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vielbesprochene äschyleisch-shakespearische Mittelbühne entlehnen, was man leider nicht gethan hat. Auf dem Ammergauer Theater kommen nämlich alle die Vorbilder nur in der Mittelbühne zur Darstellung, und diese kann mit eigenem Vorhang geschlossen werden. Es ist daher die Möglichkeit gegeben, jene in dieser inneren Halle vorzubereiten, während die Leidensgeschichte im Proscenium ungehindert fortspielt. Nichts desto weniger treten mitunter auch in Ammergau sehr lange Pausen ein, welche durch den Gesang der Schutzgeister, die dort aus Männern, Weibern und Jungfrauen bestehen, nicht sehr ansprechend ausgefüllt werden. In Brixlegg aber nimmt dieser Uebelstand ein riesiges Maß an, weil die lebenden Bilder nur gestellt werden können, wenn der Hauptvorhang herabgelassen ist. Die fünfzehn Genien sind dann zur Ausfüllung der Leere auch nicht zu verwenden, weil die Kürze der Zeit nicht erlaubt hat, sie zu Sängerinnen heranzubilden, und so entsteht eine thatenlose Leere, die mitunter fast eine halbe Stunde dauert. Das ganze Orchester, die Geiger, die Trompeter, die Sänger und Sängerinnen verlassen dann ihre Plätze und viele von den Zuschauern, denen es innen zu heiß geworden, begeben sich ebenfalls in’s Freie, um frische Luft zu schöpfen. Dagegen werden Bier- und Weinflaschen, Brod, Würstchen und andere Erfrischungen herumgereicht, welchen das Publicum immer gerne zuspricht. So verwandelt sich denn das Theater mit plötzlichem Umschwünge in eine Schenke, wo man sich zwar einer anständigen und gemüthlichen, aber von den Leiden Christi weit abliegenden Unterhaltung überläßt.

Diese weltlichen Pausen möchten denn auch die Ursache sein. warum sich die andächtige Empfindung, die doch beabsichtigt wird, nie recht festsetzen will. Während in Ammergau das Publicum, und namentlich das ländliche, dem Spiel mit frommer Beschaulichkeit, mit andächtigem Starren, oft mit Thränen in den Augen folgt, ist in Brixlegg die Stimmung eher kritisch und moquant. Man scheint lieber lachen als weinen zu wollen, wenigstens werden alle die kleinen Ungeschicklichkeiten, die sich im Spiel ergeben, mit heiterm Kichern glossirt und es ist oft zu bemerken, wie der Nachbar die Nachbarin mit dem Ellenbogen stößt, um sie auf dieses oder jenes Fehlerchen aufmerksam zu machen. In dein Augenblicke aber, da Judas, der Verräther, an seinem Aste baumelt, geht ein ganz vernehmliches Gelächter durch die gefüllten Räume. Dies hängt wohl auch mit dem Volkscharakter zusammen, denn die Unterinnthaler sind fast immer bei guter Laune und werden überhaupt zu den heitersten Völkerschaften Deutschlands gerechnet.

Indessen – wenn auch nichts in dem Stück vollkommen ist, so ist doch fast Alles so gut, als es unter solchen Umständen erwartet werden darf. An dem Spiele der Männer ist sehr wenig auszusetzen, der Heiland wird allgemein belobt. Ihn stellt der Hüttenarbeiter Josef Schweiger dar, der aber auch Intendant einer bäuerlichen Bühne in der Nachbarschaft ist. Auch für den Judas hat sich eine tüchtige Kraft gefunden, die den Charakter drastisch, doch ohne Uebertreibung darzustellen weiß. Pontius Pilatus, der Wirth von Mähren, imponirt durch seine römische Insolenz. Die Frauen und Jungfrauen dagegen haben nicht Allen genügt. Damit hat es aber eine besondere Bewandniß. Es giebt nämlich für das schwache Geschlecht im bajuvarischen Stamme (vielleicht auch in den übrigen) eine eigenthümlich hohe, weinerliche, singende Stimmlage. Sie gilt für besonders ehrwürdig und wird nur bei feierlichen Gelegenheiten verwendet, wie z. B. bei Schulprüfungen, wo die Mädchen auf die Fragen, die der Herr Dechant stellt, immer in solch’ erhabener Tonart antworten. So konnten sich denn auch die Frauen und Jungfrauen zu Brixlegg dieser herkömmlichen Sprachweise so wenig einschlagen, als es jene zu Ammergau vermögen. Natürlich zu sprechen würde unehrerbietig und dem heiligen Gegenstand nicht angemessen erscheinen.

