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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Und das Alles,“ fiel der ehrliche alte Herr erschrocken ein, „soll ich dem Grafen sagen?“

„Das Alles sollen Sie ihm vorklagen, mit dem betrübtesten Gesichte von der Welt … und daß Sie es gut machen, davon hängt zunächst Alles ab.“

„Nun wohl denn, ich will es versuchen, versetzte Steitz, „und dann?“

„Dann schließen Sie Ihre Worte mit dem Stoßseufzer: ,wenn ich nur einmal über einen königlichen Wagen zu verfügen hätte, den man nicht anhalten dürfte, mit dem ich sie still in der Nacht fortsenden könnte … denn bei Tage wage ich es gar nicht, der Oberst hat ja seine Mouchards, seine Spione überall’ …“

„Und darauf wird der Graf einen Wagen zur Verfügung stellen,“ unterbrach Steitz eifrig den Officier, „glauben Sie es?“

„Er wird Ihnen zur Verfügung stellen, was Sie wollen, verlassen Sie sich darauf, um nur diesem La Croix einen Streich zu spielen. Freilich muß die Sache einen Vorwand haben. Der Maître de Logis kann nicht königliche Wagen requiriren, um junge Mädchen spazieren fahren zu lassen. Es muß den Anschein haben, als ob er sich dabei in seiner Amtsthätigkeit befinde.“

Seitz nickte wieder mit dem Kopfe. „Und das,“ sagte er, „wäre ja wohl zu machen. Der Graf läßt oft durch Fourgons aus dem Marstall Gegenstände, die zur königlichen Hofhaltung gehören, Meubel und dergleichen transportiren.“

„Und darum,“ fuhr Mensing fort, „müssen Sie ihm den Vorschlag machen, einen Fourgon zum Transport von leichten Sachen, z. B. von Matratzen und Betten, die nach demselben Schlosse Schönfeld gefahren werden sollen, wo Sie morgen diese Unterredung mit dem Grafen haben werden, zu requiriren, und dabei das Stallmeisteramt aufzufordern, diesen Fourgon Ihnen als Inspector zur Disposition zu stellen.“

„Das ist Alles ganz gut,“ sagte Steitz, „aber es wird zu sehr auffallen, wenn ich einen solchen Fourgon für die Nacht verlange …“

„Nicht zu sehr, denke ich,“ antwortete Mensing, „man sagt eben, im Schloß Schönfeld solle augenblicklich für die Aufnahme eines Gastes gesorgt werden, der König habe es befohlen – wer verwundert sich darüber, wenn unsere lustige Majestät vielleicht einem hübschen weiblichen Gaste plötzlich in einem seiner Schlösser ein Quartier bereiten läßt …“

„Das ist wahr, und ich räume Ihnen ein, daß Alles sich so weit ganz gut machen läßt, – aber ich sehe nicht ein, wie wir über die letzte und größte Schwierigkeit wegkommen. Wer soll den Wagen fahren? Ein Wagen aus dem königlichen Stalle wird nur einem königlichen Stallbedienten anvertraut, und der wird uns verrathen!“

„Darin liegt freilich eine Schwierigkeit,“ erwiderte Mensing, „die zweite große Schwierigkeit, von der ich reden wollte. Wir können dem Mann unsere heimliche Fracht nicht verbergen, und wenn wir es könnten, würde er nicht zugeben, daß ein königlicher Fourgon über das Ziel hinaus, in Nacht und Nebel weiter, über die Grenze entführt würde. Wir dürfen auch keinen Bestechungsversuch machen, so wenig wie bei einem Fuhrmann aus der Stadt, darüber sind wir uns auch klar. Es nimmt Niemand eine Bestechung von einem Paar tausend Gulden, wenn er hunderttausend verdienen kann. Aber beruhigen Sie sich darüber, Steitz. Ich kenne glücklicherweise einen Stallbedienten, welcher jeden Wagen zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht nach jedem Orte auf Erden, und wäre es der Nordpol, fährt – wenn sich Demoiselle Elise Seitz auf dem Wagen befindet!“

Des Inspectors Züge zuckten eigenthümlich.

„Sie meinen den Wilhelm Momberg,“ sagte er mit einem hastigen, heftigen Tone.

„Den meine ich!“

„Aber wollen Sie denn, daß meine Tochter wirklich …“

„Daß sie wirklich mit dem Fourgon abfährt? Gewiß will ich das! Denn erstens darf Ihre Tochter nachher nicht mehr hier oben gesehen werden, und zweitens wäre es möglich, daß Graf Boucheporn sich so sehr für die Sache interessirt, daß er persönlich in der Nacht der Abfahrt sich zu Ihnen herüber begiebt, um zu sehen, daß Demoiselle Elise glücklich wegkommt. Und drittens wird Wilhelm Momberg nicht Leib und Leben an des Kurfürsten Schatz wagen, wenn er es nicht thut, um nebenbei seinen Schatz für sich in Sicherheit zu bringen! Also, daß Elise dabei ist, das ist eine Nothwendigkeit, in welche Sie sich fügen müssen …“

