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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wilhelm konnte seine Pferde auf dem ebenen Boden in den raschesten Trab fallen lassen; kein Rasseln und kein Geklirr und kein Hufschlag verrieth die eilige Fahrt. So war das Lustschloß in einer Zeit erreicht, welche in Folge der Spannung, in der sich die drei den Wagen begleitenden Personen befanden, ihnen nur noch kürzer erschien.

In der Nähe des kleinen Schlosses führte ein Weg aus der Allee, der sich in die Felder hineinschlug, rechts ab. Das Dunkel der Nacht hatte sich ein wenig gelichtet. Der Wind trieb die Regenwolken an der eben sichtbar werdenden Mondsichel vorüber. Mit Hülfe dieses Lichtes fand Wilhelm die Abzweigung dieses Weges ohne Schwierigkeit, er zog die Zügel an und lenkte hinein, ohne die Hülfe der Laterne zu gebrauchen, die Mensing hervorholen wollte.

„Sie blendet mich nur durch den Widerschein,“ sagte er, „bis zur neuen Mühle finde ich den Weg, auch wenn es noch dunkler wäre. Jenseits der Fulda aber bin ich nicht mehr so sicher – Sie werden dann schon absteigen und mit der Laterne vorausschreiten müssen …“

„Das will ich gern, sag’ mir’s nur, sobald Du’s wünschest … wenn wir nur erst die Strecke hinter der Mühle glücklich hinter uns hätten; in der Gegend, wo der Pachthof meiner Mutter liegt, kenn’ ich die Wege ganz genau.“

„Still,“ flüsterte hier Elise, „hören Sie nicht etwas?“

„Ich höre nichts!“

„Und ich ein Geräusch wie Hufschlag!“

„Das wäre verdächtig … Wilhelm, halt’ einmal!“ rief Mensing aus.

Wilhelm, der bereits eine Strecke weit dem Feldweg nachgefahren war, hielt an.

Alle Drei lauschten.

„Es ist erstorben – aber ich hörte es deutlich,“ flüsterte Elise.

„Wo?“

„Ich weiß das nicht genau, ich denke, vor uns.“

„Soll ich weiter fahren?“ fragte Wilhelm.

„Nur immer zu!“

Wilhelm trieb sein Gespann an, der Wagen rollte mit mäßigem Gerassel auf den weichen Wegen weiter; nur zuweilen wurde ein Klirren und Stoßen laut, wenn der Wagen aus einem Geleise in’s andere fiel oder einen Feldstein berührte.

„Halt, um Gotteswillen!“ rief Elise plötzlich aus, ihre Hand auf die Schulter des vor ihr sitzenden Wilhelm Momberg legend.

Dieser hatte bereits die Zügel angezogen und Mensing war im selben Augenblick aufgefahren.

Das Geräusch, welches Elisen erschreckt hatte, war zu gleicher Zeit von allen Dreien vernommen worden. Es war der Hufschlag schreitender Pferde, die eben in Trab zu fallen begannen.

Das Geräusch war vor ihnen, es war keinen Augenblick zu zweifeln, mehrere Reiter kamen ihnen entgegen – es war eine der gefürchteten Gensd’armerie-Patrouillen, was konnte es anders sein?

„Soll ich querfeldein?“ fragte Wilhelm rasch.

„Nein,“ rief Mensing, „wenn wir auch noch Zeit hätten, aus ihrem Gesichtskreise zu kommen, so würden sie uns immer noch hören können. Also nur vorwärts, nur ruhig vorwärts, fahr’ Schritt.“

Wilhelm fuhr weiter; Elise faltete in ihrer Angst krampfhaft die Hände und sprach ein Stoßgebet.

„Mein Gott, die Maske, die Maske, Elise!“ rief Mensing aus, „verlieren Sie den Kopf nicht jetzt, nur jetzt nicht!“

Während man die Reiter näher und näher kommen hörte, fuhr Elise mit der zitternden Hand unter ihren Mantel und zog eine Maske darunter hervor; Mensing half dem geängstigten Mädchen, sie vor ihrem Gesichte zu befestigen.

Noch einige Minuten und aus dem Dunkel vor ihnen tauchte die Gestalt eines Reiters auf, dann zwei, dann noch einer …

Im nächsten Augenblick war der Wagen erreicht, der vorderste Reiter hielt sein Pferd an und rief ein gebieterisches: „Halte-là – Halt! … Wer seid Ihr?“

„Königlicher Fourgon!“ versetzte Wilhelm laut, während Mensing Elisen zuraunte: „Es ist der Oberst selbst – Gott Lob – Alles wird gut gehen!“

Die andern Reiter hielten neben dem ersten.

