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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

kam! Zwei Damen und ein Herr im Hörnerschlitten, so fuhren sie mit hellem „Guten Abend“ an uns vorbei. Sehnsüchtig blickten wir ihnen nach – noch einen Moment – und sie waren im Dunkel verschwunden.

Eine neue Ueberraschung! Als wir auf der Hälfte des Weges bei dem steilen Mordhügel angelangt waren, von wo aus sich unser Pfad in Windungen durch einen hohen Wald hinzog, schimmerte uns röthlicher Lichtglanz durch die Bäume entgegen, und verwandelte sich nach wenigen Augenblicken in strahlenden Fackelschein, mit dem uns die freundlichen Besitzer der zum Gast- und Abfahrtsort gewählten Grenzbaude empfangen ließen. So zogen wir nun, wie weiland die Israeliten in der Wüste, hinter dieser Feuersäule her, der Schnee knirschte unter den Schlittenkufen und den Tritten der Pferde, der Wind heulte hoch oben in den Wipfeln der Bäume und links vom Wege starrte uns pechschwarze Finsterniß aus dem Abgrunde entgegen. Um sieben Uhr fuhren wir an dem schwarzgelben Schlagbaum vorüber in’s Oesterreichische hinein. Einige hundert Schritte davon entfernt, strahlten uns die erleuchteten Fenster der Grenzbaude entgegen und die Besitzerfamilie, Herr und Frau Blaschke, empfingen uns nun selbst mit herzlichem Willkommen und Handschlag an der Thür. Die warmen Pelze wurden abgelegt, und über die beeisten Stufen der kleinen Treppe traten wir in den großen, wohlgeheizten Saal ein. Hier trug alsbald die schwarze Nanni, die Schleißnerin der Baude, eine wahre Fülle von Speisen auf, denen sich ein herrlicher Ungarwein, eben so billig als trefflich, zur Seite stellte.

Aus dem Dorfe Klein-Aupa, dessen einzelne Bauden sich, nebenbei bemerkt, über einen nicht viel kleineren Raum erstrecken, als ganz Berlin einnimmt, kamen, von unserer Ankunft unterrichtet, böhmische Mädchen und junge tanzlustige Ehepaare zu uns herauf; auch die Musikanten ließen nicht lange auf sich warten, und so befanden wir uns plötzlich mitten in einem höchst interessanten Dorfballe, an dem wir uns nach Herzenslust betheiligten. Die Minuten, die Stunden flogen nur so dahin!

Tief Athem schöpfend trat ich endlich einmal, den Hut vorsichtig auf dem Kopfe, hinaus in’s Freie. Vor der Baude ein großes, weißes Schneefeld, links der Weg hinab in’s Preußenland, rechts und ringsum hohe weiße Berggipfel und oben am Himmel zwischen eilenden Wolken die noch fast volle Scheibe des eben aufgegangenen Mondes! Auf dem Boden aber zu meinen Füßen die verführerischen kleinen Hörnerschlitten! Da klopft leise eine Hand auf meine Schulter, ein Herr Fargau – Compagnon Blaschke’s – ist mir gefolgt – und mit einem „Wollen wir?“ springen wir Beide auf den Schlitten.

Niemand ahnt da drinnen, daß wir jetzt unter dem Schlagbaum wieder hindurchfahren, Niemand sieht, wie sich unser Schlitten auf dem spiegelglatten Wege, der plötzlich abschüssig wird, schneller und schneller in Bewegung setzt, wie er pfeilgeschwind dahinschießt, als ob er geradewegs in den Abgrund will. Das ist das wahre Gefühl des Fliegens, gar nicht ängstlich, als wenn man im Traum vom hohen Thurm fällt, sondern ein frisches, freies Dahinsausen, wie auf den Schwingen des Vogels!

Blitzschnell kommt mir dieser Gedanke und in demselben Moment – wir sind gerade an einer abschüssigen Stufe im Wege – hebt sich der Schlitten vom Schnee geradeaus in die Luft, fliegt eine gute Strecke weit fort und setzt dann mit pünktlicher Genauigkeit wieder mitten auf dem Wege auf, indem er unaufhaltsam weiter schießt. So geht es noch mehrere hundert Schritt vorwärts, bis wir an eine Stelle kommen, wo der Weg sich krümmt. Hier stemmt mein Führer plötzlich seinen Fuß mitten in den Schnee zur Seite des Weges und – der Schlitten gehorcht fast augenblicklich, indem er eine Schwenkung macht und dann stillsteht.

„Nun, wie hat’s Ihnen gefallen?“ rief Fargau, als wir Beide aufgesprungen waren, um nun den Schlitten gemeinsam die Strecke von etwa siebenhundert Schritt, die wir in der Zeit von wenig mehr als einer halben Minute zurückgelegt hatten, wieder hinaufzuschleppen.

„Mir fehlen augenblicklich die Worte,“ erwiderte ich. „Lassen Sie uns aber eilen, damit die Reisegefährten dieselbe Wonne genießen können!“

So geschah es denn auch. Als wir mit der Nachricht von unserer Fahrt in den Saal eintraten, eilten die Gefährten sofort hinaus und Einer nach dem Anderen vertraute sich dem Schlitten an und sauste auf seinen Schwingen den steilen Berg hinab.

