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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

bereits in der vierten Hand, und es ist gleichgültig, ob er für drei Pfennige verkauft wurde. Hatte Herr v. L. nicht freiwillig den Schmuck gekauft und ihn Amanda geschenkt? – Wirklich, Betrug lag nirgends vor, und Herr v. L. konnte im besten Falle Rückgabe des Schmuckes verlangen. Aber Amanda war so sehr in Verlegenheit gewesen; sie hatte ihn verkauft und Herr v. L. verzichtete auf eine Civilklage gegen Amanda. Die Herren konnten nur wegen gewerbsmäßigen Hazardirens bestraft werden und gönnten sich für das brillante Geschäft jenes Abends gern drei Monate ungestörter Ruhe.

Die Polizei aber machte in ihren Listen neben den Namen der Herren einen kleinen Vermerk, welcher mit dem classischen „quos ego!“ gleichbedeutend ist. Das sicherste Geschäft, und nach seiner Idee ohne Risico, hatte der biedere Goldarbeiter gemacht. Freilich hatte er seinem Freunde, dem „Schlepper“, zehn Procent abgeben müssen, aber er hatte einen Schmuck im Werthe von einhundert Thalern für vierhundert Thaler baaren Geldes verkauft, hatte natürlich seinen Freund, den „Schlepper“, außerdem betrogen und am nächsten Tage denselben Schmuck von der hartbedrängten Amanda für fünfzig Thaler zurückgekauft. „Heißt ’n Geschäft!“ – Dieser biedere Goldarbeiter ist keine fingirte Person; auch er hat sein „quos ego!“ in den Listen der Polizei.

Herr v. L. aber hatte einstweilen genügende Kenntnisse von Berlin gesammelt; er verließ es, gewitzigt durch Erfahrung.




Unsere Wintergäste.

Mit Abbildung.

Der Mensch steht dem Menschen natürlich am nächsten, der darbende Mitbruder, die leidende Mitschwester hat den ersten und drängendsten Anspruch auf unsere Theilnahme, unsere werkthätige Hülfe, – allein über der Erfüllung dieser unserer nächsten und wichtigsten Pflicht dürfen wir nicht vergessen, daß auch die Thierwelt in ihren Nöthen ein Anrecht auf unser fürsorgliches Interesse, unsern Schutz und unsere Unterstützung besitzt, wenn sie deren bedarf. Auch in ihr giebt es eine zahlreiche Classe, die, sobald der Winter einzieht mit Frost und Kälte, sobald Schnee und Eis Feld und Flur bedecken, sich nicht mehr die nöthige Leibesnahrung und -Nothdurft verschaffen kann und oft genug der Noth der Zeit zahlreich zum Opfer fällt. Wir meinen vor allen jene anmuthigen befiederten Geschöpfe, die als Wintergäste sich den menschlichen Wohnstätten nähern und hülfeflehend unser Mitleid anrufen. Man muß nur einmal hinausgehen an einem strengen Wintertage, um zu sehen, wie viele der Nothleidenden, der Hungernden und Frierenden auch hier es giebt. – Dort sitzt z. B. ein Goldämmerchen zusammengekugelt, die Füßchen verbergend in das aufgebauschte Gefieder, das seinen Leib mit doppelt wärmender Luftschicht umhüllt. Wie traurig und selten erklingt jetzt sein „sit, sit!“ gegen das fröhliche Sommerliedchen: „Sichelchen schnied! – s’is s’is früh!“, mit dem es die Arbeit des Landmannes begleitet! Hier trippelt ein altes Finkenmännchen umher, das ausnahmsweise einmal seine Wintersaison bei uns Norddeutschen halten wollte; Weibchen und Junge wagen solch’ bedenkliches Unternehmen nie, sondern ziehen im Herbste südwärts. Was ist es aber, das diesen Sonderling zum Dableiben bestimmte? Ist der alte Herr zu träge zum Reisen und der fremden Länder überdrüssig, oder baute er fest auf die Mildthätigkeit der Deutschen und hält die Bangigkeit seiner Genossen vor dem deutschen Winter für ein angeborenes Vorurtheil? Wie demüthig-schweigsam aber, fast als hätte er einen unüberlegten Entschluß zu bereuen, sucht er nun die spärlichen Körnchen der „Wegebreite“ und der wilden „Cichorie“, die von den Winden verstreuten Sämchen der Erlen und Birken auf den verschneiten Wegen zusammen! Nicht einmal seinen einfachen Finkenruf, noch viel weniger seinen kecken „Schlag“ läßt er hören!

