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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

übrig; beide Väter waren gegen die Verbindung und verheiratheten ihre Kinder so bald wie möglich in einer ihnen mehr zusagenden Weise. Die jungen Leute mußten sich in dies Geschick finden und fanden sich auch darein, nur gab es Stimmen, welche behaupteten, daß Leopold’s oben erwähnte Unbeständigkeit, seine Neigung zu den Frauen und die schrankenlose Ausnützung des Glücks, das er bei denselben haben sollte, erst von jener Zeit an bei ihm bemerklich geworden seien.

Des Barons Ehe war keine unglückliche. Die Gatten hatten keine Ansprüche auf ein ausschließliches Gefühl, auf besondere Herzenswärme erhoben; sie waren äußerlich in ungestörter Harmonie, im Stillen Jeder für sich den eigenen Weg gegangen und hatten Sorge getragen, daß derselbe den des Anderen nicht unnöthig kreuze. Und als die Dame nach zwanzigjähriger Ehe starb, betrauerte Leopold sie aufrichtig und hielt ihr Andenken stets in Ehren.

In der nächsten Zeit folgten im Leben des Barons Ereignisse, welche die Vorzüge und die Mängel seiner Natur im hellsten Licht zu zeigen schienen. Es war am Hofe kein Geheimniß, daß eine anmuthige und liebenswürdige, unvermählt gebliebene Prinzessin dem stattlichen, geistvollen Mann eine ernste Neigung zugewendet und daß Leopold sich dagegen keineswegs unempfindlich gezeigt habe. Der regierende Herr begünstigte dies Verhältniß seit dem Tode der Frau von Treuenstein sichtbar; trotzdem aber gedieh dasselbe nicht zu dem erwarteten Schluß. Der Baron verlobte sich plötzlich mit der seit Kurzem gleichfalls verwittweten Geliebten seiner Jugend und führte sie wenige Monate später als Gattin in sein Haus. Sein Auftreten den Herrschaften gegenüber sollte das ehrenvollste und schicklichste gewesen sein und mußte jedenfalls befriedigt haben. Eine Abnahme der Gunst wurde nicht bemerklich, im Gegentheil erstreckte sich dieselbe alsbald auch auf die neue Baronin.

Die Verbindung der beiden alten Getreuen schien eine sehr glückliche zu sein; man sah Beide einander mit einer Herzenswärme, mit einer Liebesinnigkeit zugethan, die man dem Baron zum mindesten kaum recht zugetraut hatte, und Beide verhehlten nie und nirgends eine tief innere, glückliche Befriedigung, welche nicht nur die Ihren, sondern auch ihre gesammte Umgebung für die „so lange und hart Geprüften“ erfreuen und mit Zutrauen an die Dauer ihres Glücks erfüllen mußte. Trotzdem tauchten bereits nach einem Jahre hier und da Gerüchte auf, nach denen Glück und Frieden dieser Ehe auf das Bedenklichste gefährdet sein sollten. Man flüsterte sich von der Wiederanknüpfung alter Verbindungen, ja von einer neuen Liaison zu, welche den Baron der kaum gewonnenen Gattin entzöge, und man wollte wissen, daß Frau von Treuenstein solche Ausschreitungen mit nichts weniger als Gleichgültigkeit aufnehme. Es sollte schon zu traurigen Scenen gekommen sein.

Da indessen solche Scenen keinen Augenzeugen gehabt zu haben schienen und selbst die Vertrautesten keine andere Abnahme der Herzlichkeit beider Gatten bemerken konnten, als diejenige, welche durch die Dauer und Sicherheit des Besitzes zu einer erklärlichen und natürlichen wurde; da es endlich nirgends zu einem sogenannten Eclat kam, schwiegen die Gerüchte nach einer Weile wieder, traten aber leider von Neuem und bestimmter auf, als die Baronin nach dreijähriger Ehe bei der Geburt ihres einzigen Kindes plötzlich starb. Man glaubte diesen Todesfall durch die Entdeckung einer neuen, der armen Frau Gott weiß wie bekannt gewordenen Untreue des Gatten veranlaßt.

Allein eine Bestätigung dieser traurigen Sage ergab sich auch jetzt nicht. Wenn überhaupt Jemand existirte, der Genaueres und Wahres von der Sache wußte, so bewahrte er das gewissenhafteste Schweigen, und das Benehmen des Barons Leopold selber widersprach dem Gerüchte sogar auf das Entschiedenste. Der Verlust der Gattin war für den stolzen, kraftvollen Mann sichtbar ein niemals überwundener Schlag, und so wenig er seine tiefe Trauer zur Schau trug, so wenig wich er zurück, wo eine Aeußerung derselben natürlich war.

