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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zweimal jährlich zu brüten. Wenn sie Junge haben, kann man sich erst einen Begriff von der Thätigkeit dieser Thiere machen; fortwährend wird Beute zugetragen, was man beim Scheine der Gasflammen deutlich sehen kann; wenigstens ein halbes Schock Wirbelthiere, Mäuse, Spatzen, werden alle Abende herbeigeschleppt, und jeden Morgen liegt dann das Gewöll, d. h. die von den Raubvögeln durch den Schlund wieder herausgegebenen Feder-, Haar- und Knochenballen, in ziemlicher Menge auf dem Boden.

Wie sich die zahmen Thiere, die Hausthiere etc. in der Nähe der Eisenbahnen und der Züge oder während des Transportes benehmen, darüber läßt sich weniger sagen, weil die Bewegungen derselben meistens unfreiwillige sind und von dem Willen des Menschen abhängen, wie u. a. bei den Thiertransporten. Alle transportirten Thiere, als Rinder, Pferde, Schweine, Vögel etc. unterliegen dem ihnen fremden, aber erschlaffenden Eindrucke des Transportes regelmäßig und verbleiben meist in einer Ruhe, die aus Einschüchterung und Abspannung entspringt. Ausgenommen sind alle diejenigen, welche öfters befördert werden, so Reit- und Kutschpferde, Menageriethiere etc. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die verständigen Hunde. Sie allein geben kein Befremden kund, sie begleiten ihren Herrn bis an den Bahnhof, an den Wagen und gehen dann wieder ruhig nach Hause. Mancher treue Hund will sich indessen damit nicht begnügen und glaubt, er könne wie bei einer Kutsche hinterdrein laufen, muß aber natürlich bald von diesem Vorhaben abstehen, obgleich auch Fälle vorgekommen sind, daß Hunde dem Zuge von einer Station zur anderen nachrannten und dann auf demselben Wege wieder heimkehrten.

Andere, wie die Hunde verschiedener Jäger, Jagdpächter und Fleischer, welche die Bahn oft benutzen, oder mancher Hundeliebhaber, die sich von ihrem treuen Thiere durchaus nicht trennen können und dasselbe stets auf der Reise bei sich haben, zeigen die ganze Sicherheit ihrer Herren, laufen selbst an den zu ihrem Aufenthalt bestimmten Hundekasten, warten dort, bis der Schaffner kommt und ihnen öffnet, springen hinein und fangen zu lärmen an, wenn ihnen an dem wohlbekannten Reiseziel nicht sogleich geöffnet wird.

Die Thiere, welche mit ihren Herren ihren Aufenthalt in der Nähe der Bahnen haben oder, wie Pferde und Ochsen, in ihrer Nähe arbeiten müssen, verlieren auch bald die anfängliche Scheu, so daß sie darin den wilden, freilebenden Thieren vollständig gleichen; ruhig sitzt die Katze vor dem Mäuseloche, dasselbe halb zugekniffenen Auges betrachtend, und der vorbeibrausende Zug stört ihre Aufmerksamkeit ebensowenig, wie sich die Kuh auf dem nächsten Felde nur im Geringsten im Fressen und Wiederkäuen stören läßt.

Der Fortschritt ist also auch unter den Thieren bemerkbar. Wie der Mensch gehen sie gleichgültig an den gewaltigsten Erfindungen der Neuzeit vorüber, wie der Mensch sind sie vertraut geworden mit dem schnaubenden Zeitgeist unserer Tage; es dürfte daher auch der Einfall eines Thierfreundes, wenigstens für die Hunde bei den Zügen verschiedene Classen einzuführen, damit der Neufundländer des ehrenwerthen Lords und der zarte Seidenhund der Cameliendame nicht mehr mit dem ordinären Spitz und dem rohen Zughunde zusammenfahren müssen, weil dieses denselben Mißklang gäbe, als wenn eine feine junge Dame in ein Coupé voll betrunkener, fluchender Matrosen geriethe, den ungetheilten Beifall aller Gerechten haben.




Das Haus mit den drei Leiern.
I.
Am großen Hirschgraben. – Die Wirthin zum Weidenhof. – Der Herr Rath. – Wolfgang als Tischdecker. – Satan und Adramelech. Der erschrockene Barbier. – Das Puppenspiel. – Der Königslieutenant. – Des Vaters Guckfenster. – Der Märchensessel. – „Räthin, er lebt!“ – Die verschiedenen Goetheportraits. – Der Mutter Frohnatur. – Schwester Cornelia. – Die Dichtermansarde.


