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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

daß er angewiesen sei, allnächtlich seine Ladungen irgendwo und irgendwie los zu werden, da kein Platz dafür erlaubt sei.

Solcher nächtlichen Jagdscenen mag sich der Mittelpunkt der Intelligenz wohl sehr häufig rühmen und damit beweisen können, daß er nicht so arm an romantischen Scenen sei, wie die böse Welt behauptet. Außerdem kann man in Hobrecht nachlesen, wie und mit welchen Kenntnissen die jetzigen Communal- und Polizeibehörden sich mit öffentlichen Gesundheitsfragen beschäftigen. Es ist nicht mehr auszuhalten, und kein gebildeter Mensch sollte länger ruhig in solchen Städten und Häusern Tod und Verderben athmen, wenigstens müßte er sich zunächst der Agitation für ordentliche Gesundheitspflege und ein betreffendes Gesundheitsamt anschließen und jede Art von Verbrechen auf diesem Gebiete selbst vermeiden und an Anderen nach Kräften rügen und bestrafen. Guter Rath und Belehrung sind auch nicht zu verachten, aber gründlich helfen und durchgreifen kann blos eine mit Wissenschaft und vollstreckender Gewalt ausgerüstete Behörde. Diese Behörde läßt sich vielleicht aus schon jetzt vorhandenen Bestrebungen und Vereinen entwickeln. Die Abtheilung des Naturforscher-Congresses für öffentliche Gesundheitspflege mag sich zu einer selbstständigen Versammlung erweitern und allerhand Volks- und Landwirthe, betreffende Polizei- und Communalbeamte, Volksvertreter, Bevollmächtigte landwirthschaftlicher, medicinischer und sonstiger praktischen Vereine mit herbeiziehen und zunächst alle Thatsachen und Erfahrungen, die hierher gehören, prüfen und sichten.

Gutes Wasser und gute Luft! Wer zweifelt hier noch? Und doch dürfen beide Grundbedingungen für die öffentliche Gesundheit noch überall täglich und nächtlich von Jedem ungestraft verletzt werden. Noch wichtiger für einen solchen Congreß wäre die Entscheidung über noch streitige Fragen, namentlich Abfuhr oder Canalisirung, so wie über das Geheimniß praktischer Verdichtung der Düngstoffe aus den Cloakenflüssigkeiten, welches übrigens wohl schon jetzt von jedem guten Chemiker gelöst werden kann, so daß wir auf die Engländer nicht zu warten brauchen. Nach dem Ausspruche Palmerston’s ist Unrath nur ein wirklicher Geheimrath am unrechten Platze. Die Hauptaufgabe für die öffentliche Gesundheitspflege ist richtige Anstellung dieses Unraths. Trotz unserer gerühmten Wissenschaft und Erfahrung wußten wir bis jetzt nicht, ihn richtig unterzubringen. Nun haben wir endlich ermittelt, daß alle thierischen Lebensabfälle immer so schnell wie möglich der Erde anvertraut werden müssen, um ihre Tödtlichkeit in die schönsten Quellen neuen Lebens zu verwandeln. Die unterirdischen Cloakensysteme entwickeln immer viel giftige Luftarten und werden auch, wenn sich die erwähnte englische Erfindung bewährt, eine noch fragliche Wohlthat bleiben. Aber diese thierischen Lebensabfälle dürfen auch unter keiner Bedingung in Häusern und Höfen liegen bleiben und in Gährung übergehen, ehe sie vielfach entwerthet und des Mordes schuldig der Erde anvertraut werden. Es gilt also möglichst schnelle Vermischung derselben mit der Erde. Dadurch wird ihr Tod sofort neue Lebenskraft. Und auch in dieser Richtung gehen uns die Engländer bereits mit einem gutem Beispiele voran und wenden statt der Waterclosets immer häufiger und mit dem besten Erfolge die Moule’schen Erdclosets an.

Diese können beinahe in jeder Form eingerichtet werden, wenn sie nur die Bedingung erfüllen, daß alle hineingeworfenen thierischen Lebensabfälle immer sofort mit frischer, trockener Erde vermischt oder überdeckt werden. Dies hindert alle Entwickelung schlechter Luft und giebt ihnen für neue Lebens- und Nahrungserzeugung ohne Abzug den höchsten Werth. Es giebt also Vieles zu prüfen und das Beste zu behalten, aber auch streng durchzuführen durch ein mächtiges, weises Gesundheitsamt.




Der Redacteur im fernen Westen.

Eine Stadt auf dem Grund und Boden der Vereinigten Staaten – möge sie vorläufig auch aus nichts weiter bestehen als einem paar Kaufläden „für Alles“, einigen Schenkstätten, einem Schulhause und zwei oder drei Dissentercapellen – ohne Tages- und Wochenblatt, oder vielmehr ein Organ, welches die Interessen der amerikanischen Demokratie, und ein anderes, das die der Republikaner vertritt und verficht – verficht oft genug in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes – ist geradezu undenkbar, undenkbar in den eben erst zur Civilisation geweckten neuen Colonien des fernen Westens wie in den ihr seit Jahrhunderten erschlossenen „alten“ Staaten Neuenglands.

