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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Fuß gestampft und sich wie unsinnig geberdet hatte, auch wachsen und ruhig aussehen könne. Jetzt stand die Erwachsene da, hoch und stolz aufgerichtet, wenn auch ihr Blick am Boden hing.

Er schritt auf sie zu und machte eine Bewegung mit dem rechten Arm – wollte er ihr auch etwa die Hand reichen, wie er bei Heinrich gethan? Ihr Herz drehte sich fast um bei dem Gedanken, die feinen Finger bogen sich krampfhaft nach der inneren Handfläche, und unbeweglich lagen die Arme am Körper, aber die Wimpern hoben sich, und ein Blick voll tödtlicher Kälte traf den ihr gegenüberstehenden Mann – so mißt ein erbitterter Gegner den anderen. Das mochte dem Professor auch sofort klar werden; er wich unwillkürlich zurück und maß scharf die ganze Gestalt von Kopf bis zu Füßen.

In diesem Moment wurde an die Thür geklopft, und gleich darauf steckte die Regierungsräthin ihr blondes, lachendes Köpfchen herein.

„Ist’s erlaubt?“ bat sie mit schmeichelnder Stimme, und ehe geantwortet werden konnte, stand sie mitten im Zimmer.

„Ah, ich komme wohl gerade recht zum peinlichen Verhör?“ fragte sie. „Meine liebe Caroline, jetzt werden Sie wohl einsehen lernen, daß es auch noch einen anderen Willen giebt, als den Ihrigen, und für den armen Wellner kommt endlich die Entscheidung.“

„Ich bitte Dich, Adele, lasse jetzt Johannes reden!“ rief Frau Hellwig kurz und ziemlich ungnädig.

„Nun, bleiben wir vorläufig bei diesem einen Punkt stehen,“ sagte der Professor. Er kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich an einen Tisch. „Wollen Sie mir sagen, weshalb Sie den ehrenvollen Antrag des Mannes zurückweisen?“

Sein ruhiges, leidenschaftloses Auge ruhte prüfend auf dem jungen Mädchen.

„Weil ich ihn verachte. Er ist ein elender Heuchler, der die Frömmigkeit als Deckmantel für seine Habgier und seinen Geiz benutzt,“ entgegnete sie fest und sicher; es galt jetzt, durch ruhige, rücksichtslose Offenheit die Schläge zu pariren.

„Gott, welche Verleumdung!“ rief die Regierungsräthin. Sie schlug in schmerzlichem Unwillen die weißen Hände zusammen, und ihre großen, blauen Augen suchten anklagend den Himmel. Frau Hellwig aber stieß ein kurzes, rauhes Lachen aus.

„Da hast Du ja gleich ein Pröbchen von der Art und Weise Deiner sogenannten Mündel, Johannes!“ rief sie. „Dies Mundwerk ist stets fertig mit Verachtung und dergleichen – ich kenne das! … Mach’s kurz! Du kommst nicht um ein Haarbreit weiter mit ihr, und ich habe keine Lust, ehrbare Leute, die in meinem Hause aus- und eingehen, lästern zu hören!“

Der Professor antwortete nicht. Während er mit der Hand langsam über den Bart strich – es war eine merkwürdig schöne, schmale Hand – hing sein Blick an der Regierungsräthin, die noch wie ein betender Seraph da stand. Es schien fast, als habe er nur ihren Ausruf gehört, seine Lippen verzogen sich ein wenig – wer vermochte in dieser eigenartigen Physiognomie zu lesen?

„Du hast ja gewaltige Charakterstudien in den wenigen Wochen Deines Hierseins gemacht, Adele!“ sagte er. „Wenn man in der Weise als Anwalt auftreten kann –“

„Um Gott, Johannes,“ unterbrach ihn die junge Wittwe lebhaft, „Du wirst doch nicht denken, daß ein besonderes Interesse –“ sie schwieg plötzlich und ein tiefes Roth schoß in ihre Wangen.

Jetzt blitzte es entschieden wie Spott aus dem Auge des Professors.

„Sämmtliche Damen, die bei der Tante aus- und eingehen, stimmen darin überein, daß Wellner ein Ehrenmann ist,“ setzte sie nach einer Pause der Sammlung entschuldigend hinzu. „Die Missionsgelder gehen durch seine Hände und die Gläubigen finden keinen Tadel an ihm –“

„Und darauf schwörst Du nun natürlicherweise,“ ergänzte der Professor kurz abbrechend. „Ich kenne den Mann nicht“ wandte er sich zu Felicitas, „und kann deshalb nicht wissen, inwieweit Ihre Anklage gerechtfertigt ist.“

„Johannes!“ unterbrach ihn Frau Hellwig gereizt.

