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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

schwäbischen Bacchantinnen im Nachen feuern etwas zagend, aber mit heroischem Muth die Sackpuffer ab, welche galante Herren ihnen bieten.

Und fragen wir nun, was soll ein so heiterer, harmloser, idyllisch sinniger Dichter in einer Zeit, wie die unsere, wo Handel und Industrie alle Kräfte in Anspruch nehmen, wo der blaue Neckar die Räder von zahllosen Fabriken treibt, wo Dampfschornsteine am Fuß der Rebenhügel rauchen, wo Schienenstränge in’s Herz der Alb dringen; in einer Zeit, wo ganz Europa ein Waffenlager ist, wo Trommelwirbel und der Knall des Zündnadelgewehres in entfernten Waldthälern die Ruhe des Dichters stören? Ist da noch Platz für solche Naturen? Und doch!

Wie wir nach einem Gang in’s Grüne beruhigt und versöhnt, erheitert und gekräftigt wiederkehren zu des Lebens schwerer Müh’ und Noth, so befreit uns die Naturfrische unseres Mörike, sein, um ein Wort von David Strauß anzuwenden, „milder, lösender Humor“ das bedrängte Herz, und über die sorgenvollen Züge gleitet ein erheitertes Lächeln und innig freuen wir uns, daß es in unserer zerrissenen Zeit noch so grundgesunde, heitere, genügsam frohe Herzen giebt, wie unser Mörike. Möge der jugendfrische Greis uns noch lange erhalten bleiben und uns durch noch manche Gabe seiner Muse erfreuen und erheben!

G. Arnold.




Die Staßfurter Salzlager.

Von Professor Dr. K. Birnbaum.

Von Amerika weiß Jedermann, daß dort in wenigen Jahren aus den Ansiedelungen Weniger große Städte und wichtige Handelsplätze werden können; auch in Deutschland haben wir in unserem Jahrzehnt ein ehemals unbedeutendes Städtchen in Folge glücklicher bergmännischer Forschungen zu einer Industriestadt hohen Ranges heranwachsen sehen, zu einem Platze, welcher schon jetzt eine besondere Eisenbahnanlage nöthig machte, seine Exportartikel nach Millionen von Centnern zählt, Tausenden lohnende Beschäftigung giebt und dazu berufen zu sein scheint, einen sehr wichtigen Handelsartikel, das Kali, bisher größtentheils in den Händen der Engländer, Deutschland fast ausschließlich zuzuwenden.

Und neben diesem für die Technik wie für die Landwirthschaft so wichtigen Artikel sind es die unermeßlichen Steinsalzlager, welche alljährlich die Touristen zu Tausenden nach Staßfurt ziehen und, um der interessanten geologischen Bildungen willen, die Aufmerksamkeit der Gelehrten in hohem Grade in Anspruch nehmen, Lager, nach welchen man ursprünglich allein suchte und über welchen man die anfangs gar nicht beachteten Kalisalze entdeckte, ein glücklicher Fund von nicht minderem Werthe, wie die reichen Goldlager m Californien oder anderwärts.

Zu Pfingsten mache ich mit den Lehrern und Studirenden meiner landwirtschaftlichen Lehranstalt jedesmal eine größere wissenschaftliche Excursion; die diesjährige führte uns nach Magdeburg, Hundisburg, den Glanzpunkt der deutschen Viehzucht, nach Staßfurt, Quedlinburg und in den Harz.

An demselben Tage, welchen wir der Besichtigung von Staßfurt gewidmet hatten, waren wir früh am Morgen noch über dreihundert Fuß über der Erde auf der Thurmgalerie des in seiner Einfachheit so erhabenen Magdeburger Doms, Nachmittags über tausend Fuß unter der Erde in den prachtvoll ausgehauenen, großartigen Schachten der Preußischen Werke in Staßfurt. Von der Thurmgalerie in Magdeburg konnten wir unsere Reiseroute bis dorthin vollständig überblicken, eine an sich etwas einförmige Ebene, aber durchschnitten nach rechts und links von Schienenwegen, auf welchen im unnuterbrochenen Verkehr die gewaltigen Frachtzüge nach allen Himmelsgegenden dampfen, besäet mit stattlichen Oekonomiehöfen und großartigen Fabrikanlagen, überragt und umrahmt von einer Fülle rauchender Feueressen, den Denksteinen der modernen Industrie, die in Staßfurt selbst wie die Mastbäume im Hafen einer belebten Seestadt dicht gedrängt zusammenstehen. Ist doch die ganze Umgegend von Magdeburg als ein Glanzpunkt der deutschen Hochcultur ausgezeichnet und berühmt als Mittelpunkt der Rübenzuckerindustrie, der Cichorienfabrikation, wahrer Spiritusfabriken und anderer die intensivste Landwirthschaft kennzeichnender Anlagen, fast trostlos einförmig für Denjenigen, welcher nur an landschaftlichen Schönheiten Interesse findet, aber von höchstem Werthe für Jeden, welchen die Culturentwickelung seines Volkes interessirt.