Es ist ein originelles Gewächs diese fernwestliche Presse, ein nicht minder originelles Subject aber der Herausgeber und Redacteur des fernen Westens. Begleite uns also der Leser einmal auf einem Sommerausfluge nach einer jener stillen kleinen Städte am Rande der Prairie, einem jener Orte ohne klingenden Namen, von denen es schwer ist zu bestimmen, wo das Land aufhört und die Stadt anfängt, und wo die Bewohner in ihrem dolce far niente sich vor dem Specereiladen auf der Schattenseite der Straße in ihren Schaukelstühlen wiegen, Tabak kauen und um die Wette – spucken.

Noch haben wir uns kaum unserer kolossalen mexicanischen Pfundsporen entledigt, noch ist am Schenktisch der Bude, die sich „Hotel“ titulirt, unsere erste Herzstärkung nicht völlig hinabgespült, noch haben wir die frische Havanna nicht in Brand gesteckt, so tritt ein mit schäbiger Eleganz gekleidetes Individuum geschäftig zu uns heran und beginnt mit jenem Gemisch von vorsichtiger Verschlagenheit und unverschämter Zudringlichkeit, wie sich in gleicher Vollkommenheit nur der Amerikaner seiner rühmen darf, ein Kreuzfeuer von Fragen über uns auszugießen. Einigermaßen verdutzt, betrachten wir uns die seltsame Erscheinung mit den listig funkelnden kleinen Augen, die währenddem auf die gegenüberliegende Wand des Zimmers eine unaufhaltsame Fluth von braunem Tabakssaft ausgesprudelt hat, etwas näher, um, nicht mehr grün in den Verhältnissen und Gestalten des Landes, sofort zu wissen, daß wir einen der Zeitungsherausgeber und -Redacteure des Ortes vor uns zu sehen das Vergnügen haben.

Eben ist die Neuigkeitspumpe im schwunghaftesten Gang; mit einem Male fährt unser Preßmann auf, als sähe er einen Alligator auf sich losrudern, schiebt hastig und geschwind den Tabaksknäuel von der rechten nach der linken Wange, schleudert einen noch energischeren Strahl als die bisherigen nach dem erkorenen Ziele und eilt mit dem Ausdruck supremster Verachtung im Gesicht durch die offene Thür von dannen. Von der jenseitigen Seite der Straße aber nähert sich mit den langen Schritten der langen Beine eine Figur in Hemdärmeln, – der Besitzer und Herausgeber des gegnerischen Blattes. Zufällig ist dies von der Farbe, zu welcher sich unser Wirth bekennt; es ermangelt derselbe daher nicht, uns den „Doctor“ oder „Richter“ oder „Capitän“ So und So – ohne Titel geht es bekanntlich in dem republicanischen Amerika noch viel weniger als bei uns im monarchischen Deutschland; die Capitäne, Obersten und Generale sind zahllos in den Vereinigten Staaten – „den Herausgeber des ‚Freiheitspaniers‘ und einen der ausgezeichnetsten Bürger dieser Stadt“, in aller Form vorzustellen.

Capitän So und So ist, wie uns nähere Bekanntschaft lehrt, durchaus nicht das wilde, blutschnaubende, grausame Geschöpf, als welches es sich in seinen Leitartikeln und namentlich in seinen „persönlichen Notizen“ darstellt. Es ist vielmehr ein Mann von wohlwollender Gesinnung, der uns auf das Gastfreundlichste einladet, ihn auf seinem Bureau zu besuchen, welches, wie wir finden, Setzer- und Drucksaal, Wohnstube und Redactionsbureau, kurz Alles in Allem ist, obschon es außer einem mit Tabakssaft gesprenkelten Ofen, einem Tisch und einem abgenutzten Schaukelstuhl der wohlfeilsten Art blos die zu Leben und Geschäft allerunentbehrlichsten Möbeln und Geräthe enthält. Zugleich aber scheint das vielseitige Gemach der Hauptversammlungsort aller Politiker und Bummler der Stadt zu sein, die sich um das „Freiheitspanier“ schaaren.

Der Herr Redacteur selbst entschlüpft, wenn er gerade nichts Dringendes zu verrichten hat, dann und wann diesem Tempel der Literatur, um einen vorübergehenden Bekannten zu fragen, „ob er nicht etwa Stoff zu einer kleinen Notiz bei sich hat,“ oder eilt hinüber einen Goldgräber „auszupumpen“, welchen er gerade auf der Straße erblickt und der soeben erst in der Stadt angelangt ist, seinen Wochenbedarf an Bohnen und Schweinefleisch gegen Goldstaub einzuhandeln.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_760.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)