber daran den wackern Leuten zu zeigen, daß es ihm nicht an Kraft und gutem Willen fehle, tüchtig zuzugreifen, und so ging das Stangeneinstecken rüstig von Statten.

Am andern Morgen fand er sich wieder bei der Arbeit ein; diesmal galt es Rüben zu stecken, was ihm ein bischen schwerer ankam, da er sich immer dabei bücken mußte; doch ließ er sich die Mühe nicht verdrießen und war glücklich, so oft ihm ein lohnender Blick aus Mariens braunen Augen dafür zu Theil wurde. Die Arbeit hatte schon am vergangenen Tage seinen Appetit so mächtig geweckt, daß er nicht begreifen konnte, wie die Leute bei so einfacher Kost bestehen konnten. Da er am Sonntag ihr Gast gewesen war, so hielt er es nicht für unpassend, sie auch einmal zu bewirthen, wozu sich gleich am folgenden Tage gute Gelegenheit bot, da ein Festtag war, der auf höhere Veranlassung durch den berühmten Salzunger Kirchenchor verherrlicht werden sollte. Alexander’s Einladung wurde von Mariens Eltern mit unbefangener Dankbarkeit angenommen, und es traf mit den Wünschen des jungen Fürsten zusammen, daß es ihnen lieber war, das Mahl in ihrer kleinen Häuslichkeit einzunehmen, als in dem Curhause. Alexander hatte sich schon so an die kleine Familie und an den traulichen Verkehr mit Marie gewöhnt, daß er den Gedanken gar nicht fassen konnte, sich von ihr trennen zu müssen, und daß er nie einem Tage mit solcher Freude entgegengesehen, wie dem folgenden, den er wenigstens zur Hälfte an der Seite Mariens gemüthlich zu verleben dachte.

Der Gesang, des Salzunger Kirchenchors fand unter der Leitung des trefflichen Cantor Müller am Festmorgen im Cursaale statt. Obgleich noch wenig Badegäste in Liebenstein waren, hatte sich doch aus der Nähe und Ferne ein zahlreiches Publicum eingefunden, und Maria mit ihrer Mutter waren auch unter den Zuhörern; der Alte war zu Hause geblieben. So schwer es dem jungen Fürsten ankam, seine Augen und Gedanken von Marie abzulenken, wurde er doch so ergriffen von den nur Compositionen älterer Meister enthaltenden weihevollen Klängen des wunderbar geschulten Chors, daß er seine Bewegung kaum bemeistern konnte. Als das Kyrie eleison von Palestrina erscholl, brachen ihm unwillkürlich die dicken Thränen reinster Andacht und Begeisterung aus den Augen. Es gemahnte ihn an den schönen heimathlichen Kirchengesang im Jungfrauen-Kloster zu Moskau, wohin ihn seine fromme Mutter so oft in seinen Kinderjahren geführt hatte, und wenn etwas dienen konnte, ihm Liebenstein noch heimischer und lieber zu machen, als es ihm schon war, so war es dieser erhebende Kirchengesang, der mit dem vierundzwanzigsten Psalm von Neidhardt schloß, welcher beginnt: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdboden und was darauf wohnt.“

Er fühlte das Bedürfniß, sich erst einsam eine Stunde im

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_275.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2016)