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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

unseren numerirten Plätzen durch die Masse der Schaulustigen. Der ganze Hof war bereits vollgepfropft und an der Casse saß Madame Bläule in großer Toilette, strahlend von Glückseligkeit, denn in der That, der Kurmärker zog viel mehr, als der kleine Director geahnt haben mochte. Er hatte damit hinein in’s preußische Herz getroffen und die „Breißen“ machten ihm nicht nur ein volles Haus, auch der ganze Hof war angefüllt von ihnen und die Einnahme überstieg alle Erwartung. Guldenzettel, Zwanziger und Kupferkreuzer, ja selbst harte preußische Thaler in Menge barg bereits die Höhlung des irdenen Gefäßes, welches der Dame als Casse diente, und immer noch strömten Neugierige herzu ohne Ende – eine wahre Völkerwanderung.

Hinter dem ersten Range hatte man Stühle und Bänke aufgestellt, dann kam ein breiter Stehplatz, das Parterre, und längs der Mauer hatte man mit Tischen, Fässern und Brettern bereits ein „Paradies“ geschaffen, welches einige Pioniere und Artilleristen noch zu vergrößern bestrebt waren. Eine andere erste Rangloge oder Olymp etablirte sich eben in den beiden hohen Birnbäumen, und selbst damit hatte man noch nicht genug, denn mit der Zeit bevölkerte sich auch das ganze Dach des niedrigen Hauses drüben, so daß es ein Wunder war, daß die morschen Sparren nicht unter der Last zusammenbrachen. Später fanden sich auch einige Damen ein, ein Marketender etablirte sich in der Nähe des Kuhstalls, – es fehlten in der That nur noch die landesübliche „Weiße“ und die „Schinkenstullen“, um sich ganz wie „bei Muttern“ zu fühlen.

„Musik, Musik!“ rief es nun von allen Seiten, und ein kleines Orchester von sechs Mann begann einen lustigen Marsch.

„Pst, ruhig! – nicht schupfen!“ hieß es hier, und „Ruhe im Olymp!“ antworteten Andere, ein wahres Pelotonfeuer von schlechten Witzen und lustigen Erwiderungen gab Zeugniß von der trefflichen Laune des Publicums. Es war bereits sechs Uhr durch, die Musik hatte schon drei Stücke gespielt und noch immer ging der Vorhang nicht in die Höhe.

„Anfangen, anfangen!“ riefen da einige ungeduldige Stimmen und „Anfangen!“ brüllte der Chor nach, und nun brach ein wahrhaft ohrenzerreißender Lärm los; man schrie wie wahnsinnig und trampelte mit den Füßen, bis endlich die Klingel des Regisseurs ertönte und mit einem Male plötzliche Stille eintrat. Jetzt klingelte es wieder, der Vorhang bewegte sich, schwebte langsam und etwas schief empor, – ein allgemeines „Ah!“ entrang sich Aller Kehlen. „Die Unglücklichen“ begannen, nahmen ihren natürlichen Verlauf und erlitten weiter keine Störung, als daß einmal mitten drin ein Theil der „Bullerloge“ hinten einbrach, was aber nur eine momentane Unterbrechung verursachte.

Nun kam der Zwischenact. Er war stürmisch und lang, die Hitze groß, das Gedränge noch größer, am größten aber der allgemeine kolossale Durst. Ein Königreich, ganz Ungarn für eine Weiße! Endlich, endlich klingelt es hinter der Scene – zum ersten – zum zweiten Male, das Saatlaken rauscht langsam empor, der Glanzpunkt des Abends beginnt, alle Herzen schlagen voll Erwartung, tiefe Stille! – da ist in der That der kleine Meierhof in der Picardie.

Auf eine Waschleine gespannt hängt im Hintergrunde, quer über die Bühne, die heute früh erst entstandene Mauer mit einer Oeffnung in der Mitte, welche die Thür vorstellt. Die eigentliche Scene, welche ursprünglich einen griechischen Tempel vorstellt, ist durch einige Versatzstücke, Tannenbüsche und Baumzweige mit einem genialen Griffe zu dem kleinen Hofe der niedlichen Marie Fermière umgewandelt worden. Rechts guckt die trauliche Hütte aus der zweiten Coulisse hervor mit zwei rabenschwarzen Fenstern und einer winzig kleinen Thür, davor stehen Tisch und Stühle. Ein paar blaugefärbte Leinwandstreifen bilden den heiteren Himmel Frankreichs, der sich fast unheimlich tief über dem Erdboden aufspannt und in Folge dessen auch bereits einige Löcher und Risse bekommen hat. Es war so still rings umher, man hätte ein Mäuschen laufen hören, trotzdem hier Hunderte von Menschen Kopf an Kopf dicht zusammengepfercht standen.