Dies zeigte sich am deutlichsten bei der Taufe der armen verwaisten Kleinen. Sie solle die Namen der geliebten Seligen erhalten, sagte der Vater mit Thränen in den Augen zu dem Geistlichen, gerufen solle sie aber „Esperance“ werden. „Denn in ihr,“ fügte der Baron hinzu, „vereinigt sich meine Hoffnung auf die Wiedervereinigung mit derjenigen, die sie mir als höchstes Pfand ihrer Liebe hinterlassen, und die andere, daß dies geliebte Kind das Glück und Licht meines Lebensabends sein werde.“

Es war fast, als habe der Baron mit diesen Worten etwas Prophetisches ausgesprochen, denn es folgte eine Zeit, in der das Glück, das ihm bisher treu geblieben, ihn, wie die Meisten es ansehen möchten, verlassen zu wollen schien, im Grunde freilich durch seine eigene Schuld. Denn die Kehrseite seiner Natur und seines Charakters war aller Welt niemals so sichtbar geworden, wie in diesen nächsten Jahren. Der Herr erschien zuweilen wie ausgetauscht; es zeigte sich eine Verbitterung, eine Härte und Schroffheit an ihm, wie man sie bisher nur in seltenen Fällen und nur als eine augenblickliche beobachtet hatte; er widersetzte sich, im schärfsten Widerspruch mit seinen seitherigen Regierungsgrundsätzen, der in den Jahren 1830 und 1831 auftauchenden freieren Strömung und den überall an die Throne klopfenden berechtigten Volkswünschen auf das Starrste und überbot noch beinah die von Wien und Berlin dictirte Strenge. Er opponirte sogar dem Fürsten und dem Erbprinzen, welcher Letztere ohnehin schon seit einiger Zeit dem Minister Zeichen der Erkaltung gegeben, so leidenschaftlich, daß ein Bruch nicht ausbleiben konnte und man anscheinend ohne Bedauern auseinander ging. Der Minister zog sich auf seine Güter zurück.

Am Baron zum mindesten wurde niemals ein solches Bedauern sichtbar; wir erfuhren, daß von Versöhnlichkeit in dem Charakter Leopold’s nichts zu finden, wenigstens nichts zu merken war, obgleich man doch wohl annehmen mußte, daß ihm die aufgezwungene Muße und die Entfernung von allen Geschäften, der Verlust des bisherigen unbeschränkten Einflusses aus Alles, was im Lande geschah und was von außen an dasselbe herantrat, mehr als empfindlich fallen mußte. Bemerkbar wurde dies, wiederholentlich gesagt, indessen niemals, und als der Hof in der folgenden schlimmen Zeit der Reaction den treuen, gewandten und starken Rathgeber und Führer zu entbehren begann und Miene machte, wieder mit ihm anzuknüpfen, wich der Baron solchen Bemühungen auf das Entschiedenste aus und bewahrte sich seine stolze Unabhängigkeit, nicht schroff, nicht heftig, sondern in aller gebührenden Schicklichkeit. Denn es muß gesagt werden, daß inzwischen jener Sturm der Leidenschaftlichkeit, der Verbitterung und Härte längst wieder verrauscht war und der Herr den Beobachtenden sich meistens nur noch als der alte liebenswürdige und behagliche Lebemann zu zeigen pflegte.

Das war um so mehr anzuerkennen oder auch gar zu bewundern, als jene Zeit der Härte und Rücksichtslosigkeit nicht nur Stellung und Ansehen des Ministers und Staatsmannes beeinträchtigt und endlich seinen Fall herbeigeführt, sondern auch in seinen Privatverhältnissen zu den traurigsten Folgen geführt hatte, welche nicht so leicht zu vergessen und überwinden sein konnten.

Baron Leopold hatte aus seiner ersten Ehe zwei Söhne gehabt, die den Eltern von Jugend auf mehr Sorgen als Freude machten. Meisterlose Knaben, waren sie zu noch unbändigeren jungen Leuten erwachsen, bei denen man stets nur zu hüten hatte, daß ihre Ausschreitungen gegen Herkommen, Gesetz und sogar Sitte nicht gar zu groß und unverzeihlich werden möchten. Bei dem älteren, August, kam es in der That dahin, daß der Vater ihn entfernen und in die österreichische Armee eintreten lassen mußte – ganz nach dem Wunsch des unbändigen Jünglings, aber sehr gegen den Willen des Ministers. Die Treuenstein hatten seit Jahrhunderten nicht mehr den Degen geführt, und der Baron vermochte sich nicht zu überreden, daß sein Sohn vor Anderen geeignet sei, auf dieser Laufbahn Ruhm und Ehre zu erwerben. Dies Mißtrauen zeigte sich bald leider nur zu gerechtfertigt: die Ausschreitungen nahmen nicht ab, sondern zu, und als August einige Zeit nachher im Duell fiel, mußte selbst der Vater dies Ende fast ein Glück heißen. Dem Unglücklichen stand, wäre er am Leben geblieben, die Verstoßung aus dem Regiment bevor.

Mit dem zweiten Sohne – er hieß Leopold und war seiner Mutter Liebling, während er dem Vater niemals recht nahe gestanden – schien es sich in sofern besser stellen zu wollen, als er durch die Ereignisse, welche seines Bruders Entfernung veranlaßten, augenscheinlich zur Besinnung gekommen war und sich ernstlich zusammennahm und zu keiner Klage mehr Veranlassung gab. Es war ein schöner und liebenswürdiger, glänzend begabter junger Mensch und trotz seiner früheren Tollheiten bei aller Welt beliebt. Man hoffte für ihn auf eine reiche, alles Frühere ausgleichende

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