Trotzdem daß man sich am 18. Juli 1866 bei Einstellung aller Eisenbahnzüge vom Süden aus nur mit einiger Gefahr und ungewöhnlichen Transportkosten nach der bis dahin „freien Reichsstadt“ Frankfurt begeben konnte, in welcher zwei Tage früher die siegreichen Preußen unter dem General von Falckenstein eingezogen

Goethe’s Vaterhaus.

waren, standen wir doch gegen zehn Uhr Morgens auf dem großen Hirschgraben vor dem dreistöckigen mit einer Mansarde versehenen Giebelhause, dem „Hause mit den drei Leiern“, vor Goethe’s Vaterhause. Ich hatte zwei alten Freunden, Halliwell, einem der größten jetzt bekannten Shakespearekenner, und Professor Nicard aus Paris, bei ihrem Besuche, der sie zufällig bei mir in Deutschland zusammen führte, sogleich versprechen müssen, sie nach Frankfurt zu begleiten und ihnen als Führer besonders im Dichterhause zu dienen, denn für sie schwiegen selbst unter dem Waffengeräusch die Musen nicht.

Wir traten ein. Die Hausflur ist geräumig und hell; sie bot den Kindern des „Herrn Rath“ einen geräumigen Tummelplatz mit vortrefflichen Versteckplätzchen neben und unter der Treppe, unter deren schönem Acanthus-Tragsteine der Eingang zum Keller für den gewöhnlichen Haushaltungsgebrauch angebracht ist. Wie oft stieg die Frau Rath diese dunkle Treppe hinab, um für liebe Gäste, wie die Grafen Stollberg und Merck, für Karl August und Wieland und für alle die zahlreich herbeieilenden Sturm- und Dranggenossen des berühmten Sohnes, so lange er im Vaterhause weilte, das „Tyrannenblut“ heraufzuholen. Doch dürfen wir nicht die hohle Fallthür der Schrotstiege unmittelbar beim Eintritt in die Hausthür vergessen, über die Wolfgang, wenn er Abends nach der gemeinsamen Mahlzeit mit unerlaubtem Hausschlüssel sich hinausstahl und dann spät in der Nacht oder selbst gegen Morgen von seinen allzufrühe genossenen Schwärmereien heimkehrte, sich leise zur Treppe hinschleichen mußte, welche bis hinauf zu seinem Zimmer im Dachstocke führte.

An alle Oertlichkeiten dieses Hauses knüpfen sich bestimmte Vorgänge aus des Dichters Leben an; ist er doch selbst in „Dichtung und Wahrheit“ der beste Führer. „Die gute Großmutter“ väterlicher Seits, die frühere Wirthin zum Weidenhof, Cornelia, geborne Walter, kaufte nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes Friedrich Georg Goethe aus Artern in der güldenen Aue, da ihr das Getriebe der Gastwirthschaft zu lästig geworden und sie nun ein ruhiges Hauswesen suchte, für sechstausend Gulden im November 1753 dem Schöff von Fleckenhamerischen Erben das Haus auf dem großen Hirschgraben ab, in dessen Keller auch die Weinvorräthe nach dem Verkauf des Weidenhofes zur Begründung des neuen Hausstandes gebracht wurden. Sie war es, die ihrem ältesten Enkel, dem sie später „gleichsam als eines Geistes, als einer schönen, hageren, immer weiß und reinlich gekleideten Frau, sanft, freundlich, wohlwollend im Gedächtniß geblieben“, zu Weihnachten 1753 „die Krone ihrer Wohlthaten“ und als „letztes Vermächtniß“ jenes Puppenspiel bescheert und vorgezeigt hatte, welchem das deutsche Volk des Dichters Vorliebe für die Bühne verdankt. Eine zweite Aufführung der Geschichte von Goliath und David erlebte sie freilich nicht, denn schon am 28. Mai 1754 starb sie über fünfundachtzig Jahre alt, und nun traf der Herr Rath Dr. Johann Caspar Goethe Vorbereitungen zum Umbaue des Hauses, namentlich des nach der Nordseite zu gelegenen Nebenhäuschens, das wirklich ganz abgerissen wurde. Bis zum Winter des nächsten Jahres war der Umbau vollendet. Er bewahrte, wie eingreifend die Veränderung auch war, Goethe’s Geburtshaus alle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_043.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)