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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Er glühte von Grimm und ritterlichem Muth, als er die Höhe der Mauern maß und im Stillen überlegte, wie man wohl am besten sie übersteigen könne, wenn kein anderer Weg zur Rettung offen bliebe. Erst als er hinter sich in dem großen Zimmer die Stimme der Alten wieder hörte, that er, wie sie ihn gebeten, und trat zwischen zwei Cypressen, die drüben an der Mauer standen.

Gleich darauf öffnete sich die Thür. Die junge Frau trat in den Mondschein hinaus, blieb aber auf der steinernen Stufe wie eine Bildsäule stehen, die großen schwarzen Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck gegen den Nachthimmel gerichtet, an dem eben der Mond die Zinne übersteigend heraufschwebte. Sie war ganz in ein graues schlichtes Gewand gekleidet, ohne Zierrath und Schmuck irgend welcher Art, nur ein kleines goldnes Kreuz hing an einem schwarzen Bande auf ihrer Brust. Dabei war das schöngeformte junge Gesicht von so geisterhafter Blässe, als habe sie sich eben von der Bahre erhoben, auf die man sie scheintodt hingelegt, und finde sich noch nicht wieder in’s Leben. So erschien auch ihr Gang, als sie jetzt auf Zureden der Barborin den engen Kiesgrund betrat, müde und unsicher, wie eine Halbwache oder Schwerverwundete schreitet. Der Lauscher in seinem dunklen Winkel erschrak, als sie dicht an ihm vorbeiglitt. War das dieselbe Gestalt, die vor wenig Jahren, von Lebenslust beflügelt, an seinem Arm durch den Ballsaal geschwebt war? Das unerbittlichste Strafgericht über den, der sie dahin gebracht hatte!

Sie schien auch heute kaum Acht darauf zu geben, was die Alte in sie hinein wisperte. Nachdenklich stand sie an dem Rosengebüsch in der Mitte des Gärtchens; sie pflückte ein einzelnes Blatt einer rothen Rose und schien mit dem Thau, der daran hing, ihre Lippen zu kühlen. Was Barborin ihr sagte, verstand Eugen nicht. Er sah aber, daß sie plötzlich heftig zusammenfuhr und dann einen hastigen Blick umherwarf. In diesem Augenblicke hustete die Alte, und er, der ohnehin sich kaum länger bezwungen hätte, trat rasch aus seinem Versteck.

Aber entsetzt blieb er stehen, als er den Ausdruck der tiefsten Angst und des tödtlichsten Schreckens auf ihrem Gesicht gewahrte. Eine dunkle Röthe stieg ihr in die Wangen, sie versuchte zu sprechen, öffnete aber nur tonlos die Lippen und erhob beide Hände gegen ihn, wie wenn sie eine furchtbare Erscheinung abwehren wollte. Da benutzte er ihre ohnmächtige Bestürzung, um einen Schritt näher zu treten und in der ehrerbietigsten Haltung sein Eindringen, seine Kühnheit und Eigenmächtigkeit zu entschuldigen. Der reinste Antheil an ihrem unerhörten Geschick habe ihn getrieben, er habe keinen andern Zweck vor Augen, als ihr seine Dienste anzubieten, und wenn sie nur ein Wort sage, das ihm zu handeln erlaube, werde er sein Leben dafür einsetzen, sie aus dieser mörderischen Haft zu befreien. „Ich bin Ihnen nicht ganz fremd, Frau Marchesa,“ schloß er seine sich überstürzende Anrede. „Vor Jahren sah ich Sie, als Sie noch von Glück und Freude umgeben waren. Sie haben mich damals kaum beachtet; ich aber habe Ihr Bild lange in mir bewahrt, und jetzt –“

„Genug!“ sagte sie, und ihre Augen hefteten sich fest auf den Boden. „Gehen Sie – und wo – bist Du Barborin? Sag’ ihm –“

„Hört ihn doch nur an, theuerste Herrin,“ flehte die Alte. „Er will ja nichts, als daß Ihr ihm erlaubt, zu Eurer Frau Mutter zu gehen und ihr zu sagen, daß Ihr nicht krank und schwach im Haupte seid, und wenn es ihn jammert, wie mich selbst, daß Ihr durchaus sterben wollt –“

„Und wenn ich es wollte, wer könnte mich hindern?“ sagte sie plötzlich mit entschlossener starker Stimme, und sah den Fremden mit einer überlegenen Hoheit an, daß er bestürzt die Augen niederschlug. „Gehen Sie, mein Herr, und versuchen Sie nie mehr, in mein Leben einzugreifen. Sie haben gemeint, mir damit wohlzuthun; darum soll Niemand erfahren, was Sie gewagt haben. Ein zweites Mal würde ich es dem sagen müssen, welcher der Herr meines Schicksals ist. Nie wieder – nie – Sie kennen jetzt meinen Entschluß!“

Damit wandte sie sich rasch zur Thür und ehe er ein Wort erwidern konnte, war sie im Hause verschwunden.

