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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sonnigen Himmel wachsen wollte! Endlich liegt es da, frei, vor jedem Blick, das ganze Denkmal,[1] ein Denkmal Luther’s, ein Denkmal der Reformation, eine Trophäe, die das deutsche Volk sich errungen in seinem Jahrhunderte langen Kampfe um die heiligsten Güter der Menschheit, ein Siegeszeichen der Freiheit und der Wahrheit, der Liebe und des Glaubens, und vor Allem der ewigen Hoffnung des deutschen Volks, der Hoffnung, die es durch alle Kämpfe getragen hat und weiter tragen wird, der Hoffnung, daß es der Geist ist, und nur der Geist allein, der überwindet!

Als wäre mir ein ungeheurer Schmerz geschehen, so stand ich da bei diesem Anblick. Fassungslos rang ich nach Athem, die Thränen stürzten mir aus den Augen, die Worte versagten mir. Und doch war es nur die ungeheure Erschütterung der Freude, des Jubels, des Entzückens, die über meine überwältigte Seele hereinstürmten. Und wohin ich sah, Gesichter bleich vor tiefinnerster Erregung, Thränen in Aller Augen, sprachloses Entzücken.

Wie die Hülle fiel, wurde es mir auf einmal klar, warum Rietschel so früh gestorben ist. Solche Gedanken, wie dieses Denkmal, denkt ungestraft kein Sterblicher. Die Göttlichkeit derselben sprengt die irdische Hülle, die Ströme der Begeisterung, die einem solchen Schaffen entquellen, reißen die Seele fort und tragen sie weiter, immer weiter, widerstandslos, in’s Meer der Ewigkeit! Aber es muß ein seliges Sterben sein, an der Größe und Herrlichkeit seiner eigenen Gedanken zu sterben! Ein Künstlersterben!

Lassen Sie mich hier abbrechen! Es verschwindet doch Alles, was das Fest noch brachte, neben dem Eindruck dieses Moments.

Nach der Sonnenwende pflegt die Zeit der Ernte herbeizukommen. Möge die Ernte, welche diesem Sonnenwendfeste folgt, der Feier selbst entsprechen: dann wird unser Volk auf Jahrhunderte hinaus gesegnet sein!



  1. Bekanntlich ist der Guß des Monumentes – wie wir in Nr. 27 des letzten Jahrganges unseres Blattes, wo wir auch die einzelnen Gruppen und Figuren des Denkmals beschrieben und erläutert haben, bereits ausführlich erzählt – aus den großartigen Werkstätten der Gräflich Einsiedel’schen Hütten von Lauchhammer in der preußischen Provinz Sachsen hervorgegangen, denen somit auch kein unwesentlicher Theil der Ehren des großen Tages gebührt.
    Die Redaction.


Es blüht ein Baum, wo der Weg sich trennt.

(Mit Abbildung. S. 461.)

Es blüht’ ein Baum, wo der Weg sich trennt,
      Als sie gingen zur Rechten und Linken.
Die Thräne heiß auf der Wange brennt,
      Und die Hände noch Abschied winken.

5
Er zog hinaus, fern über das Meer,

      Einen Heerd, eine Heimath zu gründen.
„Dann giebt’s, du Geliebte, kein Trennen mehr,
      Wenn wir drüben uns wiederfinden.“

„Und wann er mir schreibt, und wenn er auch ruft,

10
      So geh’ ich ihm nach in die Weite.

Ich lasse ihn nimmer, und auch in der Gruft
      Leg’ ich stille mich ihm zur Seite.“

Es blüht kein Baum, wo der Weg sich trennt,
      Die Blätter fielen hernieder.

15
Auf blasser Wange die Thräne brennt.

      Wann sind’ ich den Liebsten wieder?“




In dem Gotteshaus auf der letzten Bank,
      Da saß sie und betete leise:
„O Mariens Sohn, wie so lang, so lang,

20
      Eh’ er schreibt, daß ich zu ihm reise!“


Da horch’! Was lieset der Priester nun
      Von dem Blatt mit zitterndem Munde?
„Auswandererschiff! … und sie Alle ruh’n
      Nun still auf dem stillen Grunde.“

25
Mein Freund, mein Bruder, mein Gatte, mein Sohn

      Laut schluchzen die Bräute, die Frauen.
Ach, lägen auch wir auf der Bahre schon,
      Im Himmel uns wieder zu schauen!