Ja, es war eine tolle Nacht! Doch endlich mußte geschieden sein. Um drei Uhr machte ich meine siebente und letzte Hörnerschlittenfahrt und folgte dann dem allgemeinen Beispiele zur Ruhe und Ordnung.

Da früh das Wetter hell und klar war, so unternahmen wir eine gemeinsame Fußpartie nach dem Gipfel des Forstkammes. Unter Vorantritt einer Reihe von Schlitten, auf welchen wir von oben wieder hinunterfahren sollten, stiegen wir in einer langen Kette, das heißt Einer in die Fußstapfen des Anderen tretend, über den ungebahnten Schnee den Berg empor.

Aber, hilf Himmel! Schon nach den ersten zehn Schritten sahen wir, welche Anstrengung es uns kosten würde, auf den nur achthundert Fuß niedriger als die Schneekoppe liegenden Gipfel zu kommen. Knietief sanken wir zunächst, später aber schenkeltief durch die dünne Eiskruste in den Schnee ein. Jeder Schritt mußte mit zäher Ausdauer erkämpft werden. Trotz der schneidenden Kälte und des heftigen Windes fror uns jedoch nicht, wir vergossen vielmehr sämmtlich so viele Schweißtropfen, wie seit Jahren nicht. So gelangten wir nach unsäglichen Mühen auf den Gipfel des Berges und schauten nun gerade vor uns hinab in’s Hirschberger Thal. Die Herrlichkeit des Gebirgsbildes von solcher Höhe ist bereits oben geschildert. Wir genossen sie mit allem Behagen überstandener Mühen und winkender Freuden, und nachdem wir uns endlich, als den in diesem Augenblick wahrscheinlich „höchsten Personen“ Norddeutschlands, ein kräftiges dreifaches Lebehoch gebracht, bestieg jeder von uns einen Schlitten, die Führer ergriffen die Hörner und fort ging es den Berg hinab, zwar nicht so eilig, wie in der Nacht, da die Bahn ja nicht fest war, aber dafür sanken unsere Führer, die Schlitten und wir selber auch oft genug im Schnee fast ganz unter, was natürlich die allgemeinste Heiterkeit hervorrief. – So langten wir nach wenigen Minuten wieder unten in der Grenzbaude an und nachdem die Schneespuren von unseren Kleidern verwischt und einige der großstädtischen leichten Stiefel buchstäblich ausgerungen worden waren, setzten wir uns noch zu einem kräftigen Frühstück nieder und nahmen dann vom Ungarwein, von der gemüthlichen Baude und der Familie Blaschke Abschied, um die Schlitten zur großen Hörnerschlittenfahrt zu besteigen.

Von Besorgniß vor dem etwaigen Herausstürzen hatte natürlich Niemand eine Spur, ja, wir setzten uns nicht einmal sämmtlich auf den kleinen, mit Heu ausgestopften runden Sack im Schlitten, sondern Einer nahm gemächlich auf dem als Rücklehne bestimmten kleinen Geländer Platz.

Nun schossen wir los – es war etwa elf Uhr – zuerst ganz steil den bereits in der Nacht gefahrenen Weg hinab. Die Stufe, bei der die Schlitten wieder gewaltige Sätze durch die Luft nahmen, wurde mit lautem Hurrah und Schwenken der Hüte passirt, dann bogen wir um die Ecke des Weges und links ging es weiter in immer schnellerer Fahrt. Jetzt kam eine Stelle, wo sich mehrere der erwähnten Stufen dicht hinter einander befanden, und es gewährte einen prachtvollen Anblick, wie jeder unserer Schlitten den vorgeschriebenen Luftsprung mit der vollendeten Gracie eines Schulpferdes ausführte. Bald links, bald rechts extravagirten unsere Schlitten dann ein wenig von der Bahn, aber stets kehrten sie gehorsam auf den leisesten Wink des Führers zurück, der vorn saß und dadurch, daß er einen der beiden Füße, die er schwebend dicht über dem Schnee hielt, stets zur richtigen Zeit als Steuer einsetzte, die vollständige Lenkung in den Händen hatte.

Als wir so einige Minuten im tollsten Laufe dahingefahren waren milderte sich die steile Böschung, der Weg wurde weniger abschüssig und augenblicklich parirten unsere Schlitten, indem sie langsamer liefen. Doch schnell sprangen die Führer auf die Füße, ergriffen die Schlitten an den Hörnern und rannten mit ihnen vorwärts, indem sie uns so lange zogen, bis wir wieder an steilere Stellen kamen. So gelangten wir bald bis zu dem Orte, wo wir am Abend vorher mit Fackellicht empfangen worden waren. Hier beschreibt der gewöhnlich benutzte Weg einen großen Halbkreis durch ein kleines Gehölz, es giebt aber, wenn auch gewöhnlich nur von den Eingeborenen benutzt, einen anderen Weg, welcher in gerader Linie die Sehne dieses Halbkreises bildet und über den steilen Mordhügel hinabführt, wodurch eine ziemlich große Strecke von der Partie abgekürzt wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_188.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)