Seite:Die Gartenlaube (1867) 378.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Willen unbedingt durchzusetzen. Seine großen Talente, seine Energie, seine Thatkraft, seine äußeren Mittel ließen ihn jedes Ziel erreichen. Und so war in ihm ein unbedingtes Selbstvertrauen erwachsen, welches den wesentlichsten Factor seiner Kraft bildete. Vor keinem Hinderniß, möge es auch noch so groß gewesen sein, war er bisher zurückgeschreckt und alle hatte er besiegt; zum ersten Male trat ihm hier nun ein unbesiegbarer Widerstand entgegen. War auch seine Liebe zu Helene durch ihr Benehmen jetzt vollständig erloschen, so konnte er den Gedanken, daß er einen einmal gehegten Wunsch aufgeben, daß er gezwungen sein solle, dies zu thun, nicht fassen. Seine ganze Natur empörte sich dagegen. „Ich bin gebrochen, geistig todt, wenn ich unterliege, mein Selbstvertrauen ist meine ganze Kraft; verliere ich dieses, gehe ich zu Grunde!“ äußerte er oft.

Und andererseits war er auf das Höchste entrüstet über das Spiel, welches man mit ihm getrieben. Ein launenhaftes Mädchen hatte ihn zu ihrem Spielball gemacht, um ihn dann, seiner überdrüssig, bei Seite zu werfen. Das war eine Verletzung, die am allerwenigsten ein Mann wie Lassalle ertragen konnte. Eine wilde Rachsucht, seinem leidenschaftlichen Naturell angemessen, erwachte in ihm. In höchster Erbitterung schrieb er an Helene einen Brief, worin er ihr ganzes Benehmen ihr vorhielt und mit einigen, allerdings für sie sehr beleidigenden Ausdrücken schloß. Abschriften dieses Briefes sandte er an Herrn von Dönniges und Herrn von Rackowicz, und Letzterer ließ ihm sofort eine Forderung zum Duell auf Pistolen zugehen.

Alle Anstrengungen und Vorstellungen seiner Freunde, das Duell abzulehnen, waren vergeblich. Sie erinnerten ihn, daß sein Leben der Wissenschaft, dem Volke, den Arbeitern gehöre, sie stellten ihm die Folgen seines etwaigen Todes für sein begonnenes Werk, die Arbeiterbewegung, vor, aber vergeblich. „Ich muß Blut sehen, ich muß mich rächen!“ mit diesen Ausrufen schnitt er alle Einwendungen ab. Ein ausgezeichneter Pistolenschütze, dachte er kaum an die Möglichkeit, selbst erschossen zu werden; es stand vielmehr unwiderleglich bei ihm fest, daß er seinen Gegner tödten werde. Ja, als er bei seinen Freunden auf heftigere Opposition stieß, gerieth er in Zorn und erklärte nur den für seinen Freund, welcher seine Zwecke ihm fördern helfe. Am 27. August, unmittelbar nach einer heftigen Scene mit den das Duell mißbilligenden Freunden, verfaßte er sein Testament. Während Janko von Rackowicz sich in den dem Duell vorhergehenden letzten Tagen beständig im Pistolenschießen übte, verschmähte er dies vollständig. „Ich werde meinen Mann schon zu treffen wissen!“ sagte er.

Ein Versuch, durch die Polizei das Duell zu verhindern, scheiterte, und so fand dasselbe am Sonntag den 28. August Morgens zwischen acht bis neun Uhr in dem Wäldchen bei Lancy auf französischem Gebiet statt. Die Duell-Punctation lautete:

„Fünfzehn Schritt fester Stand. – Schuß innerhalb zwanzig Secunden, markirt durch 1, 2, 3, Anfang, Mitte und Ende. – Glatte Pistolen mit Visir und Korn. – Haltung beliebig. – Drei Kugeln pro Mann. – Versagen gilt für Schuß. – Jedes Mal ladet derselbe Secundant beide Pistolen. – Secundanten loosen um die Reihe des Ladens. – Graf Kayserlingk und Dr. Arndt besorgen den Arzt. – Rendezvous: Omnibus-Halteplatz in Carouge sieben ein halb Uhr Morgens, 28. August. – R. 1. A. 2. B. 3. – Jeder Duellant hat in Händen seiner Secundanten einen Revers, daß er sich selbst erschossen hat, für vorkommende Fälle.

Gregor, Graf Bethlen. – W. Rüstow, Oberst-Brigadier. – Graf Eugen Kayserlingk. – Dr. Wilh. Arndt.“

Außer den Unterzeichneten war noch anwesend beim Duell Herr von Hofstetten, der gegenwärtige Redacteur des „Social-Demokrat.“ Der von Lassalle ausgestellte Revers lautet wörtlich:

„Ich erkläre hiermit, daß ich es selbst bin, welcher seinem Leben ein Ende gemacht hat.