Auf der letzten Bank in dem Gotteshaus

30
     Da saß sie zusammengebrochen.

Sie wankte still, ohne Klage hinaus,
     Hat nicht von dem Todten gesprochen.

Nun wandelt sie stumm, mit bleichem Gesicht,
      Ruhlos durch des Dorfes Gehege.

35
Sie ist so sanft; es fürchten sie nicht

      Die spielenden Kinder am Wege.

Die Zeit verweht, sie merkt es wohl kaum.
      Sie schenken ihr Kleid und Speise.
Sie lächelt nie, doch wie im Traum

40
      Spricht sie zuweilen leise:


„Es blüht’ ein Baum, wo der Weg sich trennt,
      Als wir gingen zur Rechten und Linken –
Keine Thräne mehr auf der Wange brennt
      Seit dem letzten Abschiedswinken.“

Paul Thiemich.





Blätter und Blüthen.

Die beiden kühnsten Gebirgsreiterinnen. Schamyl, der Müridenhäuptling, hatte sich, wie es genau doch nur Wenigen bekannt sein dürfte, im höheren Daghestan gegen die Heerschaaren, welche der nordische Koloß mit seinen thönernen Füßen aus dem Erdboden stampfte und in die Steinwüsten des Kaukasus emportrieb, dergestalt verschanzt, daß es nur den ungeheuersten Anstrengungen der Söhne Rurik’s und der Straßenbaukunst gelang, zu dem Schlupfwinkel des Tapfersten der Tapfern vorzudringen. Schwindelig jäh abfallende Hänge, reißende Gebirgsströme, gesteinverrammte, versteckte Saumpfade, Schurren, Geröllberge, Gräten, Zacken und Felsenmeerklippen mußten chaotisch überwunden werden, um den auf der Lauer liegenden, sprungbereiten Leuen in der eigenen Höhle anzugreifen. Das schlimmste Stück war die Bezwingung des gefährlichen, über den etwa achttausend Fuß hohen Kodorr führenden Klippenpasses. Knochenbrüche, Arm und Beinverrenkungen, Stürze in die Tiefe, Keulenhiebe und aus dem Hinterhalt jählings gezückte Tscherkessendolche harrten derer, die es unternahmen, die Felsenleiter nach Weden und dem Berge Gunib zu Schamyl’s Horst emporzuklimmen, Und dennoch haben einmal zwei Damen, deren Ahnentafel das Fürstenwappen schmückt, den Ritt durch das Felsenlabyrinth zu dem geradezu unzugänglichen Gunibkegel empor machen müssen. Dies zu erzählen und besonders jenen Schönen als Spiegelbild vorzuhalten, welche mittels Sänfte oder Maulesel die breiten Schweizerpässe besiegen, ist die Aufgabe dieser Skizze.

Zu der Zeit, als sich um Schamyl, den Müridenhäuptling, immer mehr Anhänger schaarten, mußten auch die Excursionen oder Raubzüge vom Berge Gunib in die Thäler und Schluchten hinab immer weiter ausgedehnt werden. Die Steinwüste hoch oben bot nichts. Daselbst konnte die Gemse nicht einmal einen dürftigen Halm nagen. Es mußte aber doch täglich in dem Felsenlabyrinth ein großer Mittagstisch gedeckt werden, denn die Gäste vermehrten sich stündlich. Umfaßten anfangs die Raubzüge nur zehn Meilen im Umkreise, so mußten sie schließlich bis auf zwanzig und doppelt so viel erweitert werden. Sie erstreckten sich sogar bis in das von Schamyl’s Horst Tagereisen entfernte, fruchtbare Alassan-Thal. Nicht weit davon wohnte am schattigen Hange des Gebirges auf ihrem Sitze Isinandal die Fürstin Orbeljani mit ihrer Schwester. Beide waren an in russischen Diensten stehende georgische Fürsten verheirathet. Die Männer waren nicht daheim, sondern standen als Generale an der Spitze zweier

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_462.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)