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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

den er einnähme, noch immer der freisinnigste wäre. Ließ sich nun auch nicht leugnen, daß seine Rede einige wirklich kraftvolle und schöne Stellen enthielt und auch hier und da des Schwunges nicht entbehrte, so war für mich der Eindruck im Ganzen doch nur der, daß, wenn die Rede des Herrn Gerock den Grundton für den weiteren Gang der Feier angeben sollte, der Verlauf derselben nur ein sehr lahmer geworden sein würde. Es war eine Rede, die so zu sagen mit der einen Hand wieder zurücknahm, was sie mit der anderen soeben erst gegeben hatte. Stellte er zuerst als einen Hauptgewinn der Reformation die freie Forschung dar, so legte er gleich darauf den wichtigsten Accent auf den Glauben. Wies er an einer anderen Stelle darauf hin, wie durch Luther’s kühne That der Geist der Menschen wieder frei geworden sei, so wollte er ihn doch später wieder durch das Wort gefesselt wissen. Auf diese Weise schmeckte die Rede stark nach dem Versuch zu einem Compromiß zwischen der orthodoxen und der freisinnigen Richtung und befriedigte dadurch selbstverständlich weder nach der einen, noch nach der anderen Seite.

Anders bei Schenkel am Abend in der Festhalle! Zwei Redner hatten bereits gesprochen, Dr. Eich im Namen des Festausschusses die Gäste willkommen geheißen, Professor Schlottmann von der Universität Halle-Wittenberg einen Festgruß überbracht, da trat ein kleines, unscheinbares Männchen auf das Orchester und bat um Gehör. „Das ist Schenkel! Der Heidelberger Schenkel! Der Schenkel, der das Leben Jesu geschrieben hat!“ ging es wie ein Lauffeuer durch das Publicum, und Alles drängte sich, um den Redner zu hören, von dem man wußte, daß er den Zionswächtern ein Dorn im Auge sei. Und siehe da! Schon nach einigen Worten brannte es lichterloh in den Herzen und aus den Augen seiner Zuhörer, und nicht enden wollender Jubel unterbrach fast jeden einzelnen Satz der gedankenfreiheitsflammenden Rede. Wohl versuchten es Einige von den Schwärzesten der Schwarzen, ihn zum Schweigen zu bringen. Vergebens! Ein Satz vor Allem war es, der feuersprühend in die Herzen seiner Zuhörer fuhr. „Wenn Luther jetzt wiederkäme,“ rief er mit weithinschallender Stimme, „dann würde er sagen: ‚damals war ich ein Kind, jetzt bin ich ein Mann!’ Und mit der Fahne der Geistesfreiheit in der Hand würde er seinen Weg gehen bis an’s Ende!“ Mit diesem Worte war sein Sieg entschieden, dem Strom des Festes seine Bahn gewiesen, den Finsterlingen ihre Ohnmacht der dominirenden Festesstimmung gegenüber klar gemacht. Von dieser Rede an verschwinden sie fast gänzlich aus der Geschichte dieses Festes.

Von welchem Geiste der Versöhnung und Humanität übrigens in diesen Tagen die allgemeine Stimmung aller nur irgendwie durch die Feier Berührten getragen war, leuchtet wohl am unwidersprechlichsten und unzweideutigsten aus der Theilnahme hervor, welche die Juden von Worms bei jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit an den Tag legten. Sie feierten mit dem Feste unserer Erlösung von Tyrannei und Knechtschaft das ihrer eigenen Befreiung, und es war ein Anblick, der Vielen zu denken geben konnte, wenn jüdische Familien die christlichen Priester, welche bei ihnen als Festgäste einquartiert waren, durch die Straßen von Worms führten, um ihnen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. – Als ich an dem Morgen des Hauptfesttages ausging, um mir noch einmal den herzerhebenden Anblick der festgeschmückten Stadt recht tief in’s Gedächtniß zu prägen, da fiel mir auf der Hauptstraße ein prächtig decorirtes Haus auf, weniger wegen des Schmuckes selbst, als wegen des Sinnspruches, welchen es auf den oberen Scheiben der sechs Fenster seiner Front im Erdgeschoß in fußlangen Buchstaben, Weiß auf Schwarz, zur Schau trug. „Wir glauben All’ an Einen Gott!“ stand da geschrieben, und als Illustration dazu schaute ein Jude mit seinem Töchterchen aus einem der Fenster heraus, das Gesicht des Vaters von heller Festfreude strahlend und das Kind jauchzend hinausgreifend nach all’ dem bunten Schmuck und den im Morgenwind auf- und niederwehenden Flaggen und Fahnen. Wäre ich ein Maler gewesen, ich hätte dieses Bild gemalt, so tief ergriffen war ich von der Scene. Wir glauben All’ an Einen Gott! Ja gewiß! – Wie? – Das sei Jedem überlassen! – Von uns soll Keiner mehr seines Glaubens wegen verflucht und verfolgt werden.

Meinen Weg fortsetzend, gelangte ich endlich auch auf die Judengasse und zu der Synagoge. Der freundliche Schließer lud mich ein, näher zu treten und das Innere derselben zu besichtigen.