Jetzt öffnet sich die niedrige Thür der Hütte, herein hüpft die kleine französische Bäuerin, – ein allgemeines, langgezogenes „Ah!“ empfängt dieselbe. Schüchtern schaut sie auf, – in der That, die Picarde ist nicht übel, wirklich ein hübsches, stattliches Mädchen und das Costüm der Bäuerin kleidet sie zum Entzücken. Etwas befangen noch tritt sie vor und erzählt dem Publicum, daß ihre Mutter krank, ihr Vater aber fortgefahren sei und sie nun ganz allein Haus halten müsse; was sie nun anfangen solle, wenn die Einquartierung käme? und das Alles sprach sie hübsch und correct, und da sie eine Ungarin war, kleidete sie der fremdklingende Jargon ganz vortrefflich und paßte sehr gut zu ihrer Rolle. Da plötzlich vernimmt man einen Höllenlärm hinter der Scene, ein Poltern und Stampfen, als wenn die ganze Bühne einfiele, und „Heda – Wirthshaus!“ bricht dazwischen eine dünne, singende Stimme und die Mauer fängt bedenklich an zu schwanken, – es ist der Kurmärker Bläule, der so sein Kommen ankündigt. „Halloh! Aufgemacht, die Breißen kommen!“ extemporirt derselbe, und nachdem Marie Fermière „Gleich, gleich“ erwidert hatte und dem Publicum erzählte, das wäre jedenfalls ein Preuße, denn die riefen immer gleich „Heda, Wirthshaus!“, kam er selbst mit Sack und Pack durch die Mauerlücke hereingeschritten. War schon die dünne Stimme, der unverkennbare Meißner Dialekt des Kurmärkers allgemein aufgefallen, so ging jetzt mit einem Male durch die ganze Versammlung eine unruhige Bewegung, als derselbe vor die Lampen hintrat, – die Enttäuschung war aber auch geradezu abscheulich.

Man denke sich den kleinen Director in einer etwas zu knappen Feldmütze ohne Schirm und Landwehrkreuz, unter welcher seine langen Haare, pomadisirt und à la Rebhuhn frisirt, herabflossen, als wollte er eben einen modischen Handlungsreisenden darstellen. Sein kleines, vertrocknetes Gesicht zierten ein schmales, kohlschwarzes Schnauzbärtchen und ein ebensolch stutzerhafter Henri Quatre, die beide ihre Entstehung einem angebrannten Korkstöpsel verdankten. Außerdem aber war derselbe in einen Waffenrock und weißleinene Hosen ohne Gamaschen gekleidet, die ihm um eine ganze Welt zu weit waren; kurzum, er bildete mit dem großen Tornister und dem „gerullten“ Mantel darüber eine ganz tolle, fratzenhafte Caricatur auf einen preußischen Soldaten. Eine bedenkliche Unruhe machte sich einen Augenblick lang fühlbar, ein Murmeln, welches wie ferner Donner durch die Menge grollte – dann wurde es allmählich wieder still.

„Heda – Bisang – ich komme hier in’s Quartier! – Nu – werd’s balde?“ begann der Pseudo-Kurmärker und stampfte mit dem Gewehrkolben einige Male drohend auf die wackeligen Dielen. „Hier hast de erst ä mal das Pillet,“ fuhr er fort zu krächzen und zu fisteln, „aber nu bringste mer erst emal oogenblicklich was pour mancher und nachher e pischen was pour pufer – hörste nicht, allons, paschol! –“

Ein allgemeines Gelächter ließ in diesem Augenblicke die kleine Picarde ängstlich aufschauen, während der Director, thöricht genug, dasselbe für ein Zeichen des Beifalls hielt und sich geschmeichelt verneigte. „Höre, Bisang,“ fuhr er mit seiner zwirnsfadendünnen Stimme dann fort und rollte schrecklich mit den Augen, „alleweile besorgste mir aber vor allen Dingen emal e pischen la viande de Kükerüküh,“ dies krähte er so natürlich, wie ein wirklicher Haushahn, „un eene gehörige Schuhsuppe, – verstehste mich?!“ und dabei brachte er die kleine Marie ganz aus der Contenance, indem er Beider Rollen durcheinander mengte und keine Stichwörter hielt. –

Jetzt aber brach mit einem Male der Sturm, der lange genug schon gegrollt hatte, mit seiner ganzen Gewalt los; das Gelächter verwandelte sich in Rufen, Pfeifen, Zischen und Stampfen, ein wahrer Orkan des Unwillens und der Entrüstung brauste über den armen Director Bläule dahin, jeder einzelne Soldat fühlte sich in der Person des mißhandelten Kurmärkers im tiefsten Herzen verletzt und beleidigt.

„’Raus mit dem Kerl! – Schmeißt ihn ’raus, – abtreten!“ riefen einige Stimmen, „nicht weiter spielen, – Maul halten!“ andere, und wer weiß, was daraus geworden wäre, welche Dimensionen dieser Tumult noch angenommen hätte, wenn nicht jetzt urplötzlich eine kräftige Faust den ganz sprachlos vor Schrecken und Enttäuschung dastehenden Director beim Arme erfaßt und blitzschnell zwischen die Coulissen gezogen hätte. Die kleine Marie befand sich so auf einmal allein auf der Bühne; ganz bleich und rathlos sah sie sich um, ungewiß, was sie thun sollte, blieb aber dann ruhig, die Hand auf dem Herzen, der aufgeregten Menge gegenüber stehen. Das überraschte Publicum beruhigte sich nun augenblicklich, es entstand eine kurze, ungewisse Pause, dann erfolgte erst einzeln, schnell aber von allen Seiten ein donnernder Applaus,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_719.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)