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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Alterthum herstammen müsse. Einige untergeordnete Stücke konnten recht wohl modernen Ursprungs sein. Für die besseren war die Möglichkeit, daß sie Schöpfungen eines nach classischen Mustern und mit dem Feinsinn der classischen Meister arbeitenden Künstlers der Zeit Raphael’s und Michel Angelo’s seien, nicht völlig ausgeschlossen. Einige anscheinend altrömische Inschriften, die man auf den Gefäßen erkannte, ließen sich in der Kürze der Zeit, die Wieseler in Hildesheim auf deren Untersuchung verwenden konnte, nicht mit genügender Genauigkeit betrachten.

So schied der Professor von Hildesheim, ohne auf’s Reine gekommen zu sein. Als er aber, nach Göttingen zurückgekehrt, das Detailstudium begann, schwand bald aller Zweifel. Schon am 30. October konnte er vor einem Kreise gelehrter Freunde als seine feste Ueberzeugung aussprechen, daß es sich hier um Erzeugnisse der besten römischen Kunstperiode handele, und diese Ansicht bestätigte sich, als später von Professor Sauppe die Inschriften, von denen man inzwischen mehrere, im Ganzen vierundzwanzig, entdeckt hatte, genau untersucht wurden, sowie durch eine Anzahl anderer zwingender Gründe.

Die einzelnen Stücke des Schatzes passen sämmtlich für die Tafel und die Küche eines reichen Römers. Es befinden sich darunter zunächst Aufbewahrungs-, Vertheilungs- und Mischgefäße von großen Dimensionen und schwerem Gewicht, sowie mehrere Schalen bis zu etwa zehn Zoll Durchmesser, die aus dem innern Boden mit erhabenen Reliefs geschmückt sind und wohl nur als Schaustücke auf den Tisch gesetzt wurden. Ferner treffen wir darunter Trinkbecher von verschiedener Art und Gestalt, zum Theil mit dem herrlichsten Bilderwerk bedeckt, welches sich auf Bacchus und seinen Dienst bezieht, Schüsseln, von denen die eine offenbar für Eier, eine andere vielleicht für Pasteten bestimmt war, große Teller mit oder ohne Arabeskenverzierung auf dem Rande, Casserolen und Tiegel. Sodann sind fünf kleine Gefäße dabei, die länglich-runden Präsentirtellern gleichen und, mit niedrigen Füßen versehen, zum Aufsetzen kleiner Vögel gedient zu haben scheinen. Auch das Salzfaß fehlt nicht. Zwei ovale Gegenstände, die am oberen Rande eine Auskehlung und unten ebenfalls Füßchen haben, sehen fast wie unsere Lichtscheerenschiffchen aus, werden aber Untersetzer gewesen sein. Endlich sind, um von weniger Bedeutendem abzusehen, die Ueberbleibsel einer rundlichen Cista (Schmuckkästchen), der Fuß von einem Lampenträger und von einem Dreifuß die drei Füße und drei Aufsätze, sowie mehrere Querstäbe dieses Geräthes vorhanden.

Alle diese Gefäße und Geräthe sind, wie bemerkt, von Silber, mehrere vergoldet, bei zweien findet sich Arbeit in Email. Sämmtliche Gegenstände passen nach ihrer Form durchaus in die Zeit, in welche Wieseler ihre Entstehung verlegt. Auch das ansehnliche Gewicht mehrerer Stücke spricht dafür. Seit in Rom während der Kriege mit Karthago der Gebrauch aufkam, von Silber zu speisen, aus Silber zu trinken, sehen wir, wie das Gewicht des silbernen Geräths, mit dem die Tafeln vornehmer Leute bedeckt waren, fortwährend zunahm; und schon vor Beginn der Kaiserzeit war auch das Küchengeschirr reicher Häuser von Silber.

Zu diesen Beweismitteln für die Ansicht, daß der Hildesheimer Silberfund aus dem römischen Alterthum stammt, kommen noch drei andere: die Inschriften der Gefäße, dann die Eigenthümlichkeiten der bildlichen Darstellungen, endlich das in technischer Hinsicht befolgte Verfahren.

Die Inschriften enthalten zum Theil altrömische Namen, meist aber Gewichtsangaben und zwar fast durchaus nur in Abkürzungen und Chiffern. Auf zwei der schönsten Pokale findet sich der Name eines Silberhändlers oder Silberschmieds Boccus oder Bocchus, der die Vornamen Lucius Mallius oder Malleolus führte, und daß es in der Zeit der ersten römischen Kaiser den Namen Boccus oder Bocchus gab, ist nachgewiesen. Wir kennen aus Plinius einen Schriftsteller Cornelius Bochus, und dessen Name war in Lusitanien, dem heutigen Portugal, sogar häufig. Andere Geräthe stammen aus anderer Hand, die Inschriften darauf bezeugen, daß sie aus den Werkstätten von noch vier anderen römischen Künstlern hervorgegangen sind, von denen einer sich Marsus, ein anderer sich Aurelius C. nennt. Das Gewicht ist in Pfunden sowie in Unzen und Scripula angegeben. Die Gestalt der Buchstaben weist auf die von Wieseler angenommene Zeit hin, ebenso die Art der Gewichtsangabe, desgleichen die Stelle, wo die Inschriften angebracht sind. Endlich entspricht auch die Ausführung der Buchstaben und Zeichen vollständig dem, was im Alterthum, vorzüglich bei Werken von edlem Metall, üblich war, d. h. sie sind entweder durch Punktiren oder durch Einritzen und zwar meistentheils in ersterer Weise hergestellt.

