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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Uebermuth des Reichsfürsten gebändigt werden könne, begann das selbstständige Leben von Rothenburg. Zur gleicher Zeit mit Regensburg, Reutlingen, Speier, Nürnberg und vielen anderen schwäbischen, fränkischen und rheinischen Städten erhob es der Kaiser zur freien Reichsstadt, und die Schlagfertigkeit der Bürger sorgte dafür, daß die Stadt Herrin eines ansehnlichen Gebiets wurde.

Letzterer Umstand allein macht es uns erklärlich, wie diese an sich so kleine Stadt, welche in ihren besten Tagen nie über sechstausend Einwohner zählte, die Mittel erschwingen konnte zu den noch heute bewunderungswürden Kirchen- und Rathhausbauten, die wir außerdem in Deutschland nur in den durch ihre eigene Größe mächtigen, oder in fürstlichen und bischöflichen Sitzen wieder finden. Wie der jetzt so öde Marktplatz von da an nicht selten Enthaltung kaiserlicher Herrlichkeit sah, so erinnern uns noch zwei Baudenkmale an die höchstes Glanzzeit der Stadt und leider auch an den Undank der regierenden Geschlechter: das alte Rathhaus, welches sich hinter den Prachtbau des neuen versteckt, und die thurmartiges kleine Burg, welche wir in besonderer Abbildung (S. 748) beifügen.

Als nämlich gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts in Südwestdeutschland der große Freiheitskampf der Städte gegen die Fürsten ausbrach, der in den Siegen der Schweizer über Oesterreich – Sempach! – seinen höchsten Triumph feierte, besaß Rothenburg in seinem Bürgermeister Heinrich Toppler einen der tüchtigsten und kühnsten Feldhauptleute, jener Zeit. Er führte den Kampf gegen den umwohnenden Adel und selbst gegen den Bischof von Würzburg mit solchem Glück, daß er das Stadtgebiet über fast sieben Quadratmeilen mit einhundertdreiundsechszig Dörfern und vierzig Burgen ausdehnte. Auf zwanzig Stunden weit war dieses Gebiet mit Gräben umzogen und mit Thürmen zur Verteidigung versehen, und Toppler herrschte außerhalb der Stadt noch über achtzehntausend Landesunterthanen. So hoch angesehen war der Mann, daß die schwäbischen Städte ihn zu ihrem Feldobersten ernannten, als welcher er dem Herzog Ulrich von Würtemberg die siegreiches Schlacht bei Reutlingen lieferte. Den Raubadel vertilgte er, soweit sein Arm reichte. Die Chronik von damals erzählt, daß „1399 Raban von Ernberg, Fritz Pfaffenangst und der junge gleißende Wolf“ gefangen, und auf dem Markt zu Rothenburg enthauptet worden. Selbst dem Kaiser bot er Trotz. Wenzel forderte viertausend Gulden von der Stadt und als diese ihm verweigert wurden, schrieb er die seine gemeine Natur gar deutlich kennzeichnenden unkaiserlichen Zeilen zurück: „Buser vngetrewen zu Rotenburg, die dem Reiche ungehorsam seyn. Der Teufel hub an zu scheren ein Saw, vnd Sprach also vil gescheyes und wenig wolle. Rex.“ Später ließ dieser Kaiser sich nicht nur mit eilfhundert Gulden versöhnen, sondern war oftmals des Bürgermeisters Gast, weshalb der Volkswitz das Thurmschlößchen Toppler’s, wo Wenzel seine Tage und Nächte in Faulheit und Schlemmerei verbrachte, den Kaiserstuhl und das Faullenzen „Wenzeln“ nannte, wie es dort noch heute heißt.

Es liegt im menschlichen Wesen, daß ein Mann, der mit dem Befehlswort des Feldherrn so Großes vollbracht, auch in städtischen Angelegenheiten daheim den Commandoton annahm; und wenn wohl auch die Bürger, im Stolz auf die Macht ihrer Stadt, die sie ihm verdankten, von ihrem Bürgermeister eine etwaige hochfahrende Art duldeten, so muß er doch in den Reihen der Patricier um so schärfere Feindschaft gegen sich erregt haben. Seine Rathsgenossen griffen zu dem oft bewährten Mittel, einen gewaltthätig Hochstrebenden zu verderben: sie erklärten die Freiheit durch ihn gefährdet, ja, man beschuldigte ihn sogar, mit dem Burggrafen von Nürnberg um die Herrschaft über Rothenburg gewürfelt zu haben. Offenbar war es aber kein Rechts-, sondern ein Racheact, daß man den Helden so vieler Siege und den Träger des Ruhms und des Glanzes seiner Vaterstadt in einem geheimen Gefängniß des alten Rathhauses lebendige einmauern und verhungern ließ. Das geschah im Jahre 1408.

Die Strafe folgte der Unthat auf dem Fuße, denn um dieselbe Zeit wurde die Stadt von jenem Nürnberger Burggrafen, Friedrich dem Hohenzoller, gestürmt und erobert. Ihrer Selbstständigkeit gewiß nicht ohne schwere Opfer zurückgegeben, wurde sie in die endlosen Kämpfe der Städte gegen Fürsten und Adel verwickelt, welche unter Kaiser Friedrich dem Dritten das Reich verwüsteten, und nur eine geringe Entschädigung für all’ das Elend war das glänzende Schauspiel, als dieser Kaiser auf dem Markte zu Rothenburg den König Christian von Dänemark mit Holsteins Starmarn und Dithmarsen belehnte und selbst ein türkischer Prinz, Bajazet, zu den Zuschauern dieses Staatsacts gehörte.

