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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mehr gefeiert wird, so ist dies doch weniger bei den anderen Festen des jüdischen Kirchenjahres der Fall, vielleicht weil sie seltener erscheinen, vielleicht auch weil alte Traditionen, Erinnerungen und Beziehungen der Gemüther hier mächtiger wirken. Vor Allem zeigt sich dies an den ernsten Bußfesten im Herbste. Geht man an diesen Tagen z. B. durch die Straßen Berlins, so findet man in allen Gegenden der Stadt vom niedrigsten Trödler bis zu den prachtvollen Magazinen Gerson’s alle öffentlichen Geschäfte der Juden geschlossen. Ebenso ist es in Hamburg, Wien und Paris und besonders in den kleinen Städten. Allen europäischen Börsen sind diese Tage bekannt. Wo der Glaube ihre Beobachtung nicht mehr gebietet, wird sie von der ungebrochenen Sitte gefordert. Ein Einblick in Wesen und Feier gerade dieser Feste ist für die Kenntniß des jüdischen Lebens von großer Wichtigkeit; wir müssen darauf zurückkommen, wollen uns aber für dieses Mal nur noch mit einer und zwar mit der auf unserer zweiten Illustration dargestellten Scene beschäftigen, welche sich auf die Feier der jüdischen Ostern bezieht.

Dieses Passah- oder Peßach-(Oster-) Fest, das zum Gedächtniß an den Auszug aus dem Sclavenhause Aegypten begangen wird, ist aus diesen fast vorgeschichtlichen Zeiten her eines der hervorragendsten Hauptfeste der Juden geblieben und hat in den Jahrhunderten des Druckes und der Verfolgungen, durch das Gefühl des Triumphes und Trostes, welches die Verfolgten aus der lebendigen Erinnerung an jene Erlösung von Tyrannei und Knechtschaft schöpften, eine erhöhete und sehr poetische Bedeutung erhalten. Es weht, wie der bekannte Cremieux verschiedentlich hervorgehoben hat, ein volksthümlich-demokratischer Hauch in jener Wärme, mit dem wir Jahrtausende hindurch ein zerstreutes und so vielfach mißhandeltes Volk alljährlich unter allen Leiden zu einer Feier zurückkehren sehen, welche einer einstmaligen Befreiung aus den Banden eines übermüthigen Despotismus gewidmet ist. Doch neben dieser freundlichen Erinnerung bietet das Fest dem denkenden Juden der neueren Zeit auch eine sehr ernste und wehmüthige. Denn an diesem Tage sind zu verschiedenen Zeiten und an den verschiedensten Orten einst Tausende seiner Väter und Mütter in ihren Wohnungen überfallen und hingemordet worden, weil Fanatiker oder Böswillige das damals schon gründlich widerlegte Märchen ausgesprengt hatten, daß sie, die nicht einmal einen Tropfen Thierblut genießen dürfen, des Blutes christlicher Kinder zur Feier gerade dieses Festes bedürften!

Schon Wochen vorher beginnen die Rüstungen dazu und liegen den mit besonderer Scheu und Zähigkeit an dem betreffenden Ceremoniell hängenden Frauen ob, während die Männer nur recht weit ihre Geldbeutel zu öffnen haben. Denn es ist ein kostspieliges Fest, auch dadurch, daß den Mittellosen von den Einzelnen sowohl, als aus Gemeindemitteln Alles reichlich umsonst gegeben wird, was zur würdigen Begehung desselben nöthig ist. In jedem Hause ist für die ziemlich neuntägige Festzelt im Voraus der ausreichende Bedarf an ungesäuerten Kuchen (Mazzoth) zu schaffen, die sich in der traditionellen Form, wie wir sie jetzt noch sehen, gewiß aus dem allergrauesten Alterthum herschreiben; es muß ferner für dieselbe Zeit, als ob man eine Belagerung oder Hungersnoth erwarte, selbst in sonst sehr frugal lebenden Familien Küche und Keller mit hinlänglicher Proviantirung, namentlich von Allem versehen werden, was an Speisen und Getränken, an kostbaren Erfrischungen und Leckereien dem Genusse nicht verboten ist.

Das weitläufige Ceremoniell des Festes soll hier nicht berührt werden; die meisten Bestimmungen desselben, auf welche die Talmudisten all’ ihren Scharfsinn verwendet haben, erscheinen unserem heutigen Sinne unbegreiflich, unverständlich, ja lächerlich. Und dennoch war das beabsichtigte Gesammtresultat wiederum ein gutes, indem ein über die ganze Judenheit der Erde gleichmäßig sich verbreitendes, die Gemüther erhebendes, wahrhaftes Gemeinde- und Familienfest geschaffen und erhalten wurde. Und wenn ein Jude aus der Wüste Sahara oder von den Ufern des Mississippi, aus Persien oder aus Kairo und Tunis in dieser Zeit in eine Gemeinde tritt, wird er der Geschäftigkeit der jüdischen Frauen ansehen, daß sie „Peßach machen“, wie es eben überall beobachtet und hergerichtet wird.

