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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

an, den man in Deutschland öffentlich sogar als die Quelle eines neuen Proletariats bezeichnen durfte, das ist der Kreis derjenigen schriftstellerischen Thätigkeit, die selbst und allein ihren Mann ernähren soll, deren Mitglieder den besonderen Stand der Schriftsteller bilden, der Männer, die ausschließlich vom Ertrag ihrer Feder leben, zum Unterschied von denjenigen Verfassern von Schriftwerken, welche ihren festen Unterhalt vom Staat oder aus einem Geschäft beziehen und nur ihre Mußestunden zu schriftstellerischem Verdienst ausnutzen.

Das Autoren-Proletariat ist übrigens keine neue Erscheinung, nur beschränkte es früher sich auf „die armen Poeten“, deren Dachstuben-Elend so manche rührende Schilderung veranlaßt hat. Diese Art von Jammerbildern ist seltener geworden, seitdem das Mitglied mit ihnen durch nüchterne Lebensanschauung beseitigt ward. Niemand ist gezwungen, „brodlose Künste“ zu treiben, und zu diesen gehört gegenwärtig die Lyrik. Die Zeit des Massenbedarfs von Versen ist vorüber, ein Erwerbszweig daraus nicht mehr zu machen, und wer weiter nichts beginnen wollte, als Verse schreiben, hätte die Schuld der Folgen davon sich selbst zuzuschieben – Anders verhält es sich mit dem Mann von Wissen und praktischem Blick, der mit seiner Feder in das volle Leben eingreift, der für das Bedürfniß der Zeit arbeitet und mit dem öffentlichen Streben Hand in Hand vorwärts geht. Ein solcher Schriftsteller sollte wohl hinsichtlich seiner bürgerlichen Stellung mit einem Geschäftsmann oder höheren Beamten in Parallele gebracht werden dürfen. Ziehen wir aber diese Parallele, was finden wir? Daß der Geschäftsmann und Beamte, bei fünf bis sechs Stunden täglicher Arbeitszeit, mindestens ebenso viele Tausende von Thalern, als der Schriftsteller in acht bis zehn Stunden Hunderte erwirbt; daß der Schriftsteller im kümmerlichen Emporringen bis zum „Bekanntwerden“ nur zu oft den besten Theil seiner Kraft und Gesundheit opfern muß, während der Andere in geregelten, gleichsam behaglichen Verhältnissen sich ausbildet; daß der Geschäftsmann im Alter die reichen Früchte seines Strebens erntet, der Beamte der sichern Versorgung durch die Pension entgegensieht – der Schriftsteller dagegen bis zur allerletzten Möglichkeit auf seine eigene Kraft angewiesen bleibt und, nachdem diese dann vollständig erschöpft und zerrüttet ist, wohl kaum eine andere Aussicht erblickt, als die der Wohlthat – das sind freilich allbekannte Wahrheiten. Wenn gleichwohl ein deutscher Schriftsteller wenigstens das Recht hat, selbst in der traurigsten Lage für das Mitleid anderer Leute zu stolz zu sein, so kann er das Mitgefühl seiner Nebenmenschen doch nimmer entbehren.

Unter den zeitgenössischen deutschen Schriftstellern ist Beta einer der bekanntesten. Seine Beiträge in der Gartenlaube und vielen anderen namhaften Zeitschriften haben seinen Namen in jeden Kreis der deutschen Leserwelt getragen. Jetzt liegt er bereits seit fast zwei Jahren krank, elend und arbeitsunfähig auf dem Schmerzenslager. Vor den Tausenden unserer Leser sei es uns nun vergönnt, im Sinne des oben Gesagten eine Lebensskizze dieses Mannes aufzurollen. Und wohl mit Zuversicht dürfen wir darauf rechnen, daß unter den zahllosen Lesenden, die durch Beta’s Feder im Laufe der Zeit belehrt, angeregt, mindestens hin und wieder einmal erheitert worden, recht Viele sich befinden, die ihm ihre Theilnahme nicht versagen werden, jetzt, da er einsam, unglücklich und von aller Welt verlassen sich fühlt. Wenn wir in diesem Lebensabriß aber auch recht viel Trübes zu berichten haben, so verwahren wir uns doch von vornherein dagegen, daß wir an das Mitleid zu appelliren gedenken.

Beta, wie Dr. Heinrich Bettzich sich als Schriftsteller nennt, ward am 23. März 1813 zu Warben bei Delitzsch geboren. Seine wissenschaftliche Bildung erhielt er in Halle, erst in der Frankischen Stiftung, dann auf der Universität daselbst, wo er 1834 bis 1838 Philologie, Philosophie und Naturwissenschaften studirte, besonders beeinflußt durch Ruge’s philosophischen Radicalismus. Im Jahre 1838 ging Beta nach Berlin, wo er die Redaction des literarisch-kritischen Theils von Gubitz’ „Gesellschafter“ übernahm und zehn Jahre hindurch führte. Seine erste größere Schrift war „Das Jubeljahr 1840 und seine Ahnen,“ in welcher er den ganzen mehr als tausendjährigen Culturgehalt des Christen- und Germanenthums entwickelte, und dessen Ergebnisse und weitere Entwickelungsformen dem Könige Friedrich Wilhelm dem Vierten an’s Herz zu legen suchte; das Buch ward, obgleich unter der Censur erschienen, confiscirt.

