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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Weinberg nach dem andern gekauft. Einige sagten zwar, der Sohn habe Geld mit aus der Fremde gebracht; Andere wollten behaupten, der alte Jochus hätte eine Erbschaft gemacht – wo es aber auch herkam, von Jochus selber erfuhren sie es nicht, denn der war eher noch verschlossener als sonst, aber jetzt auch, was sich nicht leugnen ließ, ein vollkommen anderer und ordentlicher Mensch geworden. Wenn er mehr Geld hatte als früher, verthat und verpraßte er es nicht, sondern legte es auf vernünftige Weise an, und da er keiner Seele mehr etwas schuldete, brauchte sich auch Niemand darum zu kümmern, woher ihm seine Mittel flossen.

Franz, sein Sohn, war kurze Zeit bei ihm im Haus gewesen, und es hieß einmal, er wolle sich in Wellheim selber etabliren. Der kleine Ort würde ihm jedoch kaum Beschäftigung genug geboten haben, und wenn er je den Plan gefaßt, gab er ihn wieder auf. Er hatte sich auch gleich einen Compagnon mitgebracht, einen jungen Herrn aus Berlin, der sich immer fein kleidete, immer Glacéhandschuhe trug und sich natürlich gleich nach den ersten vierundzwanzig Stunden sterblich in Rosel verliebte, ja, ihr sogar seine Hand anbot und von dem Bruder lebhaft dabei unterstützt wurde. Rosel mochte ihn aber vom ersten Augenblick an nicht leiden, denn er hatte etwas Freches und Spöttisches in seinem Wesen, und als er sogar noch zudringlich wurde, fertigte sie ihn so entschieden, auf nicht mißzuverstehende Weise ab, daß er seine Werbung nothgedrungen einstellen mußte.

Franz hatte danach einen heftigen Aufritt mit Rosel, und da sich die Geschwister überhaupt nicht recht vertragen konnten, siedelten die beiden jungen Männer nach Hellenhof, einer größeren Stadt, über, die etwa anderthalb Stunden von Wellheim entfernt, doch tiefer im Land, vom Rhein ab lag. Dort, hieß es, wollten sie sich niederlassen, und dort blieben sie auch, und nur sehr selten kam Franz noch manchmal nach Wellheim zum Besuch herüber, wobei er dann nie verfehlte der Schwester von seinem Compagnon vorzureden, wenn gleich immer vergeblich.

Der alte Jochus hatte sich indessen fast ganz von dem „Geschäft“ zurückgezogen, bei dem er fast nur noch den Einkauf des nöthigen Weines und das Keltern des eigenen besorgte. Sonst freilich saß er manchmal bis Mitternacht und noch länger bei den Gästen unten in der Stube, trank mit ihnen oder spielte Karten. Jetzt aber, seit er ordentlich geworden, zog er sich an jedem Abend auf seine Stube zurück und mußte dann auch jedenfalls gleich zu Bette gehen, denn man hörte ihn nie lange in seinem Zimmer.

Heute schien er sich noch früher loszumachen. Er war den ganzen Tag mürrisch und verdrießlich gewesen und hatte Stunden lang auf einem Stuhl in der Ecke gesessen und vor sich nieder gestarrt. Es ging ihm jedenfalls etwas im Kopf herum, einem Menschen aber vertraute er’s nicht an, am wenigsten der Rosel, wenn er sie auch sonst lieb genug hatte. Diese wußte auch schon, daß solche böse Stunden – und jetzt öfter als früher – wohl manchmal über ihn kamen. Wenn man ihn aber dann in Ruhe ließ, gingen sie auch wieder von selber vorüber, und am nächsten Morgen geschah es dann nicht selten, daß er lustig im Haus herumpfiff und ein ganz anderer Mensch geworden schien.

Der Rosel war es deshalb recht lieb, daß er sich heute so früh abschloß. Der böse Geist, der in ihm stak, mußte eben austoben, nachher sah er die Welt wieder mit freundlicheren Augen an, und morgen ließ sich vielleicht auch ein vernünftiges und ruhiges Wort mit ihm über Bruno reden. Vor zehn Uhr stand der Vater doch nie auf, kam wenigstens, schon seit langen Monden, nie früher zum Vorschein, und um neun Uhr hatte sie ja Bruno auf den Weg bestellt. Da wollte sie mit ihm Rücksprache nehmen, und wenn möglich, einen Plan für ihr künftiges Leben fassen. Jetzt aber schüttelte sie alle die Gedanken ab, denn da drinnen gab’s wahrlich genug zu thun und Bärbel, das Schenkmädchen, und Caspar, ein armer Verwandter, den Jochus als angehenden Kellner in’s Haus genommen, hatten alle Hände voll Arbeit.