Erst am Abend vor dem Rüsttage sind die Vorbereitungen beendigt, dieser selber gehört von Morgens neun Uhr an schon halb und halb zum Feste. Die Hausfrau ist nur noch im besten Zimmer ihrer Wohnung mit der Anordnung des Tisches für den Abend, den glänzendsten Abend des Judenthums, beschäftigt. Wie sehr auch der Sabbath und andere Feste durch freundlichen Schmuck geehrt werden, für dieses Fest und namentlich für diesen ersten Abend desselben wird in den Schränken des Reichsten wie des Aermsten doch das Kostbarste und Funkelndste an Leuchtern und Kelchen, an Gedecken und Geschirren bereit gehalten und nachher sorgfältig wieder verschlossen, um ein Jahr hindurch nicht benutzt zu werden. Wer jemals ein solches Zimmer, einen solchen Tisch gesehen, diesen Abend in einem „frommen“ Judenhause verlebte, wird gewiß den eben so ernsten wie freundlichen Eindruck nicht wieder vergessen und zu der Ansicht gelangt sein, welche einst Goethe in Bezug auf ihm fremde religiöse Gebräuche zur Fürstin Gallitzin geäußert hat: „Mir fällt es nicht schwer,“ sagte er, „mit einem klaren unschuldigen Blick alle Gegenstände zu beachten. Manches, was ich nicht gerade billige, mag ich gern in seiner Eigenthümlichkeit erkennen; da zeigt sich denn meist, daß die Anderen eben so recht haben, nach ihrer eigenthümlichen Art zu existiren, als ich nach der meinigen.“

Je näher der Abend (er heißt der Seder-Abend) kommt, desto freudiger schlagen ihm die Herzen entgegen. Endlich ist der Abendgottesdienst beendigt und der Hausvater – wir denken an einen schon bejahrten vermögenden Mann – tritt in das hell erleuchtete Zimmer, wo er von Söhnen, Töchtern, Enkeln und Gästen erwartet und herzlich begrüßt wird. Es beginnt die oben bereits erwähnte Ceremonie des Segnens, dann tritt Schweigen ein, der Greis wandelt langsam, leise Danksprüche murmelnd um die blinkende Tafel, an deren Mitte sich sein Patriarchenthron, ein reich und weich mit Teppichen, Decken und Polstern drapirter Sessel befindet, auf dem ein schneeweißes Gewand liegt, sein Sterbehemd, mit dem man ihn einst in die Erde legen wird und das er auch am Versöhnungstage in der Synagoge trägt, wie heut Abend an seinem funkelnden und strotzenden Tische. Und wenn der junge Enkel, überrascht durch diese Umkleidung, die Mutter nach der Bedeutung derselben fragt, erhält er sicher die Antwort: „Damit wir auch in unserer Freude nicht vergessen, daß wir einst sterben müssen.“

Hat das Haupt der Familie Platz genommen, so kommt eine Tochter des Hauses mit silbernem Becken und gleicher Kanne daher und begießt nach orientalischer Sitte dem Vater drei Mal die Hände. Dann, nachdem auch die Anderen sich niedergelassen und die auf ihren Plätzen liegenden Gebetbücher zur Hand genommen haben, deutet er mit der Hand auf die drei Osterkuchen, welche vor ihm auf einer Schüssel liegen, und sagt: „Solches Brod aßen unsere Väter im Lande Aegypten … wer Hunger hat, möge kommen, es mit uns zu theilen – wer es braucht, möge sich hier satt essen …“

Die rituelle Feier, welche in einer von symbolischen Gebräuchen begleiteten, von Beziehungen auf die spätern Schicksale der Juden unterbrochenen Erzählung des Auszugs aus Aegypten besteht und die zu schildern hier nicht der Ort ist, zerfällt in zwei Theile. Nach Beendigung des ersten wird unter fröhlicher Geselligkeit das gewöhnlich sehr splendide Mahl eingenommen und nachher wieder mit Psalmensingen und verschiedenen Ceremonien fortgefahren, so daß die Festlichkeit oft erst um Mitternacht beendigt ist. In angeregtester Stimmung und dem muntersten Geplauder gehen die Leutchen dann auseinander, als ob sie von einem Ball, einem lustigen Gelage kämen. Ist doch nach langem Winter und manchem Familienungemach der erste Act eines ihrer liebsten Feste mit erbaulicher Würde begangen worden. In dieser ungetrübten Weltfreude, bei aller Frömmigkeit und Innigkeit des Gemüths, liegt das Eigenthümliche, das Meister Oppenheim auch auf dem Bilde, welches die genannte Feier zeigt, so anmuthig zur Anschauung gebracht. Man sieht, es ist in diesem Augenblicke nicht von theologischen Dingen die Rede, es muß ein für das Familienleben und die liebliche Tochter sehr zartes Thema berührt worden sein, vielleicht eine artige Anspielung des als Gast anwesenden Rabbiners auf den leer neben ihr stehenden Stuhl, der im nächsten Jahre vielleicht schon einem neuen Mitgliede des Hauses bestimmt sein wird.

A. F–l.



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