Haubenlerchen, Grauammern und Feldspatzen, Amseln, Goldhähnchen und Meisen aller Art flüchten aus Feldern und Wäldern in die Nähe unserer Wohnungen, um hier Schutz und Nahrung zu suchen:

„Im Felde draußen da giebt’s nichts mehr,
Der Schnee deckt Alles rings umher.
Da hörten wir euern Drescherschlag
Und ziehen dem lieben Klänge nach.“

Indeß nicht alle unsere Wintergäste lassen sich von der eisigen Hand des Winters niederbeugen; manche trotzen als wahre Helden jedem Ungemach. Meisen und Goldhähnchen, die ewig beweglichen und thätigen; sieht man nie traurig und verzagt still hocken wie Ammern und andere Feldflüchter. Der zwergige Zaunkönig treibt sich, als wollte er durch gymnastische Bewegungen seinen winzigen Körper erwärmen, unermüdlich in den Hecken und Reisighaufen umher und läßt selbst bei der strengsten Kälte seine kräftig schmetternde Stimme erschallen. Der Gesang des schmucken Wasserstaares ertönt sogar zwischen den Eisschollen an den Rändern der Gebirgsbäche und Wasserfälle.

Häufig gesellen sich zu unsern ständigen Wintergästen auch nordische Flüchtlinge, wie der „Quäker“ oder Bergfink, der „Zetscher“ oder Bergzeisig; seltener erscheint in ungewöhnlich strengen Wintern – unsere thüringischen Vogelsteller meinen irrig alle sieben Jahre – der schönbefiederte Seidenschwanz. Diesen Bewohnern des unwirthlichsten Nordens ist auch der strengste deutsche Winter nur Spaß gegen den ihrer Heimath, und unser Thüringer Wald mag ihnen selbst in seiner rauhesten Jahreszeit noch so mild und angenehm erscheinen, wie etwa uns ein Winteraufenthalt in Nizza oder Algier. Erlen- und Birkensamen, Wachholdern und Ebereschen, selbst die Beeren des gemeinen Faulbaums und Weißdorns –- kurz all’ die deutschen Baum- und Strauchfrüchte, welche unsere einheimischen Vögel verschmähten oder übrig ließen, sind für sie wahre Leckerbissen.

Diejenigen Vögel aber, welche von Natur nicht mit solchem Heldenmuthe begabt und überdies auch noch durch die Strenge des Winters ihrer gewöhnlichen Nahrung beraubt sind, haben umsomehr Ansprüche auf den Schutz des Menschen.

Auf keine bessere und zugleich für uns angenehmere und lohnendere Weise können wir ihnen solchen gewähren, als durch Anlegung von Fütterungen in der Nähe unserer Wohnungen, daß wir so zu sagen „offene Tafel“ für unsere lieben Gäste halten, von der sich ein jeder nach Lust und Bedürfniß, und wie es seinem besondern Geschmack und Appetit beliebt, zulangen kann. Vieljährige Erfahrung hat uns gelehrt, daß sich die Vögel für die ihnen so erwiesenen Wohlthaten nicht nur dankbar zeigen, ja oft dankbarer, als viele Nebenmenschen, sondern unsere Mildthätigkeit auch reichlich vergelten und daß uns aus dem sorglichen Hegen und Pflegen dieser nützlichen Thierchen ein hohes, reines Vergnügen erwächst.

Man versuche nur, auf dem Hofe, in einem offenen Schuppen, oder an einem sonstigen geschützten Platze, Körner und Küchenabfälle aller Art, auch Hollunder- und Vogelbeeren auszustreuen, und man wird bald zu seiner Freude bemerken, welch’ zahlreiche Gesellschaft von hungrigen Gästen sich einfindet, zumal wenn tiefer Schnee die Flur bedeckt, Reif und Eis die Bäume überzieht.

Noch ein größeres Vergnügen gewähren Fütterungen, die man vor den Fenstern der Hof- und Gartenseite des Hauses anlegt, indem man dazu entweder ein Blumenbret benutzt, oder ein ähnliches, womöglich aber altes Bret annagelt, auf dasselbe ein niedriges Fichtenbäumchen setzt und allerlei Futter ausstreut: Hafer, Rübsamen, Mohn, Hanf, gehacktes Fleisch, Brodkrumen etc.; Stückchen Speck, Lichtstümpfchen, Wurstschalen, Wallnußkerne an Fädchen gebunden, Haferkörner zu Kränzchen geschnürt und in die Zweige des Bäumchens gehängt, geben Hauptleckerbissen für die Meisen. Welch’ ein fröhliches Getümmel entwickelt sich vor unseren Augen, sobald die erste Scheu der armen, gedrückten Thierchen überwunden ist! Haus- und Feldspatzen, Ammern und Lerchen, Finken und Spechte, ja selbst die sonst so scheuen Amseln und Raben sprechen als willkommene Gäste vor. Von letzteren besuchen nun schon vier Jahre nacheinander dieselben Pärchen unsere Fütterungen, die wir mitten im Thüringer Walde theils auf Bäumen vor den Wohngebänden, theils an unsern Fenstern errichtet haben. Ja, es führen uns die einmal befreundeten Vögelchen, mögen sie ständige oder ambulante Wintergäste sein, auch von ihren Nachkommen und Verwandten alljährlich neue zu, gleichsam als sage es einer dem andern,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_126.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2021)