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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gesammteigenthum der Mitglieder ist und bei eintretenden Verlusten soviel möglich verhüten soll, daß auf die Geschäftsantheile zurückgegriffen werden muß: würden die Geschäfte der Vereine jeder soliden Grundlage entbehren und das Publicum, welches mit ihnen in Verbindung träte, ebenso wie ihre Mitglieder selbst in hohem Grade gefährdet sein. Deshalb mußte in einer auch den Unbemittelten möglichen Weise durch kleine Monatsbeisteuern von wenigen Groschen für die allmähliche Ansammlung eines solchen Capitals gesorgt werden, das noch außerdem durch die Zuschreibung der Dividende anwächst, in welcher zugleich ein höchst wirksamer Sporn zur Erhöhung des Eifers in Verstärkung dieser Beiträge gegeben ist, weil eben die Theilnahme an der Dividende sich nach der Höhe des von den einzelnen Mitgliedern auf ihre Geschäftsantheile Eingezahlten richtet. Indessen hieße es einen Hauptzweck der Genossenschaften verfehlen, sich auf diese immer erst im Laufe der Zeit und nach und nach in Fluß kommende Geldquelle zu beschränken. Zur vollständigen Befriedigung des Capitalbedürfnisses der Mitglieder genügt dieselbe nur etwa bei Vereinen, wie es deren einzelne giebt, die ausschließlich aus unselbstständigen Lohnarbeitern bestehen und daher wenig Capital bedürfen. Im Allgemeinen beweist der durchaus ungenügende Verkehr der nur mit eignem Capital wirthschaftenden Sparvereine, daß es für unsere Vereine immer eine Aufgabe von hervorragender Wichtigkeit bleibt, fremdes Capital an sich heranzuziehen und so dem Kleinverkehr dieselben Geldquellen zu eröffnen, welche bisher ausschließlich dem Großverkehr offen standen und diesem zum Theil seine Ueberlegenheit sicherten, da er, blos auf das eigne Capital der Unternehmer verwiesen, nicht halb die Macht entwickeln würde, mit der wir ihn auftreten sehen.

Zu diesem Behufe gilt es, eine Creditbasis zu organisiren, welche das Publicum bewegt, zur Anlage seiner Baarschaft unsere Vereinscassen als sicher und bequem zu betrachten, und dies ist in den Vorschußvereinen durch die solidarische oder persönliche Gesammthaft aller Vereinsmitglieder für die vom Vereine angeliehenen Gelder und eingegangenen Verbindlichkeiten in überraschender Weise gelungen. Dem unbemittelten Arbeiter und Gewerbtreibenden versagt sich, wenn er vereinzelt auftritt, regelmäßig der Credit oder wird ihm nur höchst ungenügend und unter den ungünstigsten Bedingungen zu Theil. Denn die Verwerthung seiner Arbeitskraft, welche so zu sagen seinen ökonomischen Werth ausmacht und das einzige Mittel ist, seinem Gläubiger gerecht zu werden, hängt von zu vielen Zufälligkeiten ab, welche der Arbeiter nicht in der Gewalt hat und die sich jeder Controle des Gläubigers entziehen, weshalb sie keine Sicherheit für die Capitalanlage bietet. Dies ändert sich jedoch, sobald größere Gruppen von Arbeitern und Gewerbetreibenden sich verbinden und den Ausfall, den die Gläubiger etwa bei Einzelnen erleiden könnten, durch Einstehen Aller für Einen und Eines für Alle übertragen, indem die Vertheilung desselben auf Viele die Vertretung weniger lästig macht. Und in solchem Maße hat sich die auf diese einfachen Principien gegründete Organisation bei unsern Vereinen bewährt, daß dieselben fast ohne Ausnahme sich im Vertrauen des Publicums in der kurzen Zeit ihres Bestehens so zu befestigen vermochten, daß sie ihren Geldbedarf in Anlehen und ihnen freiwillig zugebrachten Spareinlagen reichlich zu decken vermochten.

Die Belege hierfür liefert der letzte im vorigen Jahre publicirte Jahresbericht des Verfassers für 1865 zur Genüge.

Bereits konnten in demselben als nach seinem System operirende Genossenschaften in Deutschland[WS 1]

961 Vorschuß- und Creditvereine,
199 Rohstoff-, Magazin- und Productiv-Genossenschaften in einzelnen Gewerken,
157 Consumvereine, also
1317 Vereine speciell nachgewiesen werden.


