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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

‚Nun, so macht er Guano daraus an meiner Statt,‘ versetzte er mit einer so philosophischen Ruhe, daß mir vor Lachen die Thränen in die Augen traten.

Denselben Abend – er bleibt der denkwürdigste in meinem Leben – kam ein großer Entschluß in mich, welcher mir für alle Lebenszeit meine Laufbahn ebnete. In dem Wirthshause, in welchem wir nach löblicher altdeutscher Sitte einen Bruchtheil des Verdienstes dieses Tages der Fortuna opferten, trafen wir den Theaterzimmermann des New-Yorker Stadttheaters. Wir wurden kraft der Tugenden des Gerstensaftes sehr bald gute Freunde, und er erbot sich dazu, mir einen angenehmen Abend zu verschaffen, indem er mich hinter die Coulissen mitnähme, den einzigen Platz im Theater, auf welchen er Freibillets ausstellen könne.

Der Zufall wollte, daß ‚Rochus Pumpernickel‘ von Kotzebue gegeben wurde, ein Stück, in welchem ich daheim im lieben deutschen Vaterlande auf einer Liebhaberbühne schon mitgespielt hatte, und zwar in der Rolle des ersten Helden. Das kam mir jetzt zu Statten. Als ich nämlich so hinter dem Proscenium stehe, dem Beginn des Stückes entgegenharrend, höre ich den Regisseur entsetzlich fluchen. ‚Und das sagt der Bursche jetzt erst? jetzt, wo wir das Stück nicht einmal mehr abbestellen und ein anderes dafür aufführen können?‘

Ich trete hervor und erkundige mich, was es giebt.

Was es gab? – Je nun, der Darsteller des Rochus Pumpernickel war so schwer betrunken, daß er eben in der Garderobe außer Stande befunden worden war, sich in sein Costüm zu werfen. Einen Stellvertreter innerhalb des Darsteller-Personals gab es bei den damaligen so beschränkten Mitteln des New-Yorker Stadttheaters nicht. So erbot ich mich denn, die Rolle zu geben. Man machte große Augen und wollte meinen Namen wissen. Ich setzte mich auf’s große Pferd und rief: ‚Fragt mich nachher, wenn ich den Rochus Pumpernickel gespielt habe, wer ich bin!‘ Diese wenigen Worte in der Art, wie sie gesprochen wurden, haben mein Glück gemacht. Jeder der Anwesenden war sofort überzeugt, in mir stecke incognito eine der europäischen Theaterberühmtheiten. Man fragte nicht länger, man führte mich in die Garderobe.

Im dritten Acte, von wo an die Hauptthätigkeit der Titelrolle beginnt, kommt bekanntlich Rochus Pumpernickel auf einem Esel in die Residenz geritten. Die Regie des Stadttheaters hatte für einen wirklichen Esel gesorgt, um ihrem Publicum desto mehr Lachstoff zu geben. Der Esel war schon bei Tage durch eine Hinterthür auf die Bühne gebracht worden, um sich einigermaßen an scenische Darstellungen zu gewöhnen. Da aber der Weg auf die Bühne über eine kurze Treppe führte, hatte man die Unmöglichkeit bald eingesehen, ihn in so kurzer Zeit auch noch Treppen steigen zu lehren, wogegen er äußerst halsstarrig Protest einlegte, und hatte ihn über eine hölzerne Thür heraufgebracht, welche über die Treppe gelegt worden war. Dabei war es schon aufgefallen, wie hoch er die Beine hob, als ob er wüßte, daß die Treppe dennoch vorhanden wäre. Seitdem hatte er hinter dem Proscenium angebunden gestanden.

Die große Scene kommt denn endlich, wo ich, auf dem Rücken dieses Pegasus sitzend, vor dem New-Yorker deutschen Publicum erscheinen soll. Eine feierliche Stimmung überrieselte mich eiskalt vom Nacken bis zum Knie. Ich setze meinem Esel die Fersen in die Flanken. Umsonst – er rührt sich nicht. Ich streichle ihn, ich rede ihm zu, ich gebe ihm gute Worte – er geht gerade zwei Schritt, so daß er mit Kopf und Oberleib vor die Coulisse und in’s Gesichtsfeld des Publicums tritt. Hier in der Fülle des Gaslichts und unter dem dröhnenden Gelächter der Zuschauer geht ihm sein bischen Vorrath von Muth aus, und er setzt die Vorderbeine weit vorwärts, die Hinterbeine weit hinterwärts, als wollte er sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter!‘ Ich jucke ihn an den Ohren und komme dadurch ebenfalls hinter der Coulisse hervor zum Vorschein, ich kitzle ihn, ich sporne ihn – vergebens. Da steht er, ein stummer feierlicher Protest gegen Alles, was mit ihm vorgenommen werden soll.

Auf einen Wink des Regisseurs eilen zwei Theaterdiener herbei und ergreifen den resignirten Esel vorn am Gebiß, um ihn an’s Lampenlicht zu ziehen. Zwei andere ergreifen die nächsten besten Prügel und bearbeiten seine Kehrseite mit erschütterndem Nachdruck.

