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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Theaterwelt bekannt wurde. Fortan trieb er sich, immer tiefer und tiefer sinkend, bei den kleinsten Theatern herum, welche die technische Bühnensprache mit dem Ausdruck „Meerschweinchen“ bezeichnet.

An einer solchen gab er den Ferdinand in Cabale und Liebe. Der Wirth des Gasthauses, in welchem das Theaterchen aufgeschlagen war, lehnte vorne an der Rampe des Orchesters. Bei der Stelle: „die Limonade ist matt“, blickte er diesen zufällig an, worauf der Kneipier zornig hinauf rief: „Das ist nicht wahr, ich habe sie selbst gemacht, Herr Reitzenberg. Sie schimpfen auch über Alles!“ „Nur über Ihren sauren Wein,“ antwortete Reitzenberg, und spielte ruhig weiter.

Jahrelang verschollen, frühere bekannte, große Städte ängstlich meidend, finden wir ihn als Leiche wieder, „theils verhungert, theils erfroren“, wie der amtliche Bericht lautete.

Der Zufall führte Freund Börnstein vorüber, als man den Mann, der durch Bildung und Talent zur Lösung der höchsten künstlerischen Aufgaben berufen war und der so elend geendet, zur letzten Ruhestätte brachte. Seine Habe bestand, wie gesagt: in einem Gebetbuche und einem Theaterzettel. Der letztere ist zu charakteristisch für das damalige Treiben kleiner Bühnen, als daß ich mich enthalten könnte, ihn wenigstens theilweise wieder zu geben:

Theater in Passau.
Die Schuld
oder
Die Spanier im Norden
oder
Der Untergang des Hauses Oerendur.
Berühmtes Trauerspiel von dem großen Dichter Adolph von Müllner.

Personen:

Hugo von Oerendur, Besitzer von fünf bis sechs großen Gütern ...... Herr Reitzenberg, der größte deutsche Künstler als Gast.
Elvira, seine Gemahlin, Wittwe des Don Carlos, Officiers, Grands von Spanien und Ritters ......... Frl. Holdmann.

u. s. w. u. s. w.

Zum Schluß der Affiche heißt es:

Verehrungswürdiges Publicum!  

Ich kann zur Empfehlung dieses berühmten Trauerspiels nichts Besseres sagen, als das Urtheil des berühmten Schiller’s darüber: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Uebel größtes aber ist die Schuld!“




Ein Zugstück der Thiergärten.

Von Brehm.

Zum Glück für Diejenigen, welche nicht blos des Wirthshauses und der Musik, sondern auch der Thiere halber einen zoologischen Garten besuchen, giebt es unter den Schauthieren solche, welche Jedermann fesseln, den Laien wie den Forscher, den gleichgültigsten wie den thierfreundlichsten Menschen., Zu ihnen gehören die Kängurus.

Ich habe es schon wiederholt ausgesprochen, daß ich mich der Ansicht jener Forscher anschließe, welche die Beutelthiere insgemein als Anfangsversuche der schöpferischen Kraft erklären, als theilweise unvollendete Erzeugnisse des „Es werde und es ward“. Ich gehe noch weiter; denn ich nehme an, daß die Beutelthiere gar keine Ordnung bilden, sondern höchstens ihrer Entstehungszeit nach zusammen gehören.

Wenn man längere Zeit mit den in Rede stehenden Thieren verkehrt hat, drängen sich solche Ansichten von selbst auf. Man muß es wahrnehmen, daß sie alle hinter denjenigen Säugethieren, mit denen sie die größte Aehnlichkeit zeigen, weit zurückstehen, ebensowohl was den Leibesbau, als was die sogenannten geistigen Fähigkeiten anlangt. Selbst die vollkommensten unter ihnen erscheinen uns, verglichen mit denen, für welche sie gleichsam die Vorläufer waren, unvollkommen, unvollendet.