Später beschäftigte Beta sich besonders mit socialen Fragen und wurde eifriges Mitglied des Freihandels-Vereins, der sich um 1846 in Berlin bildete. Die Lehren, welche im Vereine von Director Noak, John Prince-Smith, Stein und Anderen dort vorgetragen und erörtert wurden, die kostspieligen Verirrungen der Schutzzöllner, welche die Nation jährlich mit Millionen Thalern bezahlen muß, veranlaßten ihn, dies ganze Gebiet der praktischen Freiheit in einem besondern „Freihandels-Katechismus“ zusammenzustellen und außerdem der Handelsfreiheit manch begeistertes Wort zu reden. Dies Letztere hat er seitdem in den verschiedensten Formen und nach allen Seiten hin immer wiederholt und damit wohl wesentlich dazu beigetragen, daß jetzt nur noch in wenigen interessirten oder schwachen Köpfen diese praktische Freiheit Gegner findet.

In den vierziger Jahren redigirte Beta längere Zeit die „Staffette“ und gab in mehreren Heften „Physiologie Berlins“ heraus, in denen er schon damals auf die gesundheitlichen und ästhetischen Bedingungen der Städtevergrößerung energisch aufmerksam machte. Ferner übersetzte er die „Nibelungen“ als Volksbuch im Versmaße und Reim des Urtextes (mit Holzschnitten von Gubitz), den „Reinecke Fuchs“ und mehrere andere alte Volksbücher, die in einer zusammenhängenden Reihenfolge erscheinen sollten; aber der Verleger nahm sich in einem Anfalle von Wahnsinn das Leben, so daß das Unternehmen abgebrochen ward und Beta das ganze Honorar verloren ging.

An der Revolution von 1848 betheiligte er sich nicht; er bemühte sich vielmehr durch zahlreiche Placate, wie sie damals Mode waren, und Flugblätter das Seinige dazu beizutragen, daß man aus den politischen Zerwürfnissen herausgelange und den praktischen Boden der Freiheit, der Cultur, des Handels und Wandels wieder auf- und auszubauen vermöge.

In einer politischen Broschüre, in welcher die Prophezeiung der Kreuzzeitung: „Die rothe Fahne wird über ganz Europa wehen,“ dahin beleuchtet ward, daß es allerdings so weit kommen könnte, wenn man das Volk weder zufrieden stelle noch zufrieden lasse, fand der Staatsanwalt Anreizung zum Hochverrath und andere Verbrechen – welche zwei bis neun Jahre Zuchthaus bringen konnten. Dies veranlaßte den Verfasser, nach manchen Zweifeln und Schwankungen sich der angedrohten Strafe durch die Flucht nach London zu entziehen. Dort las er einige Wochen später in den Zeitungen, daß er in Abwesenheit und ohne Vertheidigung von dieser fabelhaften Beschuldigung freigesprochen und nur eines untergeordneten Preßvergehens wegen zu sechs Monaten Gefängniß verurtheilt worden sei.

In London fand er – es war 1851 – durch die erste große Weltausstellung volle Freiheit und gar reges Leben, die erste großartige Verwirklichung seiner Ideale, kosmopolitisches Streben, friedlichen Verkehr und Wettstreit aller Völker mit einander, olympische Spiele der ganzen productiven Weltcultur im ersten Eisen- und Krystalltempel des praktischen Kosmopolitismus. Auch Beschäftigung fand er, an der deutschen Ausgabe der „Illustrated London News“, die aber durch das Ungeschick des Redacteurs bald wieder zu Grunde ging. Einige Arbeiten für deutsche Verleger gewährten ihm die Mittel, sich durch Etablirung eines kleinen kaufmännischen Geschäfts den nöthigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. Doch kostete es ihm und seiner Frau manch harten Kampf und manche Entbehrung. Durch die Flucht des Hausmiethers, von welchem er seinen Laden übernommen hatte, kam er schon nach einem halben Jahre in die Lage, das ganze Geschäft wieder aufgeben zu müssen und die Früchte harter Arbeit zu verlieren. Er kehrte jetzt wieder völlig zur Literatur zurück, in welcher er sich besonders durch Beiträge für die „Gartenlaube“ und das „Magazin für die Literatur des Auslandes“ während seines ganzen zehnjährigen Aufenthaltes in London, mit besonderem Eifer und Erfolge aus dem Reichthum und der Fülle von ausländischen und englischen Culturstoffen schöpfend, hervorthat. Er ward dadurch für Deutschland ein allgemein anerkannter, fleißiger Importeur von fremden Gütern, zum Nutzen, zur Belehrung und zum praktischen Gewinn seiner Leser.

Wir können, des beschränkten Raumes halber, hier auf seine Thätigkeit in den vielen Organen, deren fleißigster Mitarbeiter er war und geblieben ist, so lange seine Kräfte reichten, nicht weiter eingehen, dürfen aber wohl hoffen, daß die aufmerksamen Leser und Leserinnen der „Gartenlaube“ sich seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_191.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)