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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

sie werde sich nie zu irgend einer Mittheilung herbeilassen. … Diese Handlungsweise sollte ihr theuer zu stehen kommen, denn jetzt brach das Gewitter los, das bis dahin dumpf grollend über ihrem Haupt geschwebt hatte. Frau Hellwig war aufgestanden, sie stützte beide Hände auf den Tisch, und ihre Augen funkelten wahrhaft dämonisch aus dem farblosen Gesicht.

„Elendes Geschöpf, glaubst Du, mich schonen zu müssen?“ rief sie mit zornbebender Stimme. „Du unterstehst Dich, zu denken, ich hätte Ursache, irgend eine meiner Handlungen vor der Welt zu verbergen, und Du müßtest die Hehlerin machen, Du?“ – Sie wandte verachtungsvoll den Kopf weg und richtete ihre grauen Augen mit der wiedergewonnenen Kälte und stolzen Ueberlegenheit auf den Rechtsanwalt. „Eigentlich bin ich gewohnt, nur Gott, meinem Herrn, Rechenschaft abzulegen von meinen Thaten,“ sagte sie. „Was ich thue, geschieht in seinem Namen, zu seiner Ehre und zur Aufrechterhaltung seiner heiligen Kirche. Aber Sie sollen trotzdem erfahren, mein lieber Frank, was aus jenen ‚unschätzbaren‘ Papieren geworden ist, lediglich aus dem Grunde, damit die Person dort nicht einen Augenblick in dem Wahn bleibt, ich hätte irgendwie Gemeinschaft mit ihr. … Die verstorbene Cordula Hellwig war eine Gottesleugnerin, eine verlorene Seele – wer sie vertheidigt, der beweist nur, daß er denselben Weg wandelt. Statt zu beten um den verlorenen Frieden, betäubte sie die Stimme ihres Gewissens mit dem Gift weltlicher Musik voll sträflicher Sinnenlust. Selbst am Sonntag entweihte sie mein stilles Haus mit ihrem sündhaften Treiben; tagelang saß sie vor den unseligen Büchern, und je mehr sie sich hinein vertiefte, desto halsstarriger und unzugänglicher wurde sie für mein Bestreben, sie zu retten. … Seit jener Zeit kenne ich keinen sehnlicheren Wunsch, als diese nichtswürdige Menschenerfindung, an der Gott keinen Theil hat, und welche die Seelen vom Weg des wahren Heils verlockt, von der Erde vertilgen zu können – ich habe die Papiere verbrannt, mein lieber Frank!“

Diese letzten Worte sprach sie mit erhobener Stimme und dem Ausdruck eines unsäglichen Triumphes.

„Mutter!“ rief der Professor entsetzt und eilte auf sie zu.

„Nun, mein Sohn?“ frug sie zurück mit einer Geberde der Unnahbarkeit. Ihre ganze Gestalt streckte sich – sie stand dort wie in Erz gepanzert. „Du willst mir offenbar den Vorwurf machen, daß ich Dich und Nathanael um dies kostbare Erbtheil gebracht habe,“ fuhr sie mit unbeschreiblichem Hohn fort. „Beruhige Dich, ich habe längst beschlossen, die paar Thaler aus meiner eigenen Casse zu ersetzen – Ihr seid da jedenfalls im Vortheil.“

„Die paar Thaler?“ wiederholte der Rechtsanwalt; er bebte vor Zorn und Entrüstung. „Madame Hellwig, Sie werden das Vergnügen haben, Ihren Herren Söhnen baare fünftausend Thaler hinausbezahlen zu müssen!“

„Fünftausend Thaler?“ lachte Frau Hellwig auf. „Das ist lustig! Diese elenden, beschmutzten Papiere! … Machen Sie sich nicht lächerlich, lieber Frank!“

„Diese elenden, beschmutzten Papiere werden Ihnen theuer zu stehen kommen, wiederhole ich!“ versetzte der junge Mann, indem er sich zu beherrschen suchte. „Ich werde Ihnen morgen eine eigenhändige Notiz der Verstorbenen vorlegen, die den Werth der Handschriftensammlung auf volle fünftausend Thaler angiebt – das Bach’sche Manuscript nicht mit gerechnet; verstehen Sie mich recht, Madame Hellwig – in welch bösen Handel Sie sich durch die Vernichtung dieses in der That unschätzbaren Wertes, den Hirschsprung’schen Erben gegenüber, verwickelt haben, das läßt sich noch gar nicht absehen!“ Er schlug sich im Uebermaß der Empörung mit der Hand gegen die Stirn. „Unglaublich!“ rief er. „Johannes, in diesem Augenblick erinnere ich Dich an meine Behauptung, die ich vor wenig Wochen aufgestellt habe, – schlagender konntest Du nicht überführt werden!“

Der Professor antwortete nicht. Er war an ein Fenster getreten und wandte das Gesicht nach dem Garten. In wie weit ihn die Beweisführung seines tieferregten Freundes traf, das ließ sich nicht ermitteln.

Einen Moment schien es, als ob Frau Hellwig begriffe, daß sie muthwillig ein unabsehbares Gefolge von Unannehmlichkeiten sich selbst heraufbeschworen habe; ihre Haltung verlor plötzlich das starre Gepräge der Unfehlbarkeit und unerschütterlichen Zuversicht, und das spöttische Lächeln, das sie zu behaupten suchte, war nur noch eine Verzerrung der Lippen. Aber wie hätte je der unerhörte Fall eintreten können, daß die große Frau in die Lage gekommen wäre, irgend einen Schritt zu bereuen? Sie handelte ja stets im Namen des Herrn, da war kein Irrthum, kein Fehlgehen möglich. Sie faßte sich rasch.