„Bitte, Mutter, wir wollen das später allein erörtern,“ sagte er ruhig und beschwichtigend. „Zwingen wird Sie natürlich Niemand,“ fuhr er zu dem jungen Mädchen gewendet fort. „Ich habe Ihnen allerdings bis hierher nie das Recht eingeräumt, in irgend einer Angelegenheit selbst zu entscheiden, einmal, weil ich Sie unter einer Führung wußte, der ich mein unbedingtes Vertrauen schenke, und dann, weil Sie ein Charakter sind, der sich gern gefährlicher Uebergriffe schuldig macht und sich stets gegen das auflehnt, was zu seinem wahren Wohl geschieht… In dieser Frage jedoch hört meine Macht auf. Ich kann Ihnen sogar in mancher Beziehung nicht Unrecht geben, denn Sie sind jung und er steht, wie ich höre, in vorgerücktem Alter – das taugt nicht. Ein zweiter Stein des Anstoßes ist die Standesverschiedenheit; für den Augenblick wird er wohl über Ihre Herkunft hinwegsehen – später tritt in solchen Dingen gewöhnlich ein Rückschlag ein, Störung des Gleichgewichtes rächt sich stets.“

Wie klang das vernünftig und – herzlos! Er war in diesem Moment genau der Verfasser aller jener schriftlichen Maßregeln, die nie den verfehmten Boden aus dem Auge verloren, dem das Spielerskind entsprossen. Er verließ seinen bisherigen Platz und trat vor das junge Mädchen, dessen Lippen in einem bitteren Lächeln zuckten.

„Sie haben uns schwer zu schaffen gemacht,“ sagte er und hob den Zeigefinger. „Sie haben es durchaus nicht verstanden und, wie ich annehmen muß, auch nicht gewollt, die Zuneigung meiner Mutter zu gewinnen… So wie die Sachen liegen, werden Sie selbst nicht wünschen, länger hier im Hause zu bleiben.“

„Ich ginge am liebsten in dieser Stunde noch.“

„Das glaube ich Ihnen gern, Sie haben ja stets deutlich genug gezeigt, daß Ihnen unsere strenge und gewissenhafte Fürsorge unerträglich ist.“ Sein Ton hatte jetzt doch eine Beimischung von Aerger und Gereiztheit. „Es ist eben eine völlig verlorene Mühe unsererseits gewesen, die Zugvogelnatur in Ihnen unterdrücken zu wollen… Nun, Sie sollen haben, was Sie wünschen, aber ich halte meine Aufgabe noch nicht für beendet – ich will erst noch den Versuch machen, Ihre Angehörigen aufzufinden.“

„Du warst früher anderer Ansicht über diesen Punkt,“ warf Frau Hellwig spöttisch ein.

„Die hat sich im Lauf der Dinge geändert, wie Du siehst, Mutter,“ erwiderte er ruhig.

Felicitas schwieg und sah vor sich nieder. Sie wußte, daß dieser Schritt ohne Erfolg bleiben würde – Tante Cordula hatte ihn längst gethan. Vor vier Jahren war durch die Redaction einer der ersten Zeitungen ein Aufruf an den Taschenspieler d’Orlowsky und die Verwandten von dessen Ehefrau ergangen, er hatte alle namhaften Blätter durchlaufen, aber bis zur Stunde war Niemand erschienen. Das konnte das junge Mädchen freilich nicht sagen.

„Ich werde heute noch die nöthigen Schritte thun,“ fuhr der Professor fort, „und glaube, daß ein Zeitraum von zwei Monaten völlig genügt, um Aufschluß zu gewinnen… Bis dahin stehen Sie noch unter meiner Vormundschaft und im dienstlichen Verhältniß zu meiner Mutter. Sollte sich jedoch, wie ich fürchte, Keines Ihrer Anverwandten auffinden lassen, dann –“

„Dann bitte ich um meine sofortige Freiheit nach Ablauf der gestellten Frist!“ unterbrach ihn Felicitas rasch.

„Nein, das klingt denn doch zu abscheulich!“ rief die Regierungsräthin entrüstet. „Sie thun ja wirklich, als hätte man Sie in diesem Hause des Friedens und der christlichen Barmherzigkeit gemartert und gekreuziget! … Undank!“

„Sie meinen also, unseren ferneren Beistand entbehren zu können?“ fragte der Professor, ohne den Zorneserguß der jungen Wittwe zu beachten.

„Ich muß dafür danken.“

„Nun gut,“ sagte er nach einem Moment des Schweigens kurz, „nach Verlauf von zwei Monaten soll Ihnen freistehen, zu thun und zu lassen, was Sie wollen!“ Er wandte sich ab und schritt nach dem Fenster.

„Du kannst gehen!“ gebot Frau Hellwig rauh.

Felicitas verließ das Zimmer.

„Also noch ein achtwöchentlicher Kampf!“ flüsterte sie, während sie durch die Hausflur schritt. „Es wird ein Kampf auf Leben und Tod werden!“


(Fortsetzung folgt.)



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