Schon das Gesägte läßt kaum noch Raum für die Ansicht, daß der Hildesheimer Silberfund viel jünger als der Anfang der christlichen Zeitrechnung sei, und von Renaissancearbeit ist wohl nicht mehr die Rede. Aber hören wir die Gelehrten weiter.

Von den beiden größeren Schalen mit Bildwerk auf dem inneren Boden zeigt die eine die vergoldete und etwa acht Zoll hohe Figur einer Minerva, die auf einem Felsen sitzt und den Kopf nach links wendet. Ihre Gewandung mit wundervollem Faltenwurf ist die gewöhnliche. Die Aegis liegt, schärpenartig übergeworfen, auf der linken Schulter. Das Haupt bedeckt ein Helm mit drei Roßschweifen, deren mittelster eine Sphinx zur Unterlage hat. Mit der linken Hand hält die Göttin einen großen runden Schild, der in der Mitte das Medusenhaupt zeigt, während der Rand mit Olivenblättern geziert ist, in der rechten aber nicht, wie gewöhnlich, die Lanze, sondern einen Pflug. Vor ihr endlich, etwas zur Rechten, sitzt auf einem Stein, an dem ein Oelkranz lehnt, die Eule, das heilige Thier der Göttin. Nun kommen drei Roßschweife auf dem Helm der Minerva im Alterthum sehr selten vor, es ist daher nicht glaublich, daß ein Künstler der Renaissancezeit gerade diese Form nachgeahmt haben sollte. Noch wichtiger aber für uns ist der Pflug. Derselbe bezeichnet die Göttin als Erfinderin des Pflugs. Daß sie im Alterthum auch als Göttin des Ackerbaues galt, ist bekannt; daß sie den Pflug erfunden habe, wird nur in zwei lediglich von Fachgelehrten gelesenen alten Schriftstellern gesagt, die schwerlich in den Werkstätten von Silberschmieden des sechzehnten Jahrhunderts den Ton und die Norm angegeben haben.

Ein ähnliches Medaillon kommt in der zweiten größeren Schale vor. Es ist ein stark aus der Fläche hervortretendes Brustbild, stellt Hercules als neugebornes Kind vor, wie er spielend und lächelnd die bekannten beiden Schlangen erdrückt, und ist ein Meisterwerk im Ausdruck des Gesichts, dem nichts Modernes an die Seite zu setzen ist.

Die beiden kleineren von den vier Schalen, die mit erhabenem Bilderschmuck versehen und vergoldet sind, gehören unzweifelhaft zu einander; denn sie entsprechen einander nach Größe, Form und Decoration vollständig. Die eine zeigt die Büste eines nach links gewendeten Weibes, die eine Mauerkrone auf dem Haupte trägt, und hinter deren linker Schulter eine Handpauke hervortritt, auf welcher ein großer Stern erscheint, Attribute, welche sie als die Göttin Cybele bezeichnen. Die andere Schale dieses Paares enthält die Büste eines jungen, bartlosen Mannes, der ebenfalls nach links hinblickt. Sein Haupt bedeckt eine phrygische Mütze, seine Brust ein phrygisches Gewand, um seinen Hals legt sich ein gewundenes, vorn offenes Halsband. Wie der Halbmond hinter seinen Schultern und die Sterne auf seiner Mütze schließen lassen, ist dieser, beiläufig außerordentlich schön gebildete, Jüngling der Deus Lunus, d. h. der Mondgott. Dieser aber ist bisher mit der Cybele noch nicht so gruppirt gefunden worden. Ein Künstler des Alterthums indeß konnte beide sehr wohl mit einander verbinden; denn beide wurden von vorderasiatischen Völkern besonders verehrt, und beide standen sich ihrer Bedeutung nach nahe, ja Cybele wurde neben die thracische Mondgottheit Hekate gestellt. Indeß war diese Ansicht im Alterthum nicht weit verbreitet. Wir werden also kaum glauben dürfen, daß ein Künstler des sechzehnten Jahrhunderts nach ihr verfahren sei.

Eines der schönsten Gefäße ist die eine von den drei großen, gegen zwanzig Zoll hohen Vasen des Schatzes. Am Fuße derselben stehen vier Greife, aus deren Flügeln sich Arabesken entwickeln, welche in feinen Ranken die ganze Vase umflechten. Dieses Geflecht ist von einer Zierlichkeit, die wir aus Pompeji hinlänglich kennen, und die keine nachahmende Kunst moderner Zeiten jemals ganz erreicht hat. Von den sich kreuzenden Ranken aus harpuniren und fischen schäkernde Kinder in den anmuthigsten Stellungen Fische, Krebse und andere Wasserthiere. Ebenso künstlerisch vollendet ist ein etwa vier Zoll hoher Henkelbecher. Derselbe ist mit Weinranken überzogen und zwischen denselben mit Theatermasken tragischer und kölnischer Art besetzt. Die Masken sind so erhaben gearbeitet, daß man sie kaum noch Reliefs nennen darf, und von einer Vollendung in Zeichnung und Ausdruck, die

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