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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Erst allmählich entwickelte und ordnete sich gleichsam aus dem Chaos der bunt zusammengewürfelten Gesellschaft ein regelmäßiges und charakteristisches Leben. Die ersten Prachtfinken, welche ich erhielt, waren je ein Pärchen Goldbrüstchen, Amaranthvögel, Tigerfinken, graue Astrilds, Gelbbäckchen, Silberfasänchen und Elsterchen. Sie hatten im Käfige sich aneinander gewöhnt und lebten sehr verträglich. Doch hier war es ganz anders, hier wollte nun Jedes die günstigste Nistgelegenheit, das beste Baumaterial etc. haben, und es begannen erbitterte Kämpfe. Auch die Sperlingspapageien eröffneten eine Fehde gegen die Wellensittiche, indem sie diese hartnäckig aus allen Bruthöhlungen jagten. Am übelstem in der Gesellschaft zeigten sich aber die Bandfinken, indem sie alle anderen nicht etwa bissen und verfolgten, sondern nur immer aus ihren Nestern verdrängten. Da mußte zunächst geschlichtet werden: die Wellensittiche und Bandfinken wurden je abgesondert in passende Käfige gesetzt und für die anderen wurden noch möglichst viele neue Nistgelegenheiten angebracht oder die alten günstiger aufgehängt.

Nicht lange - bereits mit dem Beginn des September - begannen die Elsterchen, Silberfasänchen und Bandfinken zu nisten. Diese drei sind unter allen diejenigen, welche am allerleichtesten zur Brut zu bringen sind; demnächst folgen in dieser Hinsicht die Goldbrüstchen, Amaranthvögel und Tigerfinken. Alle diese Astrilden, Kappenfinken, Streifenfinken etc., welche zusammen zu der großen Gemeinschaft der Webefinken gehören, bauen ziemlich gleichgestaltete, oben überwölbte, kugelförmige Nester, mit seitlichem Flugloch. Meine Freude war sehr groß, als in den beiden ersteren Nestern je vier, im letzteren gar fünf Eier sich befanden, allein sie sollte bitter vergällt werden, denn die ersteren Eier verschwanden auf räthselhafte Weise, und als die Bandfinken wirklich Junge hatten, wurden diese lebend aus dem Nest geworfen und kamen, trotz mehrmaligen Zurückbringens, elend um.

Da hieß es nun, die Augen offen zu haben, um die Ursachen dieser Unglücksfälle zu ergründen. Das widernatürliche Beginnen der Bandfinken wiederholte sich leider noch dreimal; ich wechselte das Weibchen, bot ihnen allerlei andere Nahrung, gehacktes Ei etc., doch Alles vergeblich, bis ich endlich das Männchen als den Thäter entdeckte und nun sofort gegen ein anderes vertauschte. Während dessen waren auch die Bruten der Goldbrüstchen und Amaranths zu Grunde gegangen. Endlich bemerkte ich, daß das Weibchen des Blutschnabelweber oder Dioch ganz heimlich und geräuschlos von Nest zu Nest schlüpfte und die Eier ausfraß. Obwohl ich, im Widerspruch mit den meisten anderen Beobachtern, selbst die Diochs durchaus friedlich in der Vogelgesellschaft gefunden hatte, so wurden jetzt doch sofort alle drei Weberfamilien, Diochs, „Orange“- und „Napoleonsvögel“ vorläufig abgeschafft.

In aller Stille hatten inzwischen, in der Mitte des Octobers, die Sperlingspapageien zu nisten begonnen; auch die Elsterchen, Silberfasänchen, Goldbrüstchen und Amaranths brüteten wieder anf’s Neue. Anfangs November flog wirklich die erste Brut der Elsterchen von vier Jungen glücklich aus; nebenbei sei bemerkt, daß diese ungemein leicht zu züchtenden Finken von vielen Vogelfreunden bereits oft und in großer Anzahl und sogar in ziemlich kleinen Käfigen mit Glück großgezogen worden sind. Aus den beiden anderen Bruten wurde nichts; bei der Untersuchung der Nester zeigten sich verdorbene Eier oder ganz kleine todte Junge, in denen der Silberfasänchen sogar acht Eier. Noch zwei Mal wiederholte sich dies, bis anhaltende Beobachtungen mich zu Erfahrungen und endlich immermehr zum Ziele führten.

Die Silberfasänchen waren zwei Weibchen, ein Uebelstand, der um so leichter eintreten kann, da bei vielen dieser Vögel, z. B. bei den malabarischen Silberfasänchen, welche fast gar nicht singen, die Geschlechter nur schwierig von einander zu unterscheiden sind. Den Amaranthvögeln fehlte, da draußen bereits fußhoch Schnee gefallen war, das für die Jungen nothwendige Grünfutter; nachdem ich mir dennoch Vogelmiere beschafft hatte, zogen sie die erste Brut von vier Jungen, mit der zweiten der Elsterchen zugleich, glücklich auf. Man bedenke nun aber, was dies besagen will, welche fast wunderbare Erscheinung uns darin entgegentritt - da in dieser Zeit, zu Ende des December, das Weibchen von des Abends halb fünf Uhr bis des Morgens um halb neun Uhr, also volle sechszehn Stunden, auf dem Neste sitzen und die Jungen aus dem Kropfe füttern muß, ohne Nahrung zu sich nehmen zu können!

