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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zugebracht und hätten um diese Zeit, wenn wir den rechten Weg eingeschlagen, zu Hause sein können. Allein wir konnten kein Zeichen nahen menschlichen Lebens wahrnehmen, hörten keinen Ton, obgleich wir oft Halt machten und unsere Ohren spitzten, um die Stimme irgend eines Fischers oder eines anderen Menschen aufzufangen, der etwa spät von seiner Tagesarbeit zurückkehrte. Wir hörten nichts – verhängnißvolle Stille – das Schweigen des Todes herrschte ringsum!

,Wir sind verirrt‘ sagte unser Führer; ,Gott weiß, wo wir sind!’ Nun, verirrt sein auf einem offenen Fjord, bei einem Thermometerstand von zwanzig Grad unter Null und beim Wehen eines scharfen Nordwindes; das Gefühl sodann jener allmählich uns beschleichenden Schläfrigkeit, welche, wenn man ihr nachgäbe, in den Todesschlaf überginge: eine solche Lage ist wahrlich keineswegs angenehm! In Bewegung müssen wir bleiben, gleichgültig in welcher Richtung! Ruhen wäre verhängnißvoll gewesen; und so schossen wir fort, in der Hoffnung uns immer auf dem rechten Wege zu befinden. – Plötzlich hörten wir das Rauschen eines entfernten Wasserfalles; wir machten Halt und pflogen Rath. ,Halt! Ich hab’s!’ rief unser Anführer; ,das ist der …Foß, den wir hören können, und dies ist also die …Crek. Zurück, zurück um’s Himmelswillen!’ Denn er wußte, daß dies die gefährlichste Stelle war, auf der man sich befinden konnte. Es war in der That die gefrorene Oberfläche des …Flusses, auf welchem wir standen, dessen Strömung so schnell und reißend ist, daß das Eis dort stets unsicher bleibt. Die Furcht beflügelte unsere Füße und wir machten keine Pause, bis der Schall des fallenden Wassers unseren Ohren völlig entschwunden war. Ein Gutes schien dieser Zwischenfall zu haben; denn er hob unser Vertrauen, da wir dadurch uns in Stand gesetzt glaubten, unsere Richtung nach der Stadt zu nehmen. Leider war diese Hoffnung eine eitle; denn nachdem wir unseren Lauf ein paar weitere Stunden fortgesetzt, konnten wir immer noch keine Zeichen der Heimath wahrnehmen.

Unsere Lage wurde bedenklich. Mitternacht war bereits vorüber und besorgte Freunde erwarteten uns zu Hause. Ich war so ermüdet und so abgemattet, daß ich mich kaum noch rühren konnte. Ich bat und flehte, man möge mich, wenn auch nur einen Augenblick, auf das Eis niederlegen lassen. ,Nein, keine Secunde!’ rief der Anführer. ,Zieht ihn auf, zieht ihn auf!’ Denn ich hatte mich selbst auf das Eis hingeworfen! Ein Schluck Branntwein gab mir neue Lebenskraft und rettete mir, wie mir schien, das Leben. – Plötzlich erspähten wir durch die Dunkelheit hindurch eine Anzahl trüber Lichter. War es die Stadt? Nein, denn sie bewegten sich. Waren es also Irrlichter? Nein, Gott sei Dank, freundliche Menschengestalten befanden sich dahinter. Wir waren gerettet! ,Hurrah!’ schrieen wir, – , Hurrah!’ – Die Lichter kamen näher und näher, und in wenigen Minuten standen wir unter einem Haufen Volkes, welchen unsere Freunde in der Stadt bewogen hatten, sie zu begleiten, die Vermißten zu retten. Wir befanden uns noch acht englische Meilen von der Stadt, und ich glaube, daß, wenn die uns aufsuchenden Leute nicht glücklicherweise auf uns gestoßen wären, sie am nächsten Morgen sieben erfrorene Leichname auf dem Eise gefunden haben würden.“

(Schluß folgt.)



Der Ausbruch des Vesuv vom 16. bis 20. November 1868.

Von Heinrich Boernstein.

„Sie sind ein wahres Glückskind. Andere Touristen sitzen hier Wochen, Monate, ja Jahre, warten auf einen Ausbruch des Vesuv und reisen wieder ab, ohne etwas Anderes gesehen zu haben, als bei Tage eine Rauchwolke und bei Nacht einen matten Gluthschein. Sie aber kommen kaum an und am andern Tage schon präsentirt sich Ihnen eine der großartigsten Eruptionen, wie wir sie in solcher Macht und Ausdehnung seit langen Jahren nicht gehabt haben. Sie können wirklich von Glück sprechen!“

So apostrophirte mich am zweiten Tage nach meiner Ankunft in Neapel Herr Leupold, Chef des geachteten hiesigen deutschen Handelshauses ,Leupold frères, als ich ihm meinen Empfehlungsbrief von seinem Hause in Genua überbrachte. Ich hatte in Genua den Senior dieser höchst achtbaren Firma, den Generalconsul des Norddeutschen Bundes, Herrn H. O. Heinrich Leupold, nicht mehr angetroffen, da derselbe auf einer Reise durch Deutschland, England und Frankreich abwesend war, war aber von dem jüngeren Bruder und Geschäftstheilhaber desselben mit solcher Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit aufgenommen worden, daß mir nichts zu wünschen übrig blieb.

