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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Casernen, eingeschossene Wände, zwischen denen Bombensplitter herumliegen, dort Haufen von Säulentrommeln, von Nesseln überwuchert, Deckensteine, Marmorgebälk, Basen mit Inschriften, Ornamente aus byzantinischer Zeit und die Fortsetzung des kleinen Museums von Sculpturen, welches in den Propyläen angelegt ist. Rechts und links vor uns aber erheben sich unter dem tiefblauen Himmel und übergossen mit dem Licht der südlichen Sonne die herrlichen Reste der beiden schönsten Tempel des perikleischen Athen: hier der Parthenon mit seiner majestätischen Einfachheit, dort das vielgegliederte, aus verschiedenen Stilen gemischte und doch anmuthsvolle Erechtheion. Als Staffage des Bildes mögen sich die Leser, die mir bis hieher folgten, die Ziegenheerde denken, welche bei meinem Besuch zwischen den Trümmern umherkletternd nach Kräutern suchte.

Das Erechtheion bedeckte nach attischer Sage die Stelle, wo Athene, als sie sich zugleich mit dem Meerbeherrscher Poseidon um das Patronat über die Stadt bewarb, die Athener mit Erschaffung des Oelbaums beschenkte, wogegen ihr Nebenbuhler mit seinem Dreizack ihnen eine Salzquelle öffnete. Die Göttin siegte, aber ihr Mitbewerber erhielt neben ihr gleichfalls einen Altar. Ein anderer Theil des Tempels war Kekrops, dem Stammvater und ersten König der Athener, und seiner Tochter Pandrosos geweiht. Ferner hatte Zeus hier eine Opferstätte. Endlich hat auch das Christenthum, indem es in das altgriechische Heiligthum eine byzantinische Kirche hineinschob, auf die jetzige Gestalt des Tempels eingewirkt. Die Türken wußten aus der Kirche nichts Besseres zu machen, als einen Harem. Auch die Griechen benutzten das Gebäude während der Belagerung der Akropolis durch Reschid Pascha als Frauenwohnung. In dieser Eigenschaft zerstörte es 1827 eine türkische Bombe, wobei eine Anzahl vornehmer Griechinnen den Tod fand. 1838 hat man dann den Bau nach Möglichkeit wiederhergestellt.

Das Erechtheion ist in der Hauptsache ein längliches Viereck, dessen Langseiten im Westen einen größeren nach Norden, und einen kleineren nach Süden gerichteten Vorbau haben. Im Osten beginnt das Tempelviereck mit einer Vorhalle, zu der drei Stufen hinaufführen und von deren sechs ionischen Säulen gegenwärtig noch fünf stehen. Im Innern führt längs der nördlichen Mauer ein Gang nach einem unterirdischen Raume, in dessen Steinboden wir vier Löcher bemerken – die Spuren jenes Dreizacks Poseidon’s, an denen die Alten bei Südwind den Schall der Meereswogen vernahmen. Ueber dieser Vertiefung erhebt sich der genannte nördliche Vorbau. Vier ionische Säulen treten nach Norden vor, je eine trägt das Dach auf der Ost- und der Westseite. Das Ganze ist mit seiner graziösen Leichtigkeit und seinen geschmackvollen Verzierungen ein Meisterwerk alter Baukunst.

Aus diesem halb über, halb unter der Erde befindlichen Haus des Erechtheus-Poseidon trat man im Alterthum durch die noch jetzt vorhandene Prachtthür, die aus der Nordhalle in das Innere des Gebäudes führt, in das Heiligthum der Athene Polias, in deren Westwand wir eine zweite Thür gewahrten, durch die man in den heiligen Bezirk des Tempels hinaustrat. Endlich ist die Südmauer dem großen Prachtportal gegenüber von einem Pförtchen durchbrocheu, von dem einige Stufen in den erwähnten südlichen Anbau, die sogenannte Halle der Karyatiden, hinabgehen. Das Dach desselben wird von sechs Marmorstatuen, attische Mädchen darstellend, statt der Säulen getragen, eine Composition, die ebenso reizend erfunden, als vortrefflich ausgeführt und infolge dessen von modernen Baukünstlern häufig nachgeahmt worden ist. Vier der Jungfrauen stehen an der Front gegen Süden, eine hinter der ersten und eine letzte hinter der vierten. Ihr Gesichtsausdruck vereint Ernst mit Lieblichkeit, ihre Gewänder zeigen den reichsten Faltenwurf. Während im Tempel der Polias das alte Holzbild der Stadtgöttin Athen’s aufbewahrt wurde, war hier in der Halle der Karyatiden vermuthlich das Heiligthum der Pandrosos und das Grab des Kekrops. Vermuthlich, sage ich; denn das Erechtheion ist das schönste, aber zugleich das noch am wenigsten gelöste der vielen Räthsel, welche die Akropolis den Alterthumsforschern aufgiebt.