Jetzt zeigten sich auch die ersten Jungen der Sperlingspapageien. Wer beschreibt unsern Schmerz, als das erste derselben von der Nisthöhle aus sofort mit dem Kopfe gegen das Fenster flog und sich tödtete! Es ist ausgestopft, zum Andenken an unsere erste Papageienzucht; das Fenster ist seitdem aber mit einem starken Netz überzogen. Doch wir wurden getröstet, denn noch zwei andere Junge, und glücklicher Weise ein Pärchen, kamen zum Vorschein.

Sonderbare und leider nicht erfreuliche Erfahrungen machte ich mit den Goldbrüstchen. Diese unendlich zierlichen Vögelchen nisteten fast am frühesten von allen – ohne jedoch jemals wirklich eine Brut glücklich zu erziehen. Um ein sicheres Urtheil zu gewinnen, schaffte ich drei Paare an, und nach einigen hitzigen Kämpfen beruhigten sie sich und haben alle drei fast fünf Monate hindurch ununterbrochen genistet. Ich besitze von ihnen zahlreiche Eier und Junge, letztere in Spiritus, vom Ausschlüpfen aus dem Ei bis zur vollen Befiederung in allen Stadien. Dennoch gab ich die Versuche nicht auf; und nachdem ich ihnen alle nur möglichen Futterarten, außer feingehacktem Hühnerei noch verschiedene Gemische, geriebene Möhren, frischen Käse etc. vergeblich geboten, erhielt ich zufällig ganz kleine frische Ameiseneier - und seitdem haben meine ersten Goldbrüstchen, die sieben Mal (!) vergeblich genistet, eine Brut von fünf Jungen zum Ausfliegen gebracht.

Die erste Brut fast aller dieser Vögel geht regelmäßig zu Grunde; so auch die der Tigerfinken, Astrilds, Fasänchen etc., und ich besitze daher schon eine Sammlung von Eiern exotischer Finken, wie sie wohl kaum eine andere Privatperson aufzuweisen hat. Seitdem ich indeß mit den kleinen frischen Ameiseneiern und dabei mit stets frischer, weicher Vogelmiere füttere, haben ein Paar der so sehr zarten Schmetterlingsfinken sogar ihre ersten Jungen glücklich erzogen, ferner sind seitdem ebenfalls Bruten groß geworden von den Bandvögeln, von zwei Paar Tigerfinken und einem Paar Astrilds, und die der Helenafasänchen und der Orangebäckchen sind soeben dem Flüggewerden nahe. -

Außerordentlich interessante Beobachtungen gewähren die so sehr verschiedenen Gewohnheiten dieser lieblichen Vögel; die Neigungen und Feindschaften der einzelnen Arten gegen einander, die unendlich innige Zärtlichkeit eines Gatten gegen den andern, ihre Liebesspiele, der trotz mancher Uebereinstimmung doch sehr verschiedenartige Nestbau, wie die verschiedene, jedoch bei jeder Art stets gleiche Wahl des Nistorts und Baumaterials, ferner die hitzigen, aber stets unschädlichen Kämpfe der Männchen, das Erziehen der Jungen, die Verfärbung des Gefieders und vieles Andere. Kurz, es bietet sich hier dem Thier- und Naturfreunde eine ganz neue Welt, voller Erscheinungen, die zu den anmuthigsten und anregendsten gehören, welche uns das Thierleben gewähren kann.

Ein Pärchen der grauen Edelfinken (der berühmte Reisende Heuglin theilt in Cabanis’ „Journal für Ornithologie“ mit, daß er sie in Sennaar, namentlich um Qualabat, am Atbara und Dender und im Gebiet des Gazellenflusses heimisch gefunden hat) begann ebenfalls zu nisten. Sie bauten, im Gegensatz zu allen Astrilden, ein offenes muldenförmiges Nest; und nicht allein der herrliche Gesang des Männchens während der Liebeszeit, sondern auch das gegeneinander so innig zärtliche und gegen mich so zutrauliche Benehmen dieser Vögelchen gewann ihnen mein ganzes Herz. Doch – das Weibchen starb vor dem Beginn der Brut. Es ist, nebenbei bemerkt, überhaupt ein sehr großer Uebelstand, daß vor oder während der Brut die Weibchen aller dieser Finken so gar leicht sterben. Beim Untersuchen des Nestes fand ich ein bereits früher gelegtes Ei. Dagegen hat der zweite graue Edelfink, dessen Weibchen mir auf der Reise von Paris hierher gestorben war, mit einem Canarienweibchen genistet und zum ersten Male ein Junges glücklich großgezogen. Dieser Bastard wird gewiß das Interesse aller Vogelliebhaber in hohem Grade erregen; seine Mutter brütet soeben zum zweiten Male auf vier Eiern, und sobald diese Brut ebenfalls vollendet ist, will ich Weiteres darüber veröffentlichen.

Wenn ich meine Erfolge im Ganzen überblicke, so muß ich mir freilich sagen, daß dieselben - im Verhältniß zu Mühe und Kosten und im Verhältniß zu den Aussichten, die sich bereits gezeigt - außerordentlich gering sind. Dennoch sind sie dazu vollkommen ausreichend, daß sie mich zu bedeutend erweiterter Fortsetzung der Züchtungsversuche ermuthigen. Bis jetzt habe ich also von den Sperlingspapageien, Elsterchen, Amaranthvögeln, Tigerfinken, Goldbrüstchen, Bandfinken und Schmetterlingsfinken flügge Bruten erstehen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_439.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)