In den Kängurus oder Springbeutlern sehen wir die in gewisser Hinsicht vollendeten Mitglieder der „Ordnung“ vor uns. Der Versuch ist in ihnen zu einem bestimmten Abschlusse gelangt: sie sind Etwas geworden, haben eine übereinstimmende Gestalt erlangt und bilden demgemäß eine nach außen hin abgeschlossene Gruppe. Eigentlich vergleichen lassen sie sich nicht; will man es dennoch thun, so kann man nur die Springmäuse, eine Nagerfamilie, ihnen gegenüber stellen. Ihre Entwicklung weist sie noch den Rückständigen zu, ihr Bau und ihre Begabungen aber lassen sie uns ihren vorgeschrittenen Nachbildern fast ebenbürtig erscheinen. Man hat sie zwar auch mit Wiederkäuern verglichen und ein Wiederkäuen bei ihnen bemerken wollen; diese Ansicht ist jedoch unrichtig, denn die Kängurus haben mit Hirschen, Antilopen, Rindern, Ziegen und Schafen Nichts gemein – mit letzteren höchstens ihre Beschränktheit. Sie bilden eine scharf begrenzte arten- und gestaltenreiche Familie; aber das Gepräge ist bei allen Mitgliedern festgehalten und die Mannigfaltigkeit eine, ich möchte sagen, einhellige. Sämmtliche Kängurus gehören Australien an, bekunden also auch in dieser Hinsicht ihre Zusammengehörigkeit.

Das Freileben dieser sonderbaren Geschöpfe ist sehr verschieden.. Es giebt unter ihnen Tag- und Nachthiere; die einen bewohnen dünnbebuschte Ebenen, die anderen kahle Felsenwände, diese den mit fast undurchdringlichem Gestrüpp bedeckten Boden, jene das Gezweig höherer Bäume; einige hausen im Geklüft, andere in selbstgegrabenen, mit dürrem Grase nestähnlich ausgekleideten Löchern. Ihre Bewegung geschieht hauptsächlich mittelst ihrer Hinterglieder, den Schwanz inbegriffen, also hüpfend, gleichviel ob sie auf der Ebene dahineilen, an Felsenwänden emporklimmen, an Bäumen hinaufklettern, im Wasser waten oder schwimmen. Die Sinne scheinen durchgehends wohl entwickelt zu sein, die geistigen Fähigkeiten auf einer sehr tiefen Stufe zu stehen. Eine eigentliche Stimme besitzen sie nicht; denn das Geknurr oder meckernde Murren, welches sie vernehmen lassen, kann man nicht Stimme nennen. Die Nahrung besteht in Pflanzenstoffen aller Art. – Hinsichtlich der Fortpflanzung stimmen sämmtliche Arten insofern überein, als sie gleichzeitig nur ein Junges, dieses aber als unreifen Keim zur Welt bringen.

So viel im Allgemeinen; „ich bin des trocknen Tons nun satt“ und werde mich fortan bestreben, meine Schulmeisterweisheit für mich zu behalten.

Alle Springbeutelthiere, insbesondere aber die großen Arten, denen der Name Känguru gebührt, lassen sich leicht an die Gefangenschaft gewöhnen. ,Sie nehmen mit einfachem Futter vorlieb, ertragen unser Klima ohne Schaden, können also in ungeheizten Räumen überwintert werden, halten sich, wenn man sie nicht geradezu unvernünftig behandelt, lange Jahre und pflanzen sich auch regelmäßig fort, erfüllen also alle Wünsche, welche ein Thierzüchter stellen kann. Ehe man sie kannte, hat man sie deshalb zur Einbürgerung in Europa empfohlen; Einzelne tragen sich wohl auch noch mit dem Gedanken herum, sie hier als freilebendes Wild sehen und jagen zu können; ich meinestheils kann solche Hoffnungen nicht theilen und würde Kängurus höchstens zur Ausschmückung eines geschlossenen Parks vorschlagen mögen. Hier würden sie sich gewiß „sehr gut machen“, jedenfalls größeres Vergnügen gewähren, als das langweilige Damwild, welches in den Parks auffallender Weise noch immer die Hauptrolle spielt, obgleich man es auch durch weit zierlichere Hirscharten ersetzen könnte. Die Kängurus sind minder schön als Damhirsche, auch unliebenswürdiger, dümmer, furchtsamer, aber unzweifelhaft auffallender, fesselnder.

An ihnen ist eigentlich Alles sonderbar und merkwürdig: der Gang und die Bewegung überhaupt, das Wesen, das Benehmen gegen Ihresgleichen oder gegen fremdartige Geschöpfe, die Fortpflanzung etc. Die Reisenden, welche über Neuholland berichten, stimmen darin überein, daß man sich kaum ein Schauspiel denken könne, das wunderbarer wäre, als das einer fliehenden Känguruheerde, welche die volle Kraft der muskelstarken Hinterläufe in Anwendung bringt und in unsinniger Hast dahinstürmt. Man kann sich solchen Anblick ungefähr ausmalen, wenn man die gefangenen Kängurus längere Zeit beobachten und alle Arten ihrer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_716.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)