Staunen wir vor dem Erechtheion über die heitere Zierlichkeit und jugendliche Schlankheit des ionischen Stils, so tritt uns im Parthenon der mehr auf den Ausdruck von Würde und Kraft gerichtete Sinn einer Kunst entgegen, die sich der dorischen nähert. Auch der Parthenon ist durch venetianische Bomben sehr zerstört, nachdem byzantinische Kaiser ihn in eine Kirche der Sophia verwandelt. In seiner ursprünglichen Gestalt war er ein rings mit Säulen umgebenes zweihundertundzehn Fuß langes, dreiundneunzig Fuß breites und sechszig Fuß hohes Gebäude in Quadratform. Drei Stufen führten zu den Säulen empor, von denen an jeder Langseite siebenzehn, an jeder Querseite acht sich erhoben. Die Höhe dieser mächtigen Säulen, von denen noch zweiunddreißig stehen, beträgt fünfunddreißig, ihr Durchmesser unten sechs und einhalb Fuß. Sie erscheinen schlanker und stehen etwas ferner von einander als die des eigentlichen dorischen Stils, auch ist die Ausladung ihres Capitäls nicht so wulstig wie bei jenen. Ohne den Charakter der Kraft und Würde zu verlieren, der jene Kunstrichtung kennzeichnet, tragen sie frei und leicht ihr wuchtiges, reichgeschmücktes Steingebälk.

Diese Säulen bildeten einen rings um die Cella, den eigentlichen Tempel, laufenden Gang, dessen innere Seite an den Langseiten hin die Quaderwände der Cella, an den Querseiten je sechs innere Säulen einfaßten, die etwas kleiner als die äußeren waren und mit diesen eine östliche und eine westliche Vorhalle bildeten. Ueber dieser wie über jener befanden sich in den Giebelflächen des Daches Bildwerke des Phidias in Marmor, von denen das im Osten die Geburt der Athene, das im Westen den Kampf der Göttin mit Poseidon um die Herrschaft über Attika zeigte. Zwischen den etwas hervortretenden Köpfen der Querbalken des Dachstuhls (Triglyphen) befanden sich mit Sculpturen geschmückte Platten (Metopen), welche, jede für sich ein abgeschlossenes Bild, die Hauptereignisse der attischen Sage, Thaten und Segnungen der Göttin des Tempels, Kämpfe des Theseus und seines Begleiters Herakles mit Kentauren und Amazonen darstellten. Endlich war innerhalb des Säulenumgangs, oben an der Mauer der Cella, ein großer Basrelief-Fries angebracht, dessen Gruppen den feierlichen Aufzug der Athener beim Feste der Panathenäen zeigten.

Der innere Raum des Parthenon war durch eine Quermauer in eine größere östliche und eine kleinere westliche Hälfte geschieden. Jene, deren Decke von sechszehn Säulen getragen wurde, war die Wohnung der Göttin, diese, die Westhälfte, hatte nur vier Säulen und diente zur Aufbewahrung des Staatsschatzes der Athener. Der Haupteingang des Tempels im Osten ist bei der Umgestaltung desselben in eine christliche Kirche vermauert worden. Trat man einst durch dieses östliche Portal ein, so gelangte man in einen Raum, der gerade hundert Fuß lang war und deshalb das Hekatompedon hieß. In der Mitte desselbeu war durch zwanzig Säulen ein längliches Viereck abgegrenzt, welches der Parthenon im engsten Sinne war, indem sich hier die große von Phidias aus Gold und Elfenbein gefertigte Bildsäule der Athene Parthenos erhob. Ueber den zuletzt erwähnten Säulen endlich befanden sich noch Galerien, auf denen das in der Mitte zur Erhellung des Heiligtums offen gelassene Dach ruhte.

Jetzt ist von allem dem nur noch ein Theil zu sehen. Die Nord- und die Südseite der Cella ist vollständig verschwunden und ebenso die Bedachung. Die Giebel sind allerdings erhalten, ihre Bildwerke aber sind bis auf geringe Reste fort, zum Theil vernichtet, zum Theil von Lord Elgin nach London gebracht. Von den sechsundvierzig Metopen wurde durch die Explosion, welche den Dachstuhl zertrümmerte, die größere Hälfte zerstört, und die, welche damals erhalten blieben, wanderten bis auf einige sehr verwüstete ebenfalls mit Lord Elgin nach England. Mehr ist von den Sculpturen des großen Basrelief-Frieses übrig geblieben, mit dem Phidias die Außenwand der Cella geschmückt hatte. Indeß befinden sich gegenwärtig nur die Platten der Westfront noch alle an ihrer Stelle, andere stehen im Innern des Tempels auf dem Boden, eine besitzt das Louvre, die meisten aber gingen in das Britische Museum. Die Bilder der Westfront, welche den Festzug der Panathenäen zeigen, wie er sich an seinem Ausgangspunkt ordnet und richtet, sind von besonderer Schönheit. Reiter schwingen sich auf ihre Pferde, einzelne tummeln sich schon, andere mühen sich ab, die feurigen Thiere zu bändigen, noch andere besänftigen sie mit schmeichelnder Geberde, einige sind noch mit Schuhanziehen und Mantelanlegen beschäftigt. Das Ganze zeichnet sich ebensowohl durch Leichtigkeit und Lebendigkeit als durch Ruhe und Einfachheit in der Composition aus.

In den Ruinen ist Alles still und einsam. Wie ganz anders als einst, wenn jener Panathenäenzug das Volk Athens hier oben zur Festfeier versammelte! Auf dem Kerameikosplatz drunten im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_127.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)