Man denke sich an die Stelle des Publicums, dessen Ungeduld durch das lange Ausbleiben des erwarteten Titelhelden aufs Höchste gespannt ist! Es erblickt vor sich einen halben Esel und ein entsprechendes Stück von mir. Es sieht die verzweifelten Anstrengungen der Theaterdiener vorn, es hört die gewichtigen Schläge hinten, welche den Zauber vergebens zu lösen suchen. Eine ungeheure Heiterkeit erfaßt die ganze große Versammlung. Das Gelächter wächst und wächst bis zum Sturme, bis zur Raserei. Endlich, endlich gelingt es den vier Nothhelfern und verschiedenen andern Verbündeten, den Esel bis zur ganzen Länge hervorzuschieben. In diesem verhängnißvollen Augenblicke öffnet er seine Kinnbacken mit einem Ausdruck, der ebenso viel beredte Klage über die ihm widerfahrene Mißhandlung als stolzes Bewußtsein über die Heldenthaten, welche schon Simson mit einem Eselskinnbacken zu vollbringen vermocht, darzulegen scheint, zu einem volltönenden Yah!

Es ist kein Gelächter mehr, es ist ein allgemeines Wiehern im Publicum. ‚Herr Jeses, ich sterbe vor Lachen!‘ tönen drei, vier Stimmen im hohen Discant durch das donnernde Gebrüll. Auch der Ernsteste, der bis dahin noch an sich gehalten haben mochte, mußte in dieses Gelächter einstimmen, als jetzt der Esel, offenbar durch den allgemeinen Beifall ermuthigt, das Improvisiren beginnt. Er hebt, stolz an den Souffleurkasten vorschreitend, ein Bein um das andere zu einer solchen Höhe, daß man denken sollte, er ginge auf Wolken. Er traut offenbar dem hohlen Breterboden nicht, und indem er dröhnend jeden Fuß niedersetzt, gähnt er ein Yah um das andere.

Selbst ein weniger genügsames Publicum als das New-Yorker hätte sein inniges Vergnügen an diesem Impromptu haben müssen. Hier aber kannte das Entzücken keine Grenzen. So gut hatte sich im Stadttheater noch Niemand amüsirt. Das Lachen wirkte ansteckend. Ich selbst, die Theaterdiener, die mich noch umstanden, und alle Mitspieler hinter den Coulissen, wir brachen in ein Gejohle aus, welches kein Ende nehmen wollte. War hier und da ein Theil der Zeugen im Lachen erschöpft, so begann ein anderer mit frischem Athem von Neuem, bis endlich eine ganze Anzahl der Frauen ihre Sitze verließ, um anderswo sich von der Anstrengung des Trommelfells zu erholen.

Endlich war die Ruhe wiederhergestellt; endlich konnte ich fortspielen. Ein Stümper müßte an meiner Stelle nach einer solchen Einführung ungewöhnlich Gutes haben leisten können. Ich, der auf den Bretern kein Neuling mehr war, wurde dadurch in eine so gute Laune versetzt, daß ich diesmal mich selbst übertraf und bei jedem Abtreten hinter den Coulissen von den Kunstgenossen mit aufrichtigen Glückwünschen empfangen wurde, die sich schließlich zu einer Art Begeisterung steigerten.

Das Stück war vorüber, und der Regisseur kam, Hand in Hand mit dem Bühneneigenthümer, auf mich zu, um eine feierliche Ansprache an mich zu halten:

‚Wer Du auch sein mögest, unbekannter Künstler, Du bist der Morgenstern einer neuen Aera für unsere Bühne. Sei willkommen, Komus, in unserer Mitte!‘

Ich hielt für gut, mein Incognito noch lange beizubehalten. Ich spielte es aber geschickt und war bereits ein erklärter Liebling des New-Yorker Publicums in allen komischen Rollen, ehe ich meinen wahren Namen, und daß ich noch nie für Geld gespielt habe, zu entdecken wagte. Dieser Unverschämtheit – oder wie Ihr’s nun nennen wollt – verdanke ich meine Stellung im hiesigen Bühnenleben. Ich bin wie Minerva in die Bühnenwelt hereingesprungen, nicht weil ich eine Minerva wirklich wäre, aus dem Haupte des Zeus entsprungen, sondern weil ich – obschon bei meiner Geburt nicht gerade auf den Kopf gefallen – durch den merkwürdigsten Zufall in der Welt im rechten Augenblicke meinen rechten Wirkungskreis angewiesen bekam, so daß ich an meiner Bestimmung nicht mehr irre werden konnte.“

Der Erzähler lehnte sich hier in die Sophakissen zurück, als wäre er fertig.

„Nichts da!“ rief Einer aus dem heiteren Kreise. „Sie müssen uns noch erzählen, wie Sie zu Ihrer Frau gekommen sind; denn das ist nicht das Uninteressanteste an Ihrem hiesigen Lebenslaufe.“

Er weigerte sich dessen anfänglich, weil er seine Frau nicht vorher um Erlaubniß gefragt habe, ob er dieses ihr Geheimniß ausplaudern dürfe. Aber das half ihm nichts. Die Erlaubniß, hieß es, könne er hinterher einholen; deren sei er bei einer so vortrefflichen Frau ohnehin sicher. Kurz, er mußte wiederanknüpfen.

„Ich hatte den Petrucchio in Shakespeare’s ‚Zähmung einer bösen Sieben‘ gegeben, als ich mit der Stadtpost ein duftendes Billetchen enthielt, welches ungefähr also lautete:

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