Seite:Die Gartenlaube (1867) 695.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

um das Jahr 767 den Weinbau bedeutend erscheinen und 817 tauschte Kaiser Ludwig der Fromme bereits einen Weinberg von dem Kloster Fulda ein. Vermöge der verschiedenen Behandlung des Weinstockes, Samenzucht, Pfropfen und ähnlicher Manipulationen ist man heute im Stande, etwa dreihundert verschiedene Traubensorten nachzuweisen, während davon nur ungefähr fünfundzwanzig Sorten zur eigentlichen Weinbereitung verwendet werden.

Es würde dem Zwecke der Gartenlaube nicht entsprechen, wollten wir auf eine nähere Beschreibung der verschiedenen Arten des rheinischen Rebenbaues eintreten. Sie sind in jeder Gegend des Rheinlandes mehr oder weniger verschieden. Wir müssen uns mit der Bemerkung begnügen, daß fast am ganzen Mittelrhein bis heute noch dem Pfahlbau, in der bairischen Pfalz und am Haardtgebirge dem Rahmenbau, in der hessischen Pfalz dem Pfahlbau und in neuerer Zeit dem Drahtbau der Vorzug gegeben wird.

Der einzelne Stock am Mittelrhein wird bei zweckentsprechender Behandlung im Lettenboden dreißig bis fünfundsiebenzig Jahre alt, während er in leichterem Boden, wenn auch gut gepflegt, nur bis an dreißig Jahre erreicht. Dabei ist ein Hauptaugenmerk des mittelrheinischen Winzers, die Trauben so nahe als möglich dem Boden zu ziehen, da durch die Einwirkung der Bodenwärme und der von dem Schiefergestein reflectirenden Sonnenstrahlen die Trauben früher reif und edler werden. Bei Anlage eines neuen Weinberges pflegt man, besonders in trockenen, steilen Berglagen, auf den preußischen Morgen nahe an viertausend, etwa zwei Fuß lange Setzreben (Blindreben, Schnittlinge, Stecklinge, Setzlinge) und zwar je alle zwanzig Zoll eine Rebe zu setzen. Es geschieht dies um der Beschattung willen, da in allen günstigen Lagen die Wirkung der Sonne auf den Boden zu mächtig sein würde.

Bei Lehm- oder Thonboden ist der Zwischenraum zwischen den Stöcken größer, wie denn auch die Entfernung der einzelnen Stöcke je nach der eingeführten Bauart verschieden ist.

Im ersten und zweiten Jahr überläßt man den Stock häufig einem unbehinderten Wachsthum oder schneidet ihn nach Beseitigung der Thauwurzeln zurück, hackt den Berg einige Male (im Rheingau vier bis fünf Mal im Jahr) und säubert ihn von Unkraut. Nach dem Düngen im Herbst deckt man beim Hacken die Stöcke mit dem Grund. Im dritten Frühjahr räumt man auf und schneidet die Zweige bis auf ein Auge. Dann wird der Stock gepfählt und geknüpft, oder es werden beim sogenannten Drahtbau je zwei Drähte an Pfosten befestigt, welche in einer Entfernung von zwanzig Fuß von einander abstehen. Das Binden der Stöcke geschieht mit Stroh, im Rheingau mit Weiden.

Die Ausdrücke des Winzers für seine Arbeiten sind sehr vielfältig. Es wird im Wingert gebänkelt, gleichgegraben oder gerührt, das dritte Graben nennt er das „Lautergraben“, und das vierte „Wintergraben“; ferner wird gezeilt, gegipfelt, verhauen, gekappt, geheftet, geringelt, ausgeblattet u. s. f.; letztere Ausdrücke finden sich hauptsächlich in der Pfalz und an der Haardt.

Erst im vierten Frühjahr wird der Stock durch „Raumen“ des Grundes und Schnitt vor dem Safttrieb (knöten) auf den ersten Ertrag vorbereitet. Der Stock erhält am Mittelrhein einen vier bis vier und einen halben Fuß hohen Pfahl. Nun erscheinen im Herbst die ersten nennenswerthen Ergebnisse der unsäglichen Mühe des Winzers – der Rheinländer nennt sie sehr bezeichnend die „Jungferntrauben“. Sie geben in der Regel einen trefflichen Wein, frisch und feurig, die erste Kraftäußerung des jungen Stockes. Indeß ist’s kaum ein Achtel eines vollständigen Ertrags, den dies erste Jahr liefert, und vorher, ehe der Wein der Reife entgegeneilt – welche Arbeit! Im Mai und Juli wird gehackt, das Unkraut beseitigt, gebunden, werden junge Reben ohne Triebe weggebrochen; Ende Juli werden die Spitzen der Reben wieder geschnitten und nach der Lese die Stöcke abermals vorsichtig zugehackt. Im fünften Jahre wiederholen sich diese mühevollen Arbeiten wieder, nach dem Herbst wird gedüngt und – immerhin auch hier günstigen Falls nur ein halber Herbst erzielt. Das Düngen eines Morgens kostet, ohne die Ausgaben für das Bestellen selbst, im Rheingau etwa einhundert und fünfzig bis einhundert und sechszig Gulden. In neuerer Zeit fängt man an, – wenn auch widerstrebend, künstlichen Dünger zu verwenden. Dann, im sechsten Herbste, tritt der Weinberg einer vollen Tragfähigkeit näher; man rechnet dann ungefähr fünf Ohm (zu achtzig Maß) auf den preußischen Morgen.