So weit es zulässig ist, sind die Costüme der Hauptpersonen mit weidlichem Prunke ausgestattet, die vorkommenden Anachronismen in Kleidung, Waffen u. s. w. wirken nicht störend, da der Liebhaber tirolischer Bauernspiele an derlei naive Abweichungen von der historischen Strenge ohnedem gewöhnt ist. Daß dem Ammergauer Spiele im Ganzen der Vorzug einzuräumen, scheint uns allerdings außer Frage. Die Ammergauer haben aber auch eine mehr als hundertjährige Tradition für sich sie haben Alles prüfen und das Beste behalten können, während in Brixlegg, da keiner der Leiter jenes Vorbild gesehen, Alles von Neuem erdacht und improvisirt werden mußte. Namentlich sind die großen, volkreichen Scenen, wie der Einzug Christi in Jerusalem oder die Kreuzigung, in Ammergau viel lebendiger und malerischer eingerichtet, als zu Brixlegg.

Alle die Schwierigkeiten und Hindernisse eines solchen Unternehmens wohl beachtend, war aber das Publicum im großen Ganzen immer sehr beifällig gestimmt. Daß sich gebildete Städter und Städterinnen hin und wieder kritische Noten zu machen erlaubten, versteht sich von selbst; das Landvolk dagegen sprach sich unbedingt zufrieden aus und gab dieser Anerkennung auch durch immer wachsenden Besuch den erwünschtesten Ausdruck.

Was endlich die irdischen Früchte des Brixlegger Spiels betrifft, so ist der Segen sehr reichlich geflossen. Es sind über zwölftausend Gulden eingegangen, wovon die eine Hälfte zur Deckung der Einrichtungskosten diente, die andere zur Verfügung steht. Da man vorher an die Möglichkeit eines Ueberschusses gar nicht gedacht hat, so ist für diesen Fall keine Bestimmung getroffen worden und sollen die Ansichten über die Verwendung jetzt ziemlich weit auseinander gehen. Doch wollen wir hoffen, daß der Friede, der die Spielenden bisher zusammengehalten, über ihnen auch walten werde, wenn die kitzlige Frage zur Entscheidung kommt, wie die Silberlinge vertheilt werden sollen.




Germain Colot, der Steinoperateur,

Von Georg Hiltl.

Am 29. November 1866 sind es dreihundertdreiundneunzig Jahre, daß eine der schwierigsten und wichtigsten Operationen, welche die Hand des erfahrenen Arztes an dem Körper eines Leidenden verrichtet, zum ersten Male kunstgerecht vollzogen wurde: die Operation des Steines.

In dem kleinen Städtchen Invisi lebte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts ein Landarzt, Germain Colot. Es war ein fleißiger, geschickter Mann, der für seine erhabene Kunst glühte und täglich die schwierigsten Versuche anstellte, um neue, überraschende Resultate zu erzielen. Aber die Zeit war dem braven Arzte nicht günstig. Colot’s Hauptfach war die Operirkunst; er handhabte seine Messer mit großer Geschicklichkeit, hatte manche glückliche Cur vollendet, erfreute sich aber dennoch nicht einer höheren Anerkennung, weil die gelehrten Herren seines Jahrhunderts sich wenig mit großen Operationen beschäftigten und wunderbarer Weise diesen wichtigen Theil der Heilkunst umherziehenden Quacksalbern und Landstreichern zur Ausbeute überließen. Namentlich war das in Italien der Fall, wo selbst Augenoperationen durch Privatleute vollzogen wurden. Nach und nach erbten die „Kunststücke“, wie man damals solche gewagte Dinge nannte, von Familie auf Familie, bis sie zuletzt das Gemeingut gewisser Stadtbewohner und Genossenschaften wurden, die um ihre Kenntnisse, Mittel und Verfahrungsarten sorgfältig den Schleier des Geheimnisses breiteten.

Eine solche Genossenschaft bestand seit langer Zeit in dem Städtchen Norcia, welches zum Gebiete des Kirchenstaates gehörte. Seine Bewohner standen in dem Rufe, durch kühnen Schnitt das gräßliche Leiden des Steines beseitigen zu können, und sie bildeten eine Art Secte, welche man nach der Stadt die Norcianer nannte. Einen besondern Ruf genossen Giovanni Acarombono und dessen Sohn Antonio, dann ein Schmied Namens Peter von Norcia, endlich ein gewisser Horaz, der auch vortrefflich Verkrümmungen heilte. Zu beklagen blieb es nur, daß die Männer ihre Kunst geheim hielten, oder die Ausübung derselben doch nur einer kleinen Anzahl Befreundeter lehrten. Da ergriff die Wanderlust einige dieser Norcianer und sie zogen über das Gebirg nach Frankreich hinein, heilten auf ihren Wanderungen mancherlei Schäden durch ihre kunstgeübte Hand und kehrten mit Gold beladen in die Heimath zurück.

Nicht Allen ging es freilich so erwünscht. Der Neid der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_745.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)