Es war für mich kein Grund vorhanden, diese Einladung auszuschlagen, und so vertraute ich mich denn seiner Führung an. Freilich für das Auge war da wenig genug zu sehen; aber die frommen Sagen, die er in einfacher Beredsamkeit als an diesen Tempel sich knüpfend mir mittheilte, konnten nicht umhin, meine Aufmerksamkeit und Theilnahme zu fesseln. Mit Stolz erzählte er mir, daß die Wormser Judengemeinde die älteste in Deutschland sei, und zeigte mir die Mauerreste einer Synagoge, die schon fünf Jahrhunderte vor der Geburt Jesu erbaut worden sein soll.

Er berührte die bekannte Legende, nach welcher die Judenschaft von Worms gegen die Kreuzigung Jesu bei dem hohen Rathe zu Jerusalem Protest eingelegt habe. Er zeigte mir die alten vergriffenen und verbräunten Pergamentbände, die, lange vor der Erfindung der Buchdruckerkunst geschrieben, noch heute so wie damals bei dem Gottesdienst benutzt würden. Er hob den Deckel von einer vor der Bundeslade hängenden Ampel, die, wie er mir versicherte, schon sieben Jahrhunderte zum Gedächtnisse von zwei Unbekannten brannte, welche, als die Wormser Judenschaft im zwölften Jahrhundert der Brunnenvergiftung und des Kindermordes angeklagt und in Gefahr war, niedergemetzelt und gänzlich ausgerottet zu werden, sich als die Thäter angegeben und so für die jüdische Gemeinde geopfert hätten. Ich gestehe, es wehte mich aus diesen Erzählungen an wie der Zauber, der über Heine’s „Rabbi von Bacharach“ ausgebreitet liegt, und gern und lange hörte ich meinem Cicerone zu. Dabei drängte sich mir von selbst der Vergleich auf zwischen jenen finstern Zeiten, aus welchen diese Sagen herübertönten, und der lichtvollen Gegenwart, die eben jetzt durch ein Fest ohne Gleichen den Gewinnst an Liebe und Humanität, welchen die Menschheit seit Luther’s Auftreten nach allen Seiten hin eingeheimst hat, feierlich zu bestätigen und seiner sich zu freuen im Begriff war. Bewegt in meinem tiefsten Herzen, nahm ich Abschied von meinem Führer. „Gott, was ein Himmel!“ sagte er, als wir wieder in’s Freie getreten waren, mit einem Blicke nach oben, darauf anspielend, daß das Wetter des vorhergehenden Tages das Fest ernstlich zu stören gedroht hatte. „Ach, wie gut! wie gut! Gottes Segen ist mit diesem Feste! Gottes sichtbarer Segens! Gottes Segen sei auch mit Ihnen! Ein fröhliches Fest! Ein fröhliches Fest!“ Dabei stand dem Mann das Wasser in den Augen. Ich gab ihm die Hand und wandte mich, meine eigene Rührung zu verbergen, schnell zum Gehen. Und in der That, schon jetzt war ein überströmendes Gefühl des Segens über mich gekommen, des Segens, aus dem hohen, heiligen Geiste sich ergießend, dem zu Ehren das heutige Fest gefeiert ward.

Mit Uebergehung alles sonstigen Festbeiwerks, wie des Festzuges und der eigentlichen Festreden, die im vollkommenen Gegensatze zu Luther’s kraftvoll-oratorischer Regel: „Tritt stark auf! Thu’s Maul auf! Hör’ bald auf!“ – die Rede des Herrn Oppermann aus Zittau, des Biographen Rietschel’s, ausgenommen – durch Breite ersetzen zu wollen schienen, was ihnen an Tiefe abging, gelange ich nunmehr zu dem eigentlichen Gipfelpunkte des Festes, der Enthüllung des Lutherdenkmals.

Wo aber nehme ich Worte her, um die Wucht und Gewalt dieses Augenblickes zu schildern?! – Höchster Erschütterung gegenüber ist alles Reden doch nur Stammeln.

Machen wir uns noch einmal in kurzen Zügen die Situation klar!

Vor dreihundertsiebenundvierzig Jahren war ein einfaches Mönchlein, der Sohn eines armen Bergmanns aus Thüringen, in Worms eingezogen, um vor Kaiser und Reich mit einem reineren Christenthum die geschwundene Treue und das verlorene Gewissen des deutschen Volkes von einem Klerus zurückzufordern, der in Sünden und Lastern die heiligsten Schätze unserer Nation vergeudet und verpraßt hatte. Damals mußte es flüchten bei Nacht und Nebel. Heute hat dasselbe Mönchlein die deutschen Fürsten und Völker zu einem Reichstage geladen, den er selbst ausgeschrieben, und sie haben seinem Rufe gehorcht.

Damals lag der Fluch der katholischen Kirche auf seinem Haupt, wie auch noch heute. Heut’ aber gilt er dem deutschen Volke als ein Prophet, wie es einen größeren aus seinem Schooße noch nicht geboren hat.

Damals hatte die Reichsacht seinen Leib den Hunden und den Vögeln unter dem Himmel zugesprochen. Heute hat die deutsche Nation sein Bild in Erz verewigt.

Damals war unser armes Volk von einem grauenhaften

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