2. Beim Wein.

Das Burgverließ, wie das Haus nach der Weinstube im ganzen Städtchen genannt wurde, war eines jener altmodischen geschnörkelten Giebelhäuser, wie man sie noch so häufig am Rheine findet. Es hatte kleine, enge, steinerne Treppen und oben ziemlich kleine Zimmer, einen mächtigen Keller aber unter dem Haus, und das Parterre ebenfalls gewölbt gebaut, mit einem großen Zimmer links vom Eingang, das als Schenkstube benutzt wurde, und einem kleinen rechts, welches früher das Wohnzimmer von Rosel’s Mutter gewesen und jetzt nur, in seltenen Fällen, als „gute Stube“ dienen mußte. Rosel hatte ihr Schlafzimmer oben, und die Dienstleute schliefen hinten hinaus.

Das Haus selber lag nicht unmittelbar am Rhein, sondern stieß vielmehr durch seinen Garten an ein kleines Haseldickicht, das, seiner nicht günstigen Lage wegen, noch nicht zu Weinbergen benutzt worden war und, in einer engen Schlucht oder Delle fortlaufend, sich weiter oben an den eigentlichen Wald anschloß. In früheren Jahrhunderten hatte die Stadtmauer diesen Platz umgeben, und wenn sie auch jetzt an allen den Stellen, die sich vortheilhaft zum Bebauen zeigten, fortgeräumt worden war und keine Spur mehr zurückgelassen hatte, so hatte man sich hier doch nicht die Mühe gegeben, die alten schweren Steine aus dem Wege zu schaffen. Die Mauer verwitterte allerdings mit der Zeit, aber das Geröll blieb liegen, und nur im Herbst war es über Tag ein Haupttummelplatz der Wellheimer Jugend, da dort eine Unmasse herrlicher Brombeeren wuchsen und die Haselnüsse ebenfalls ihre Anziehungskraft ausübten.

Doch Niemand kümmerte sich heute mehr um den kleinen Garten, den Rosel selber pflegte und auch trefflich in Stand hielt. Es war völlig dunkel geworden und wenn sich im heißen Sommer die Gäste auch manchmal ihren Schoppen hinaus in die freundliche Weinlaube nahmen und dort bis zehn oder elf Uhr im Freien saßen, so trat der Herbst doch schon zu kühl auf, um das jetzt noch zu gestatten.

So mochte es zehn Uhr geworden sein, und manche der älteren Stammgäste, die gewohnt waren zu rechter Zeit in’s Bett zu gehen, hatten das Burgverließ verlassen und ihren Heimweg angetreten. Dagegen war frischer Zuwachs gekommen und das Boot, von dem der alte Jochus schon zu Rosel gesprochen, von seiner etwas verspäteten Fahrt den Rhein herab zurückgekehrt. Das junge Volk hatte den Abend oben in irgend einer alten Ruine verbracht und auch wohl tüchtig dabei gezecht, aber versäumt, noch etwas für den Heimweg mit in’s Boot zu nehmen und natürlich auf der zweistündigen Fahrt wieder tüchtigen Durst bekommen.

Es war eine lustige Reisegesellschaft aus Thüringen, auf einer Vergnügungsfahrt begriffen und mit eben gerade genug Geld in der Tasche, um den alten Vater Rhein zu besuchen und einmal auf ein paar Tage Arbeit und sonstige Scherereien zu vergessen. Sie sangen dabei ganz prächtige Lieder mit vollen melodischen Stimmen, und Rosel, die gar so gern singen hörte, setzte sich nicht weit von ihnen auf den Stuhl an’s Fenster und überließ der Bärbel jetzt vollständig das Bedienen der Gäste, deren Reihen sich schon ordentlich gedünnt hatten. Eigentlich fand man sonst um diese späte Stunde wenig mehr Leben in den Weinhäusern von Wellheim, aber gerade die jungen munteren Fremden mit ihren hellen Stimmen und prächtigen Liedern hielten auch heute manchen alten Knaben länger als gewöhnlich bei seinem Schoppen, und selbst als die Lieder verstummt waren, plauderte man noch zusammen.

Die Fremden wollten den morgenden Tag noch hier verbringen und erst gegen Abend stromab gehen; sie erkundigten sich deshalb, was es in der Nachbarschaft Sehenswerthes gäbe.

„Ei,“ rief da der Bäckermeister Bollharz, eine kleine kugelrunde Gestalt, der, wenn er lachte, gar keine Augen im Gesicht zu haben schien, weil sie vollkommen hinter den fettgepolsterten Backen verschwanden, „da müßt Ihr jedenfalls einmal unsere Ruine besuchen, die ist es schon der Mühe werth, und junges lustiges Volk wie Ihr seid, klettert auch wohl die alten Treppen hinauf, und von da oben hat man eine ganz wundervolle Aussicht.“

„Seid Ihr schon einmal oben gewesen, Meister Bollharz,“ lächelte Rosel, die sich die kleine unbeholfene Gestalt auf der schmalen, geländerlosen Treppe dachte.

„Gewiß bin ich, Jungfer Naseweis,“ nickte der behäbige Mann, „und das mehr als einmal, und noch dazu hinaufgelaufen wie ein Wiesel – das sind aber freilich so ein Jahrer dreißig her und jetzt, mit meiner Wohlbeleibtheit würde es auch nicht mehr so leicht gehen, keineswegs so geschwind. Steigt nur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_699.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)