Wahr ist’s, es ist eine unsägliche Arbeit, eine Anstrengung, von welcher der Ackerbauer keine Ahnung hat. Ihm helfen Thiere verschiedenster Gattung in der Bestellung seiner Felder, der Winzer muß Alles selbst thun, umgraben und hacken (der Weinbergskarst, eine zweizinkige Hacke, wiegt bis zu fünf Pfund), häufig muß er mit Gefahr des Lebens auf abschüssigem, steilem Terrain in glühender Sonnenhitze schwere Lasten Dünger und heruntergespülten, abgeschwemmten Boden emporschleppen. So ist der rheinische Winzer wörtlich sein eigener Ackergaul und Zugstier. Dabei ereignet es sich nicht selten, daß der kleinere Producent, weil er häufig gezwungen ist, seine Ernte schon am Stock zu verkaufen, seinen eigenen Wein nicht einmal probiren, viel weniger trinken kann. Nach statistischen Notizen hacken die rheinhessischen Winzer (Rheinhessen hat zusammen 39,031 Morgen) bei dreimaliger jährlicher Behackung per Jahr circa 117,093 Morgen Weinberg mit der Hand und mit dem Karste um und beschneiden in derselben Zeit etwa einhundertsechsunddreißig Millionen Weinstöcke. Die Winzer des ehemaligen Herzogthums Nassau (zusammen 13,564 Morgen Weinberg) hacken ungefähr bei drei- bis viermaliger Behackung siebenundvierzigtausend Morgen pro Jahr und beschneiden in derselben Zeit etwa fünfzig Millionen Weinstöcke, und doch treffen diese Zahlen schließlich den kleinsten Theil des zum Weinbau angerodeten Rheinlandes.

In Frankreich wendet man in ebenem Boden wohl den Pflug an, der rheinische Winzer dagegen würde es für eine Schande halten, anders als mit seiner Hände Arbeit seine Wingerte zu bestellen. Genügsam, zufrieden mit der ihm zuwachsenden Bacchusgabe, lebensfrisch und freudig, fleißig und unverdrossen und mit der Behandlung des Rebstockes auf’s Innigste vertraut, hält er mit eiserner Consequenz an der seit undenklichen Zeit eingebürgerten Art und Weise des Rebenbaues fest.

Wie oft giebt’s aber ohne Erträgniß bleibende Herbste! Wie oft ist die aufgebotene Mühe vergeblich! Und statt des Göttertrankes erntet der Winzer nur Rachenputzer, Kutscher, Rambaß oder – Garibaldi, wie in neuerer Zeit die Säuerlinge getauft worden! Und wie, wenn ein schärferer Frost, als er am Rhein gewöhnlich, die unsägliche Mühe und Arbeit vernichtet? Denn nur vierzehn Grad Kälte kann das ausgebildete Rebholz ohne den empfindlichsten Schaden vertragen. Es ist nachgewiesen, daß es von 1626–1834, also in zweihundert und neun Jahren, nur siebenundzwanzig Hauptjahre, sechsundsechszig gute Jahre und einhundert und sechszehn Fehljahre gegeben.

Nach all’ diesen Mühen kommt nun die Zeit der Lese. In allen Rheindörfern rühren sich Männer, Frauen und Kinder, denn in der Lese greift Alles an, in der Lese giebt’s keine müßigen Stunden, keine feiernden Hände. Es werden die Bottiche und Fässer, die Bütten und Keltern gereinigt, ausgebessert und bereit gestellt. Das Reinigen der Gefäße ist des Winzers Hauptaugenmerk.

Am ganzen Rhein wird der Beginn der Lese, zwischen Anfang October und Ende November je nach der Traubenreife wechselnd, von dem Ortsvorstande in Gemeinschaft mit den größeren Besitzern auf einen bestimmten Tag festgesetzt. Zeigen sich die Traubenstiele trocken und verholzt, läßt die Traube sich leicht von der Rebe ablösen, sind die Kerne hart, die Beerenhülsen weich und durchsichtig geworden, so ist die Lesezeit gekommen. Durch die Schelle wird dann verkündet, an welchem Tage die gemeinsame Lese beginnen kann. Bis zu diesem Augenblicke sind die Weinberge – mit Ausnahme großer arrondirter Besitzungen – für Jedermann, für die ganze Orts-Einwohnerschaft, amtlich geschlossen. Verhaue und improvisirte Hecken versperren die Zugänge, Eindringlinge werden durch die Winzerschützen eingebracht und mit Geldstrafen von zehn Silbergroschen bis zu einem Thaler gebüßt. Es geschieht um der gegenseitigen – Sicherheit willen. Nur in besonderen Fällen, unter Aufsicht eines „Ehrenschützen“ wird nach eingeholter amtlicher Erlaubniß eine frühere Lese für den einzelnen Besitzer gestattet, z. B. bei Wingerten mit Frühburgundertrauben. Wie der Tag des Lesebeginns, so wird auch der Tag des Weinberg-Schlusses amtlich bestimmt.

Und nun

„Dappelt’s hinaus
Mit Mann und Maus,
Mit Kübeln und Bütten! Das Haus verläßt
Selbst Kind und Kegel bei’m Lesefest!“

Nicht gleichgültig ist’s, ob die Ortsvorstände die richtige Zeit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_695.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)