Der Vesuv und seine jetzige Eruption waren natürlich der Hauptgegenstand unseres Gesprächs, und ich erhielt von dem wohlunterrichteten Manne manche werthvolle Belehrung. Allein selbst sehen ist die Hauptsache, und so beschloß ich so bald als möglich auf den Schauplatz der Eruption zu eilen.

Schon beim Ankommen hatte von der Station Caferta an der Vesuv meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt; es war bereits vor Capua Nacht geworden und durch diese trat nun der gluthrothe Gipfel des Vesuv in furchtbarer Pracht hervor. Je näher der Zug Neapel kam, desto imposanter wurde das Schauspiel; immer schärfer zeichnete sich der glühende Krater am dunkeln Horizont ab und Feuergarben, glühende Steine und dicke Rauchwolken entwirbelten wie die Schwärmer, Raketen und Girandolen eines Feuerwerk-Bouquets dem feurigen Schlunde. Ein Neapolitaner, der im Coupé mit uns saß, bemerkte, so unruhig habe er den Vesuv schon lange nicht gesehen, das gebe zuversichtlich eine große Eruption. Das war am 13. November Abends und der Mann hatte Recht gehabt.

Schon am 14. begann die unterirdische Thätigkeit des Berges sich mit furchtbarer Gewalt zu entwickeln, und am 15. erhob sich auf dem Atrio di Cavallo, dem oberen Gebirgssattel unterhalb des alten Kraters, ein neuer Kegel, der mit einer furchtbaren Explosion aufborst und nun einen glühenden Lavastrom über den Gebirgssattel ergoß, der sich langsam, aber unaufhaltsam abwärts schob. Der zweite Krater, der sich im Winter dieses Jahres bei der letzten Eruption gebildet hatte, ward durch die Steine und die Asche dieses neuen Ausbruchs ganz zugeschüttet und die ganze Gewalt der Eruption concentrirte sich nun auf diesen neuen Krater, während der alte Hauptkrater auf dem Gipfel des Berges nur eine dickqualmende, mit Feuerstreifen durchzogene schwarze Rauchwolke ausstieß.

Von Neapel aus konnte man den neuen Krater nicht sehen, da er sich auf der Nordostseite des Berges befand, aber die demselben entströmende Lavafluth wendete sich gegen den Fosso di Faraone, gegen Südosten, auf demselben Wege, den die Lava von 1855 genommen hatte, und war von nun an von der Stadt aus sichtbar. Von meiner Wohnung am Molo, wo ich die herrlichste Aussicht über den Hafen und den ganzen Golf von Neapel habe und das zauberische Panorama von halb Neapel, Portiei, Resina mit dem Kegel des Vesuv dahinter, Torre del Greco, Torre dell’ Annunziata, Castellamare, Sorrent und die Insel Capri vor mir liegt, konnte ich das wunderbare Schauspiel Tag und Nacht betrachten. Bei Tage verhüllten die dicken Rauchwolken oft jede Aussicht, bis ein lebhafter Wind sie auf Stunden hinwegfegte, bei Nacht aber war der Anblick ein furchtbar großartiger. Meer und Horizont waren von dunkler Gluthröthe gefärbt; wie ein feuriger Wasserfall senkte sich der breite Lavastrom über den steilen Abhang hinab und zertheilte sich nun tiefer unten, wo das Terrain schwächer abschüssig war, in mehrere Arme, die wie feurige Schlangen verderbenbringend fortzüngelten. Aus dem Hauptkrater stieg eine schwere, dicke, schwarze Rauchwolke, nur durch einzelne Blitze erhellt, thurmhoch empor, und von Zeit zu Zeit aus der Lavafluth auflodernde Feuersäulen erhellten Augenblicke lang die nächste Umgebung. Von meinem Bette aus hatte ich den Vesuv gerade vor Augen, und Neugier, Aufregung und Ueberraschung verscheuchten jeden Schlaf.

Nun litt es mich nicht länger in Neapel, ich wollte an Ort und Stelle sehen, was ich aus der Ferne mit Erstaunen betrachtet hatte. An eine Besteigung des Berges war nicht zu denken, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_808.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)