„Ein königlicher Fourgon …“ schrie jetzt der Oberst La Croix, „Vertubleue … hier auf den Feldern? … in der Nacht? Du lügst, verdammter Schlingel …“

„Es ist ein Marstall-Fourgon!“ sagte einer der Gensd’armen, der um den Wagen herumgeritten war.

„Aber verdammt verdächtig,“ brummte der Oberst; „Du steigst ab, Bursche, und, die Personen da vorn ebenfalls, ich will wissen, was in dem Wagen ist, er muß geöffnet werden …“

In diesem Augenblick sprang Mensing von dem Vordersitz, unter dessen Verdeck es zu dunkel war, als daß er hätte vom, Obersten erkannt werden können, auf den Boden. Er näherte sich dem Obersten und, die Hand auf den Hals seines Pferdes legend, flüsterte er ihm zu:

„Oberst La Croix, ich bin es, der Lieutenant Mensing –“

„Wer?! Was Teufel? … Sie, Lieutenant Mensing?“

„Ich! Darf ich Sie um eine kleine Unterredung abseits vom Wege bitten?“

Tudieu – was hat das zu bedeuten? Eine Unterredung abseits vom Wege?“

„Ein paar Schritte hierher … ich bitte dringend darum …“

Der Oberst lenkte sein Pferd ein paar Schritte weit auf das nächste Stoppelfeld.

„Nun, also?“ sagte er hier anhaltend, „heraus damit … wie kommen Sie hierher, wie kommt der Marstall-Fourgon hierher, und was ist darin?“

„Drin ist Bettzeug für das Schloß Schönfeld … es soll Ihnen gezeigt werden, wenn Sie darauf bestehen; das ist aber nur hineingeworfen, um den ostensiblen Vorwand für die Fahrt zu bieten. Der eigentliche Zweck derselben ist ein anderer – er ist der, eine Dame, die Dame, die Sie sich in die Ecke des Vordersitzes drücken sehen und deren Name nicht zur Sache gehört, zu entführen …“

„Eine Dame – was Teufel – die Sie entführen, Mensing?“

„Ich verlasse mich auf Ihre Loyalität, Obrist La Croix … und bitte Sie flehentlich, der Dame die Angst und die peinigende Situation, worin sie sich in diesem Augenblicke befindet, abzukürzen; die Beschämung, von Ihren Reitern angestarrt und gemustert zu werden … seien Sie ritterlich, Oberst!“

„Aber Mensing, Sie sind ja ein Teufelskerl. Ritterlich? Gewiß, so viel es der Dienst zuläßt. Wer ist die Dame?“

„Verstatten Sie mir, den Namen zu verschweigen. Genug, wenn ich Ihnen sage, daß ich nur so hoffen durfte, ihre Hand zu gewinnen, und daß ich sie in dieser Nacht zu meiner Mutter bringe, die ihr ein Asyl geben wird, von wo aus wir die Verzeihung der Eltern anflehen werden … wir haben den Maskenball auf dem Schlosse benutzt, um ungehindert zu entfliehen; die Dame ist noch in der Maske, die sie auf dem Balle trug.“

„Ein vollständiger Roman also!“ rief der Oberst lachend aus, und dabei warf er sein Pferd herum und war im nächsten Augenblick dicht neben dem Vordersitz des Fourgons.

„Brigadier,“ rief er dabei, „kommen Sie heran, steigen Sie ab.“

Einer der Gensd’armen warf sich aus dem Sattel.

„Nehmen Sie die Blendlaterne, die da in der Ecke steht, öffnen Sie sie und leuchten Sie damit; ich möchte diese Dame hier sehen! – Madame,“ wandte er sich dann an Elise, „ich hoffe, Sie halten meinem Diensteifer diese kleine Indiscretion zu Gute.“

Der Brigadier hatte mit dem Arm in den Vordertheil des Fourgons gelangt und die Laterne, die sich durch einen schwachen Schimmer verrathen hatte, ergriffen. Er öffnete sie jetzt und erhob sie so, daß der volle Schein auf die Gestalt Elisens fiel.

„Maskirt … in der That …“ sagte der Oberst, „als Griechin maskirt … ah … schöne Maske, ich kenne Dich!“ setzte er plötzlich hellauflachend hinzu … „Lieutenant Mensing, ich wünsche Ihnen Glück … dacht’ ich mir’s doch gleich! Vortrefflich, vortrefflich … fahren Sie zu, in’s Teufels Namen – der Wagen kann fahren, Leute … Lieutenant, ich eile von hier auf den Ball … dort werde ich Ihren Schwiegervater von Ihnen grüßen …“

„Oberst,“ rief Mensing aus, „das werden Sie nicht thun – es würde Ihnen einen schlechten Dank bringen …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_050.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)