„Ich erinnere Sie an Ihren eigenen Ausspruch von vorhin, Herr Rechtsanwalt,“ sagte sie kalt und förmlich; „man bezichtigt die Verstorbene mit vollem Recht der Geistesstörung – es dürfte mir nicht schwer werden, genügende Beweise dafür zu bringen. … Wer will mich denn überführen, daß jene geradezu lächerliche Werthangabe nicht im Wahnsinn niedergeschrieben worden ist?“

„Ich!“ rief Felicitas rasch und entschieden, wenn auch ihre Stimme im Widerstreit der Empfindungen bebte. „Diese Angriffe werde ich von der Todten abzuwehren suchen, so lange ich kann, Madame Hellwig! Nie mag es wohl ein gesünderes, lichtvolleres Denkvermögen gegeben haben, als sie besessen hat – meine Aussage wird freilich nicht in Betracht kommen; aber wenn es Ihnen auch gelingt, jeden Beweis für die ungetrübte Geistesklarheit der Verstorbenen umzustoßen, so sind doch noch die Mappen da, in denen die Sammlung gewesen ist – ich habe sie gerettet! Jede derselben enthält auf der inneren Seite das vollständige Inhaltsverzeichniß; bei jedem einzelnen Autographen ist mit strenger Genauigkeit angegeben, wann, von wem und zu welchem Preis derselbe angekauft worden ist.“

„Ei, da habe ich mir ja einen vortrefflichen Gegenzeugen groß gefüttert!“ stieß Frau Hellwig hervor. „Aber jetzt werde ich mit Dir in’s Gericht gehen! … Also Du hast es gewagt, mich jahrelang mit beispielloser Frechheit zu hintergehen? Du hast mein Brod gegessen, während Du mich hinter meinem Rücken verhöhntest? Von Thür zu Thür hättest Du betteln gehen müssen, wenn ich nicht war! Fort aus meinen Augen, Du ehrlose Betrügerin!“

Felicitas wich nicht von der Schwelle. Es sah aus, als wachse die zarte Gestalt unter den Vorwürfen, die zu ihr hinübergeschleudert wurden; ihr Gesicht war todtenbleich; nie aber hatte es so entschieden den unbeugsamen, furchtlosen Geist des Mädchens ausgedrückt, als in diesem Augenblick.

„Den Vorwurf, daß ich Sie hintergangen habe, verdiene ich!“ sagte sie mit bewunderungswürdiger Fassung. „Ich habe vorsätzlich geschwiegen und hätte mich lieber zu Tode mißhandeln lassen, ehe auch nur eine Andeutung über meine Lippen gekommen wäre – das ist wahr! Trotzdem stand dieser Vorsatz auf sehr schwachen Füßen – ein gutes, herzliches Wort aus Ihrem Munde, ein wohlwollender Blick allein hätten ihn umzustoßen vermocht, denn nichts widerstrebt mir mehr, als ein scheues Verbergen meiner Handlungen. … Ein sündhafter Betrug aber war es nicht! Wer würde wohl die ersten Christengemeinden Betrüger nennen, weil sie in Zeiten der Verfolgung heimlich und gegen das Verbot zusammenkamen? – Auch ich mußte meine Seele retten!“ Sie schöpfte tief Athem und ihre braunen Augen richteten sich mit einem energischen Ausdruck auf das Gesicht der großen Frau. „Ich wäre in bodenlose Nacht versunken, ohne das Asyl und den Schutz, den ich in der Dachstube gefunden habe. … An den ewig zürnenden und strafenden Gott, zu welchem Sie beten, Madame Hellwig, der eine Hölle neben sich duldet, und welcher seine Kinder zum Bösen verführt, um sie zu prüfen und dann strafen zu können, an dieses unversöhnliche höchste Wesen konnte ich nicht glauben. … Die Verstorbene hat mich zu dem Einzigen hingeleitet, der ganz Liebe und Erbarmen, Weisheit und Allmacht ist, und der allein herrscht im Himmel und auf der Erde… Der Trieb zum Lernen, die Wißbegierde lag unbesiegbar in meiner Kinderseele – hätten Sie mich verhungern lassen, Madame Hellwig, es wäre nicht so grausam gewesen, als Ihr unermüdliches Bestreben, meinen Geist zu knebeln, ja, ihn systematisch zu tödten… Verhöhnt habe ich Sie nicht hinter Ihrem Rücken, denn nie ist auch nur Ihr Name da droben über meine Lippen gekommen, aber Ihre Absichten habe ich vereitelt – ich bin die Schülerin der alten Mamsell gewesen!“

„Hinaus!“ rief Frau Hellwig ihrer nicht mehr mächtig und zeigte nach der Thüre.

„Noch nicht, Tantchen!“ bat die Regierungsräthin dringend und erfaßte den ausgestreckten Arm der großen Frau. „Du wirst doch einen so kostbaren Augenblick nicht unbenutzt vorübergehen lassen! … Herr Rechtsanwalt, Sie haben vorhin Ihrer Pflicht als ‚leidenschaftlicher Musikfreund‘ vortrefflich genügt; hiermit ersuche ich Sie, mit demselben Eifer zu inquiriren, wo die fehlenden

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