„Aber mein Gott, wie kann ich mich dazu entschließen? Wenn ich Elise mit dem Wilhelm fortfahren lasse, so …“

„So müssen Sie sie eben fortfahren lassen,“ fiel der Officier lächelnd ein, „auf die Gefahr hin, daß sie sich unterwegs in einer Weise verständigen …“

„Daraus kann doch nie etwas werden,“ rief Steitz eifrig, fast zornig aus, „ich kann meine Tochter doch keinem Stalldiener geben!“

„Lieber Steitz,“ sagte Mensing, ihm die Hand auf den Arm legend, „diesen Einwurf hätte ich von Ihnen nicht erwartet! Der Stallbediente ist ein tüchtiger, ehrlicher Mensch, er ist guter Leute Kind und hat eine ordentliche Erziehung erhalten, für einen bessern Stand, als seinen jetzigen, das wissen Sie so gut wie ich! Sie wissen auch, daß Ihre Tochter ihn liebt – und wenn Sie ihm unter den Umständen, von denen wir reden, Ihre Tochter geben, so geben Sie diese nicht dem Stalldiener, sondern dem Manne, der eine gute Zukunft vor sich hat – glauben Sie nicht, daß der Kurfürst den Dienst, den er leisten soll, ihm so reich belohnen wird wie uns Beiden, was wir thun?“

Steitz starrte nachdenklich auf den Tisch

„Ja, ja,“ murmelte er, „ich denke, er wird ihn lohnen … es ist vorauszusetzen, daß er ihn lohnt … wir wollen es hoffen, Mensing! Aber wir handeln nicht deshalb!“

„Nein,“ versetzte der Officier, „davon ist nicht die Rede. Wir handeln um der Sache des Rechts und um unseres Herrn, um unserer Treue willen! Deswillen allein setzen wir unser Leben ein – Sie wie ich! Für Momberg aber, den nichts von dem an den Kurfürsten bindet, was uns bindet, müssen wir einen Lohn haben, und den zu bieten, muß sich der Vater entschließen. Es geht nun einmal nicht anders. Und wenn Sie sich damit auch ein Stück von Ihrem Herzen reißen müßten, es geht nicht anders!“

Steitz schwieg, das Kinn auf seine Hand gestützt, die Augen auf die Tischdecke heftend.

„Wird es Ihnen so schwer, auch das für Ihren Herrn zu thun? Kennt Ihre alte Hessentreue eine Grenze, Steitz?“ fragte der Officier vorwurfsvoll.

„Sie haben Recht, Mensing,“ antwortete der Inspector. „Nein, wenn auch Jedermann sein Recht hat, in das keine Pflicht gegen einen Andern, wer es auch sei, hineingreifen darf – ich will auch das thun – ich will es Elisen sagen und ich will Ihnen folgen in Allem! Bestimmen Sie nur den Tag, die Nacht, wenn es sein soll!“

„Das ist brav von Ihnen, und ich wußte es, daß Sie so reden würden, Steitz. Wohl denn – Sie geben mir also die Erlaubniß, mit Momberg zu reden?“

„Ich gebe sie Ihnen.“

„Und Sie reden mit Ihrer Tochter?“

„Noch heute!“

„So gehe ich, Momberg aufzusuchen. Ich muß mit ihm verabreden, wie es zu machen ist, daß der Stallmeister gerade ihm die Führung des Fourgons anbefiehlt. Nötigenfalls muß er, falls ein Anderer den Auftrag erhält, diesem anvertrauen, daß es sich um Elisens Entführung handle, er muß ihn bestechen, daß er ihm, dem Wilhelm, den Wagen überläßt …“

„Das wird keine Schwierigkeit bieten, denk’ ich,“ fiel Steitz ein.

„Hoffentlich nicht,“ sagte Mensing. „Und was die Nacht, welche wir wählen, angeht, so wird es am besten sein, die der großen Maskerade zu benutzen – das Fest wird alle Diener, Alles, was das Schloß bewohnt, beschäftigen und in den inneren Räumen festhalten – der stille Flügel drüben wird nie unbeachteter sein! Es ist die Nacht vom einundzwanzigsten auf den zweiundzwanzigsten – also in drei Tagen!“

Der Inspector war auch damit einverstanden, und so trennten sich die beiden Männer, nachdem sie noch einmal sich über das ausgesprochen, was Jeder von heute an als seine Rolle zu betrachten hatte, mit einem warmen Händedrucke von einander. –

Steitz saß dann noch lange so, wie er vorhin gesessen, das Kinn auf die Hand gestützt und starr ans die Platte des Tisches vor ihm niederblickend. Er überdachte und überlegte Alles, was Mensing zu ihm gesprochen, was eintreten könne, wem vorzubeugen sei, so lange, bis er sich ordentlich wirr im Kopfe fühlte von allen den Wendungen, welche die Sache nehmen könnte, allen den Zufälligkeiten,

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