„O barmherzige Mutter der Gnaden!“ jammerte die Alte, die Hände ringend. „Habt Ihr’s nun gehört? Ist noch mit ihr zu reden? Und was fangen wir nun an? Ach Gott, ich erlebe es noch, daß sie mit der Stirn gegen die Mauer rennt, wenn es ihr zu lange dauert mit dem Verschmachten! Sagt’ ich’s Euch nicht, daß sie in diesem Käfig noch endlich ganz um den Verstand kommen wird, wie eine geblendete Nachtigall? ‚Wenn ich sterben wollte, wer könnte mich hindern?‘ – ist da noch ein Körnchen Vernunft d’rin, wenn man zweiundzwanzig Jahre alt ist und eine so schöne vornehme Creatur? Sagt doch nur um Gottes willen etwas, lieber Herr Capitano, daß mir nicht die Verzweiflung das Herz abstößt, wenn ich das Elend so allein in mich hineinschlucken muß!“

Jetzt erst schien er zu sich zu kommen. „Wir haben es verkehrt und plump angestellt, Barborin,“ sagte er, düster zu Boden starrend. „Wir hätten bedenken sollen, wie lange sie kein fremdes Gesicht gesehen hat, und muß nicht auch die Furcht, ihr Schicksal am Ende noch zu verschlimmern, sie vor jedem Schein von Rettung zurückbeben machen? O, was ist hier Alles zerstört? wie lange Zeit wird es brauchen, bis dies arme Leben sich wieder an Licht und Freiheit gewöhnt! O Barborin –“

Er schwieg, die Thränen traten ihm in die Augen. „Führe mich zurück,“ sagte er dann, „und höre, ich will einen anderen Versuch machen. Ich Thor, daß ich den Weg nicht zuerst einschlug! Meinst Du, daß sie einen Brief, den ich ihr schriebe, zurückweisen würde? Gleichviel, Du könntest ihn dann behalten und, sie möchte wollen oder nicht, ihr immer wieder damit kommen. Es muß endlich wirken.“

„Thut das, lieber Herr,“ sagte die Alte, während sie die dunkeln Räume wieder durchschritten. „Seht, da liegt das Thier, der Taddeo, noch immer wie ein todter Sack und schläft seinen Rausch aus. Aber ich fürchte, er merkt hinterdrein, daß man ihm was eingegeben hat. Denn das ist ihm noch nie passirt, und an mir läßt er dann seine Wuth aus. Also muß ich doppelt vorsichtig sein und darf nicht mehr mit Euch zu handeln haben. Aber wenn Ihr den Brief unter den Trittstein am Brunnen legtet, da würde ihn Niemand suchen außer mir, und dann macht’s ihr nur recht eindringlich, und besonders ihre Mutter müßt Ihr ihr zu Gemüth führen; denn die hat sie außer ihrem Gino am meisten geliebt, und wenn sie mir nicht so streng verboten hätte, nie mehr von der Frau Gräfin zu reden …“

Die Stimme der Alten war flüsternder, als sie mit dem Fremden in den dunklen Hof hinaustrat. Kaum aber hatte sie den Rücken gewendet, so rührte sich der Schläfer im Winkel, öffnete das einzige Auge und kroch wie eine Katze an die Wand, wo er durch das Rundfenster auf den Hof sehen konnte. Wenige Minuten darauf, als Barborin zurück kam, um nun ebenfalls zu Bett zu gehen, lag er wieder in der vorigen Stellung, als wenn er sie nie verlassen hätte.

(Schluß folgt.)




Im Schutte der ewigen Stadt.


Noch ehe diese Zeilen hinaustreten vor den großen Leserkreis der Gartenlaube, wird ein Stück Weltgeschichte seinen Abschluß gefunden haben, ein mehr denn tausendjähriges Herrscherthum, das unter dem weltlichen Scepter des Papstes, vielleicht vom Erdboden verschwunden sein, und mehr denn je trägt uns die Erinnerung in jene unvergeßlichen Wochen zurück, da uns vergönnt war, die Luft der ewigen Stadt auf den sieben Hügeln Latiums zu athmen. Lebhafter als je zuvor treten uns die Eindrücke vor die Seele, welche wir von Rom empfingen, und namentlich die ersten Tage unsers römischen Lebens tauchen in unverblaßter Frische wieder vor dem Auge unsers Geistes auf.

Es ist ein eigenes Ding um dieses ewige Rom! „Welchen Gesammteindruck macht denn Rom auf Sie?“ dies war so ziemlich die stehende Frage deutscher Landsleute, welche mir einige Zeit nach meiner Ankunft in der ewigen Stadt begegneten; ich war jedesmal versucht zu antworten: „Gar keinen,“ und ich bin mir bewußt, mit vielen und bedeutenden Reisenden ganz dasselbe Gefühl getheilt zu haben, das Gefühl der Enttäuschung.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_796.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2020)