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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Sabine-Insel bis Hudsons ,Hold with Hope’ vor uns und jedes einzelne Schneefeld zu erkennen, und doch nicht hingelangen zu können – das war hart! Schon machte es sich fühlbar, daß die Tage kürzer wurden, es fing bereits an während einer Nacht zölliges Eis zu frieren, und noch auf einen Durchbruch des Eises hoffen? – das schien Wahnwitz. Wir hatten uns tief in das Eis hineingearbeitet und mußten uns eben so schwer wieder herausarbeiten. Einmal waren wir wieder so vom Eise besetzt, daß uns unsre Lage bedenklich erschien. Aber ein frischer Nordostwind, der nachher auf offner See zum Sturme anwuchs, befreite uns bald aus unsrer Gefangenschaft.“

Trotz alles Ungemachs war die heldenkühne Schaar noch keineswegs entmuthigt. Die Erreichung des Hauptzieles, der Expedition an der grönländischen Küste hatte zwar aufgegeben werden müssen; aber wenigstens sollte nun noch der Versuch gemacht werden, bei Spitzbergen Erfolge zu ertrotzen. Vor der Henlopenstraße, welche die Hauptinsel Spitzbergens von dem östlich gelegenen „Nordostlande“ trennt, fand man das Eis durch einen Sturm aufgebrochen und wagte es daher, in diese Straße einzulaufen. Bisher hatte noch kein Schiff diese Straße in ihrer ganzen Länge durchfahren. Immer noch hatte man sich, mochte man von Norden oder von Süden her eingelaufen sein, vor ihrem Ausgange durch undurchdringliche Eismassen Halt geboten gesehen. Der „Germania“ gelang es zum ersten Male, die ganze Straße bis über Cap Torrell hinaus zu passiren. Hier freilich versperrte wieder eine Eisschranke den Weg. Gillisland auf diesem Wege zu erreichen, war so wenig gestattet, als auf dem zwei Monate früher von Süden her eingeschlagenen. Man mußte sich wieder nordwärts wenden und erreichte am 14. September sogar die Breite von 81 Grad 5 Min., die höchste, die je zuverlässig von einem Schiffe erreicht wurde. Aber auch hier zeigte sich das Eis undurchdringlich, und man mußte sich nun endlich, in Anbetracht der vorgerückten Jahreszeit, zur Rückkehr entschließen. Am 30. September lief die „Germania“ wieder in den Hafen von Bergen ein.

Ueber den glänzenden Empfang, welcher der rückkehrenden Expedition in der Wesermündung am 10. October bereitet wurde, haben die Zeitungen berichtet. Ueberschauen wir die Thaten unserer ersten Nordpolexpedition, so haben wir keinen Grund zu klagen oder kleinmüthig zu sein. Die ganze viermonatliche Fahrt war ein unausgesetzter, mit seltener Ausdauer und nicht zu beugendem Muthe durchgeführter Kampf gegen einen übermächtigen Feind. Jeder Fuß breit Terrain mußte den wilden Elementen abgetrotzt werden. Daß nicht mehr erlangt wurde, daß namentlich die großen Ziele unerreicht blieben, ist nicht die Schuld der vortrefflichen Seeleute, denen diese Expedition anvertraut war, sondern einerseits der Kleinheit des Schiffes, das man in diesen schweren Kampf geschickt hatte, andrerseits der unerwartet ungünstigen Eisverhältnisse des Polarmeeres. Der ungewöhnliche Sommer dieses Jahres hatte auch ungewöhnliche Erscheinungen im hohen Norden hervorgerufen. Noch niemals, darüber sind alle Walfischfänger einig, welche in diesem Jahre die nordischen Meere besuchten, sind so ungeheure Eismassen vom Norden herabgekommen. „Es ist dieses Jahr ein Eisjahr gewesen,“ lautet der Bericht der schwedischen Nordpolexpedition, welche mit Hülfe eines der besten Dampfschiffe dieselben Aufgaben zu lösen versuchte, welche der deutschen Expedition gestellt waren, – „so daß z. B. das Meer zwischen den ,Sieben Inseln’ und dem ,Nordostlande’, welches 1861 schon in der Mitte des August eisfrei war, jetzt noch, in der ersten Hälfte des September, großentheils mit festem Eise bedeckt war.“ Auch diese schwedische Expedition hat trotz ihrer glänzenden Ausrüstung keine besseren Erfolge zu erzielen, selbst keine höhere Breite zu erreichen vermocht, als die kleine deutsche. Die grönländische Ostküste namentlich ist noch in keinem Jahre so unnahbar gewesen als in diesem. Mit seltener Hartnäckigkeit anhaltende Ost- und Nordostwinde hatten ungewöhnliche Eismassen gegen Grönland herangeführt und dort zusammengedrängt. Nichts destoweniger war es dem kleinen deutschen Schiffe, wie wir gesehen haben, sogar gelungen, diese Eismassen zu durchbrechen; aber das zusammengedrängte Eis hatte sich am Lande festgelegt und verhinderte sowohl die Annäherung an die Küste, als es den sonst mit Sicherheit zu erwartenden Canal freien Wassers längs der Eiskante versperrte.