Zu ihnen treten täglich neue, so daß die Gesammtzahl gegenwärtig 15–1600, die Mitgliederzahl gegen 400,000 zu veranschlagen ist. Die von den Vereinen gemachten Geschäfte beliefen sich im letzten Jahre auf 80–90 Millionen Thaler, der Cassenumsatz auf mehr als das Doppelte. Als Anhalt für diese Zahlen dienen die speciell im Jahresberichte aufgenommenen und tabellarisch geordneten Rechnungs-Abschlüsse von 498 Vorschuß- und Credit-Vereinen, mithin etwa der Hälfte derselben, bereits für das Jahr 1865, welche, mit einem Mitgliederbestande von 169,595, im besagten Jahre über siebenundsechszig und eine halbe Million Thaler an Vorschüssen ausgegeben haben. Die Steigerung, welche stetig sowohl in den Geschäften, wie in der soliden Begründung der Vereine statt gefunden hat, ergiebt eine kurze tabellarische Zusammenstellung, welche bis zum Jahre 1859 zurückgeht und dem Jahresberichte S. 8 eingefügt ist. Darnach hat sich die Zahl der dem Verfasser bekannten Vereine seit dem Jahre 1859 bis Ende 1865 von 183 auf 961 vermehrt. Während 80 Vereine, die im Jahre 1859 ihre speciellen Rechnungsabschlüsse eingesendet haben, ein eigenes Vermögen in Geschäftsantheilen und Reserven von 276,846 Thaler angesammelt, 1,014,145 Thaler fremde Gelder in Anlehen und Spareinlagen aufgenommen und damit 4,141,436 Thaler Vorschuß-Geschäfte gemacht hatten, belaufen sich diese Zahlen bei 498 Vereinen, von denen die Rechnungsabschlüsse von 1865 vorliegen, für dieses Jahr auf: 4,852,558 Thaler an eigenem Fond, 17,656,776 Thaler an eingelegten fremden Capitalien und 67,569,903 Thaler an gemachten Vorschuß-Geschäften.

Demnächst erscheinen einige Bemerkungen über die Productivgenossenschaften am Platze, um manche höchst verkehrte Vorstellungen hierüber zu berichtigen.

Sicher liegt in der Productivgenossenschaft, d. h. in der Vereinigung einer Anzahl von Kleinmeistern oder Lohnarbeitern zur Gründung und zum Betriebe eines Geschäfts im Großen für gemeinsame Rechnung, die höchste Form der Genossenschaft vor, welche am nächsten und unmittelbarsten an die Lösung der socialen Frage herantritt. Zugleich ist sie aber auch die schwierigste, welche die größten Anforderungen an ihre Mitglieder stellt, sowohl an ihre Einsicht wie an ihre sittliche Kraft. Es ist daher ein großer Fehlgriff, zur Bildung solcher Genossenschaften unvermittelt und ohne ausreichende Vorbereitung zu schreiten, welche für die unerläßliche Capitalansammlung so wie für Ausbildung in geschäftlichen Kenntnissen und praktischer Routine zu sorgen hat. Wie viele Opfer und Mühen die Durchführung solcher Unternehmungen erfordert, beweist ihre Geschichte in England und Frankreich zur Genüge, und die Erfahrungen bei uns bestätigen dies durchaus. Ist es in den meisten Fällen doch den Mitgliedern unmöglich, sich die Fähigkeit zur Einrichtung und Leitung eines größeren Geschäfts anzueignen, ohne daß sie sich vorher allmählich in kleineren Verhältnissen vorbilden und einarbeiten. Auch der technisch tüchtigste Arbeiter bringt die Uebersicht über das Ganze eines industriellen Unternehmens in großem Maßstabe aus der Werkstätte nicht ohne Weiteres mit. Ja, selbst an dem rechten genossenschaftlichen Geiste fehlt es nur gar zu sehr unter der Mehrzahl der Arbeiter, denen das Aufgehen in der Gesammtheit, die Unterordnung unter eine feste, aus ihrer eigenen Mitte hervorgegangene Leitung, ohne welche die Sache doch gar keinen Bestand hat, noch äußerst schwer wird. Und was sollen wir erst von der Beschaffung des unentbehrlichen Gründungs- und Betriebsfonds sagen, die doch eine längere Zeit zur Ansammlung aus allmählichen Ersparnissen erfordert? Denn wenn man auch beim Geschäftsbetriebe auf Credit angewiesen ist und diesen sich in der Eingangs gedachten Art, mittels der Solidarhaft, verschafft, so muß doch das Geschäft selbst bestehen und sich äußerlich vor dem Publicum als lebensfähig darstellen, wenn dieses zu Creditgewährung sich entschließen soll. Deswegen müssen die Mitglieder mindestens so viel unter sich zusammenbringen, daß sie die erste Geschäftseinrichtung davon bestreiten, die ersten Anzahlungen auf Baulichkeiten, Maschinen, Werkzeuge machen können. Und so viel an Capital kann eine größere Anzahl von Arbeitern in einigen Jahren recht wohl zusammen sparen und muß es, ehe sie mit irgend einiger Aussicht auf Erfolg das Geschäft eröffnen kann. Denn nur so gewinnt man die nöthigen materiellen Garantieen und beweist zugleich den erforderlichen Grad von Einsicht und sittlichem Halt, um das Vertrauen des Publicums und somit Credit für den weiteren Geschäftsbetrieb zu erlangen.

Am füglichsten wird sich dies Alles erreichen lassen, wenn man, wie in England, mit den niedern Stufen der Vergesellschaftung beginnt, wie wir dies schon andeuteten. So werden die Rohstoff- und Magazin-Vereine als treffliche Vorschulen zu Productivassociationen solcher Kleinmeister dienen, welche aus dem handwerksmäßigen in den Fabrikbetrieb übergehen wollen, indem sie die Capitalansammlung regeln, die Kenntniß der Bezugs- und Absatzquellen sowie Geschäftsroutine und Erfahrungen für größere Unternehmungen vermitteln. Andererseits erscheinen die Consumvereine in denselben Beziehungen besonders geeignet, die Production

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Deuschland
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)