Auch der innere Friede Rothenburgs war dahin; die Zwietracht zwischen der Bürgerschaft und den sogenannten Geschlechtern kam endlich zum Ausbruch, und ein Wollenweber, Namens Spieß, war es, der im Jahre 1450 sich an die Spitze der Zünfte schwang und die Geschlechter aus der Stadt vertrieb. Und wie im Ausgang des Mittelalters tritt auch an der Pforte der neueren Zeit Rothenburg sofort in den ersten großen Kampf ein: es war einer der Krater der verheerenden Lavaströme des Bauernkriegs.

Wie an vielen anderen Orten, und namentlich in Reichsstädten, hielt auch hier der aristokratische Rath noch an dern alten Kirche fest, während das Volk bereits den „Prädicanten“ lauschte und muthige Priester ihr Gotteshaus der neuen Lehre öffneten. In Rothenburg wurden der Prediger Dr. Johann Deutschlin und ein blinder Barfüßermönch, Hans Schmid, genannt der Fuchs, die ersten Verbreiter der Reformation. Zu ihnen gesellte sich der aus Sachsen vertriebene Bilderstürmer Karlstadt, der zuerst Bürgern und Bauern predigte, daß Luther die neue Lehre, die dem Volke die Freiheit bringen solle, zu einer Fürstensache erniedrige und daß man ohne Luther das Ziel verfolgen müsse, und Henselin, genannt der Pauker, ein Prädicant von Nicklashausen, trat hier mit seinem socialistischen Evangelium auf. An ihrem Feuereifer entzündete sich rasch genug die Flamme, die bald „die hellen Haufen“ ergriff und in einen jammervollen Vernichtungskampf führte. Der „Rothenburger Haufen“ eines Menzinger und Anderer, und die „Rothenburger Landwehr“ werden in der Geschichte dieses Krieges viel genannt, ebenso das „Rothenburger Geschütz“, mit welchem der größte und edelste Held der Bauern, Florian Geyer, noch tapfer focht, nachdem der Sieg der Fürsten bereits bei Königshofen in fürchterlicher Mordschlacht errungen war. „Dem Erzbischof von Trier, dem Pfalzgrafen und den anderen Fürsten dünkte es ergötzlich, gleichwie eine Schweinhatz“ – so erzählt ein zeitgenössischer Geschichtschreiber in pfälzischen Diensten. Mehrere Tausende der dem Gemetzel entronnenen Bauern flohen den Taubergrund hinauf bis Rothenburg. Von einem Wald gedeckt wehrte sich die Mehrzahl bis zum letzten Mann; noch viele Jahre später fand man Massen von Todtengebeinen zwischen Bäumen und Büschen. Die Gefangenen, darunter Menzinger, wurden auf dem Markte zu Rothenburg hingerichtet. Karlstadt, der Miturheber des großen Unheils, hatte sich heimlich in der Stadt zu halten gewußt bis zum Ende des Kriegs; als die Rächer nahten, ließ ein Fräulein ihn des Nachts über die Mauer hinab in’s Freie.

Durch eine Kaisererinnerung geweiht wurde auch das neue Rathhaus. Als Karl der Fünfte den Schmalkaldischen Krieg siegreich beendigt hatte, öffnete Rothenburg ihm gehorsam die Thore. Der hohe Herr litt schwer am Zipperlein und mußte zwölf Tage hier Stand halten. Im ersten Erker sitzend mochte er grimmig genug darein schauen, als er von da die Huldigung der ketzerischen Bürgerschaft entgegennahm. – Und wer sich durch das Klingerthor hinausbegiebt, wo jetzt eine breite Landstraße nach Mergentheim führt, kann sich auch den steilen Weg betrachten, auf welchem Karl’s des Fünften Nachfolger, Kaiser Ferdinand der Erste, einst mit seinem stattlichen Gefolge zu Thal geritten ist.

Wenn zu irgend einer Zeit, so war während des dreißigjährigen Krieges der Zinnengürtel Rothenburgs gefährlichster Schmuck: er zog Freund und Feind an, um dort Schutz oder Kampf, Hülfe oder Beute zu suchen. Kaiserliche und Schweden berannten häufig und erstürmten mehrmals die Stadt; am tapfersten vertheidigte sie sich gegen Tilly, „den alten Teufel“, wie Gustav Adolf ihn nannte. Dreißig Stunden ohne einen Ausblick der Ruhe kämpften die Bürger und die geringe schwedische Besatzung auf den Wällen, so daß nach der Uebergabe nur wenige der Männer sich noch aufrecht halten konnten. Jedermann sah für die Stadt Magdeburg’s Schicksal entgegen. Da warfen die schwangeren Frauen sich Tilly zu Füßen, und umfaßten die Hufe seines Rosses, und er ließ Gnade ergehen, indem er den Seinen zuherrschte: „Laßt die Hunde leben!

Die Chronik fügt ein freundlicheres Bild hinzu. Nach ihrem Berichte hatte Tilly sämmtliche Rathsherren zum Tode verurtheilt und dem Bürgermeister Bezold geboten, in eigener Person den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_750.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)