28. August 1864.

F. Lassalle.“

Lassalle, der auf einem Auge schlechter sah, als auf dem andern, stand bei dem Duell sehr seitwärts, mit der linken Schulter nach vorn. Als er eben im Begriff war zu schießen, erfolgte der Schuß von Rackowicz. Die Kugel traf ihn in den Unterleib an der linken Seite, zerriß alle edlen Theile und ging an der rechten Seite wieder hinaus. Darauf schoß er, jedoch natürlich ohne zu treffen. Von Rüstow und Hofstetten gestützt, wurde er nach der Droschke gebracht, und so fuhr man ihn nach Genf zurück in das Hotel Victoria, Rue Montblanc.

Gepflegt von seinen Freunden lag er dort bis Mittwoch, den 31. August früh, in gräßlichsten Schmerzen. Am ersten Tage hatte er noch die Besinnung, jedoch sprach er sehr wenig. Seine Freundin, die Gräfin Hatzfeldt, wich weder Tag noch Nacht von seinem Bett; entfernte sie sich auf einen Augenblick, so frug er sofort nach ihr und wenn sie am Bett saß, mußte ihre Hand in der seinigen ruhen. Die beiden berühmten Aerzte Chelius aus Heidelberg und Billroth aus Zürich, telegraphisch berufen, trafen in Genf ein, aber auch sie erklärten, wie die Genfer Aerzte, seinen Zustand für rettungslos. Es konnte die ärztliche Kunst nur durch Milderung seiner furchtbaren Schmerzen sich bethätigen. Der Schmerz war so stark, daß sein umflortes Auge weder am Montag den 29. noch Dienstag den 30. August Jemanden seiner Freunde erkannte. Im Laufe des Dienstag Nachmittag war der Schmerz am heftigsten. Schreiber dieser Zeilen reichte ihm in Zeit von drei Stunden zweiundeinhalb Gran Morphium, und doch reichte diese ungeheure Dosis nicht hin, den Schmerz zu stillen. Tiefe Seufzer und von Zeit zu Zeit leises Wimmern waren seine einzigen Lebenszeichen. Am Mittwoch, den 31. August, früh um sieben Uhr verschied er still, noch nicht neununddreißig Jahr alt. Seine Ahnung, daß er sein vierzigstes Jahr nicht überleben werde, war also eingetroffen.

Wir sind nicht im Stande, auch nur annähernd den Schmerz seiner Freunde, seiner langjährigen Freundin, seiner aus Wien herbeigeeilten hochbetagten Mutter zu schildern. Das läßt sich nicht in Worte kleiden. Was mit ihm verloren ist, wird jetzt bereits von Denen gefühlt, die seine Bedeutung kennen, die Zukunft wird es vielleicht in noch höherem Grade offenbaren.

Am 2. September fand im Temple unique zu Genf eine großartige, von viertausend Männern französischer, italienischer, russischer, polnischer, ungarischer und deutscher Nationalität veranstaltete Todtenfeier statt. Die Emigration aller Länder war vertreten; für Herzen und Mazzini erschienen zwei ihrer Freunde, Freiligrath sandte ein Telegramm aus London und Georg Herwegh war am Todestage bereits persönlich gekommen. Vor dem mit schwarzem Tuch überhangenen Katafalk sprachen, nachdem Joh. Phil. Becker die Trauerversammlung eröffnet, Elie Ducommun im Namen der französischen, Pfarrer Wagner im Namen der deutschen Schweizer, Alfred Tronchin im Namen der Franzosen, Georg Klapka im Namen der Ungarn und Friedrich Reusche im Namen der Deutschen.

Die Leiche Lassalle’s war einbalsamirt worden und wurde in einem Zinksarge, der in einer eleganten Umhüllung von Eichenholz ruht, nach der deutschen Heimath gebracht, wo sie auf dem jüdischen Friedhof in Breslau ihre letzte Ruhestätte fand. Ein Denkmal mit einer von dem großen Philologen August Böckh in Berlin verfaßten Inschrift sagt dem Besucher, daß Ferdinand Lassalle hier ruht, und die treue Sorge seiner Freundin, der Gräfin Hatzfeldt, schmückt das stille Grab mit Blumen.




Aus deutschen Gerichtssälen.
2. Ich habe ja nichts Böses thun wollen!


Die „schwarze Bank“ in W. hat diesmal ein ganz anderes Aussehen wie gewöhnlich. Die Angeklagte, welche darauf hat Platz nehmen müssen, gehört nicht zu dem Proletariat, nicht zu der Classe der „Entsittlichten“. Sie zeigt kein durch Noth und Elend oder, was noch widerlicher ist, durch Leidenschaften entstelltes Gesicht; sie zeigt weder Furcht noch Scheu, sie zeigt nicht einmal den Ernst, den der so sehr gefürchtete Ort dringend und unabweisbar fordert.

Die jugendliche, elegant gekleidete Gestalt trägt das reizend geformte Köpfchen hoch aufgerichtet. Der Blick aus den klaren, tiefdunkeln Augen ist äußerst beweglich, er schweift lachend in dem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_378.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)