Nur mit bewunderndem Stolze können wir auf die Seeleute blicken, welche unter so unerhört schwierigen Verhältnissen noch solche Erfolge ertrotzten, welche mit ihrem kleinen Fahrzeuge das grönländische Packeis durchbrachen, welche im Osten der Bäreninsel weiter als irgend ein Schiff jemals vor ihnen vordrangen, welche die Henlopenstraße bis über das Cap Torrell hinaus durchsegelten, welche endlich auch gegen den Pol hin die ungewöhnliche Höhe von 81 Grad 5 Min. erreichten.

Die erste deutsche Nordpolexpedition hat bestätigt, was ein bekannter preußischer Corvetten-Capitän schon am 2. December 1865 in der Sitzung der geographischen Gesellschaft in Berlin über die deutschen Seeleute öffentlich aussprach. Er habe selbst, sagte er damals, Tausende von deutschen Seeleuten unter Händen gehabt und die gefährlichsten Momente mit ihnen durchlebt, aber er glaube nie bessere Seeleute befehligen zu können. Auch seien ihm soviel Anträge zur Theilnahme an einer künftigen Expedition von der Elite unserer Seemannschaft zugegangen, daß er seine ganze Mannschaft aus Männern wählen könne, deren jeder seine Steuermannsprüfung bestanden habe und mithin mit jedem nautischen und bei der Expedition in Frage kommenden wissenschaftlichen Instrumente umzugehen wisse. Solche geistige Verhältnisse seien weder je bei anderen Expeditionen vorhanden gewesen, noch würden sie bei anderen Nationen vorkommen, und deshalb müsse eine deutsche Nordpolfahrt in wissenschaftlicher Beziehung viel mehr leisten, als dies irgend ein anderes Volk vermöge. In der That hat kaum jemals eine Polarexpedition in so kurzer Zeit und unter so unablässigen und schweren Kämpfen durch Beobachtungen, Messungen und Sammlungen eine reichere wissenschaftliche Ausbeute geliefert, als diese kleine Expedition trotz der geringen Zahl ihrer Mannschaft, trotzdem sie von keinem wissenschaftlichen Forscher begleitet war. Das größere Publicum wird diese wissenschaftliche Bedeutung der Expedition erst ganz zu ermessen vermögen, wenn der ausführliche Reisebericht, mit welchem Koldewey gegenwärtig noch beschäftigt ist, und das Ergebniß der Untersuchung, welcher die Sammlungen der Expedition von Seiten der bedeutendsten Gelehrten Deutschlands unterliegen, zur Veröffentlichung gelangt sein werden.

Als einen der besten und erfreulichsten Erfolge unserer ersten Expedition müssen wir endlich die rasche Entschlossenheit bezeichnen, mit welcher bereits eine zweite glänzendere deutsche Nordpolexpedition für das kommende Jahr vorbereitet wird. Eine sichere Bürgschaft ihres Zustandekommens ist die begeisterte Theilnahme der deutschen Seehandelsplätze an der Weser, die nicht nur einen merkwürdigen Contrast zu der kühlen Gleichgültigkeit bildet, mit welcher das deutsche Volk vor drei Jahren Petermann’s erste Anregung zu einem solchen Unternehmen aufnahm, sondern auch den Beweis liefert, daß man wenigstens an den deutschen Nordküsten die Wichtigkeit des Unternehmens, den Einfluß, welchen es auf die Interessen der Marine, auf den Sinn für Seefahrt, auf den nautischen Geist des Volkes haben muß, vollauf zu würdigen versteht. Der Plan der neuen Nordpolfahrt ist in seinen Grundzügen bereits entworfen und sieht seiner Veröffentlichung in Kürze entgegen. Ohne vorgreifen zu wollen, kann bereits so viel gesagt werden, daß nicht wieder einem zwerghaften Segelschiffe die große Aufgabe anvertraut werden soll, daß ein, womöglich zwei kräftige, in jeder Beziehung dem ernsten Kampfe mit den Elementen der Polarwelt gewachsene Dampfschiffe eine auserwählte, von bewährten wissenschaftlichen Forschern begleitete Mannschaft tragen werden, daß ein weiterer Schauplatz als zuvor ihrer Thätigkeit offen stehen wird, nicht blos die Ostküste Grönlands, nicht blos das spitzbergische Meer und das unbekannte Gillisland, sondern das weite, eisgepanzerte Meeresbecken von Grönland bis Nowaja-Semlja, und daß endlich auch eine Ueberwinterung auf Grönland zum Behuf ausgedehnter wissenschaftlicher Forschungen in Aussicht genommen wird. Nicht der Pol im eigentlichen Sinne, sondern die Erschließung und wissenschaftliche Erforschung des arktischen Polarbeckens wird das Ziel dieses Unternehmens sein, dessen Ausführung uns der im deutschen Volke so kräftig erwachte Sinn für die Ehre des Vaterlandes, dessen Erfolge uns der bewährte Seemannsruhm unserer Koldewey, Hildebrandt und Sengstacke verbürgt. Der Ausgang steht nicht in des Menschen Hand; was aber Menschen zu dem Erfolge beitragen können, das darf Deutschland getrost von seinen Seeleuten erwarten.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_791.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)