Die Thurmgalerie eignet sich zugleich ganz vortrefflich dazu, die Bildungsgeschichte der so bedeutungsvollen Salzlager sich zu vergegenwärtigen. Man überblickt einen großen Theil der fruchtbaren, zwischen Thüringerwald und Harz liegenden Hochebene, welche die Geologen als zum großen norddeutschen Beckengebiet gehörend bezeichnen und dessen hier in Betracht kommenden Theil, den südlichen, in das Thüringer und das Magdeburg-Halberstädter Becken gliedern.

Man kann sich geistig jene Zeit vergegenwärtigen, in welcher das Ganze, mit oder ohne Zusammenhang mit dem das äußere Randgebirge, bunten Sandstein, umbrandenden Ocean, noch ein großartiger See oder Morast war; man kann sich denken, wie das Becken periodisch zu Zeiten gewaltiger Regen- oder Sturmfluthen mit Wasser sich füllte, wie dieses dann allmählich verdunstete und die vorher im Wasser gelöst gewesenen Salze sich zu Boden schlugen, Schichte auf Schichte bildend, deren letzte von einer verhärtenden Kruste schwerer löslichen Gypses (Anhydrit, wenn wasserfrei, genannt) bedeckt wurde und so eine Jahresbildung begrenzte. Man kann sich vergegenwärtigen, wie nach und nach Jahresschichte auf Jahresschichte zu Boden sank, oft in welligen Linien, bis schließlich die Salzquellen versiechten und mir noch eine Art Mutterlauge über dein Ganzen stand, welche dann ebenfalls ähnlichem Processe unterlag und Schichten unreineren Kochsalzes bildete, durchsetzt mit Salzen anderer Art. Man sieht dann im weiteren Verlaufe der Jahrhunderte das Ganze mit Thon, Sand, Mergel und Letten überdeckt werden, Schichten von Sandsteinen, Gyps und Kalksteinen sich bilden, und hört das Rauschen der verheerenden Fluthen in der Eiszeit, in welcher von Norden ganze Eisberge an die deutschen Gebirgsstöcke geführt wurden; man verfolgt den Gang dieser Fluthen, sieht, wie sie an den Gebirgen sich brechen, diese zerbröckeln und die Zeugen ihrer gräßlichen Wirkungen, große und kleine Felsblöcke aus den Gebirgen Scandinaviens, da und dort hinterlassen. Bis zur Höhe von über zweitausend Fuß findet man bei uns diese Fremdlinge, „erratische Blöcke“, von oft beträchtlicher Größe, meist aus Granit, Gneiß, Syenit bestehend; in Staßfurt selbst liegen sie in großer Menge und von bedeutendem Umfange. Wir sehen dann die Sonne wieder durch das düstere Gewölk scheinen, zunächst eine Stätte gräßlicher Verheerungen bescheinen, aber auch bald wieder neues Leben erwecken; ganze Thäler sind ausgefüllt mit Schlamm, Geröll, Erde und Sand, Berge verschwunden oder doch mächtig verändert; was früher zu Tage lag, ist begraben, oft tief unten, und unser ehemaliger Salzsee ist bedeckt mit wechselnden Schichten von verschiedener Mächtigkeit. Jahrhunderte lang lagen die Schätze begraben, bis der Mensch sie wieder zu Tage förderte, indem er seine Bohrlöcher oder Schachte in die Tiefe trieb.

In Staßfurt hatten wir uns angemeldet und trafen durch die Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit der Herren Alles vorbereitet. Freilich konnten wir nur einige der größeren Fabriken besehen, die der Herren Douglas und Vorster und Grüneberg.

Die Herren hatten uns in kleinere Abtheilungen getrennt und machten selber die kundigen und unermüdlichen Führer durch ihre Etablissements, bis wir uns auf der anhaltischen Saline wieder zusammenfanden, um dort zunächst die prachtvolle Sammlung der Staßfurter Vorkommnisse zu bewundern, eine sehr zweckmäßige, das Studium der Werke sehr erleichternde Anordnung.

Herr Douglas selbst besitzt ein zierlichst gearbeitetes Modell seiner großartigen Fabrikanlagen, aus dem reinsten krystallklaren Steinsalz gefertigt, ein Feenpalast im[WS 1] Kleinen, welcher zeigt, in welcher Reinheit das Salz hier gefunden wird. Der eigentliche Salzstock besteht jedoch aus mattem, minder reinem Steinsalz; nur jenes völlig glashelle wird zu Tafelsalz verarbeitet. Die über dem Steinsalz sich findenden, für die Industrie so wichtigen Salze sind zum Theil an der Luft in hohem Grade zerfließlich; um Cabinetstücke aufbewahren zu können, müssen sie luftdicht verschlossen

werden. Herr Bergmeister Schöne, hochverdient um die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_711.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)