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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

beifällig zu, während eine robuste Dirne stumpfsinnig die Züge des Todten betrachtet und ihr Käsebrod dabei verzehrt.

Raublust und Hohn gelten indessen hier nur einer Leiche, ein Lebender aber soll auch noch abgethan – abgeschlachtet werden, damit man sich der Armseligkeiten bemächtigen kann, die noch an seinem Leibe oder in seinen Taschen sind. Ein Kerl mit einer Mistgabel bewaffnet, eben zum tödtlichen Stoße bereit in die arme, schon zerschossene Brust eines Soldaten – dieser, der sich halb erhoben und mühsam auf den verwundeten Arm stützt, hebt feierlich den rechten empor, als wolle er den Himmel zur Rache anrufen – – das Alles – es flirrte uns vor den Augen – nein! dies darf nicht sein – – und mit einem unterwegs gefundenen Reiterpistol feuerte einer von uns rücksichtslos über die Gruppe hinweg. Der Schuß verfehlte bei den Elenden seine Wirkung nicht, kaum hatte sich noch der Rauch der abgeschossenen Waffe verzogen, und die Bestien suchten bereits das Weite. Den Soldaten, der uns unterwegs noch mitteilte, er habe mit dem Bauer über eine Viertelstunde um sein bischen Leben capitulirt, brachten wir in das nächstliegende Feldlazareth, wo er jedoch nach wenigen Minuten starb, in Folge starker Verblutung und, wie er selbst noch mühsam herausbrachte, an ausgestandener Todesangst.




Dichter und Componist.


Saßen da im heitern, lustigen Wien, zu Anfang des Jahres 1820 in einem düstern Zimmer des dritten Stocks eines Hauses in der Wipplingerstraße, das die Nummer 420 trug, der Männer zwei, welche dem Aeußern und Innern nach wenig zu einander zu passen schienen, während sie doch bereits seit längerer Zeit Stubengenossen waren. Der ältere von ihnen, eine mittelgroße, gedrungene Figur, hatte etwas Starres in seinem Blick, während der Mund sich gern zu einem sarkastischen Lächeln verzog. Seine Kleidung war mehr als einfach. Man sah es, er gab nichts auf den Rock. Die Pfeife im Mund, die Guitarre im Arm, saß er und starrte vor sich nieder, während, unwillkürlich, wie unbewußt, die Hand von Zeit zu Zeit einzelne Griffe auf das Instrument that.

Es war Johann Mayrhofer, der Dichter, während sein um zehn Jahr jüngerer Genoß, mit dem dicken, runden Gesicht, den aufgeworfenen Lippen, den buschigen Augenbrauen, der stumpfen Nase, dem gekräuselten Haar, das dem ganzen Kopf ein mohrenartiges Aussehen verlieh, Niemand anders war als Franz Schubert, der liederreiche Componist. Sie wohnten seit Kurzem zusammen, nachdem ihre frühere Bekanntschaft bereits nach Jahren zählte.

Und ob auch die in der Regel mehr im heroischen Styl gehaltenen, als lyrisch-tiefempfundenen Dichtungen Mayrhofer’s sich wenig zur Composition zu eignen schienen, die Alles bewältigende Schaffenskraft des jugendlichen Tonsetzers, der ja während der kurzen Zeit seines Lebens mehr als sechshundert Lieder componirte, bewältigte auch diese Formen. Poesie und Musik standen sich bei diesen Schöpfungen gegenüber, wie der Poet dem Tonsetzer. Sie ergänzten sich gegenseitig, während sie doch auch wieder im Einzelnen sich abstießen. Und wer hätte die Allgewalt der Tonweisen des jugendlichen Meisters, der kein Vorbild hatte, der aus der Fülle seines Melodieenbornes ohne Ruhe und Rast schöpfte, nicht an sich selbst erfahren! Erwacht bei den Klängen seiner Lieder nicht die Sehnsucht im Herzen? Lösen Traum und Schmerz sich nicht in Wehmuth auf?

Und wie das Haus in der Wipplingerstraße dem Zahne der Zeit zum Raube gefallen, so würden auch die Lieder und Gedichte des im Jahre 1787 geborenen Mayrhofer längst begraben und vergessen sein, wenn nicht die süßen, einschmeichelnden Tonweisen seines jugendlichen Freundes, die dieser den Worten des Poeten zu verleihen wußte, sie immer wieder an das Licht des Tages zögen – und den Dichter selbst dem Verschollensein entrissen. Auf den Tonweisen Schubert’scher Melodieen schwebt sein Name der Nachwelt zu.

Heut’ aber, als dem Tage von dem wir sprechen, lehnt der junge Künstler am Fenster und blickt auf die düstere Gasse hinab. Erinnerung durchwogte ihn. Er war im Geiste wieder zu Zelész, dem am Waagflusse gelegen Landgute des Grafen Johann Esterhazy. Musik wurde getrieben, es wurde gesungen; und sie, seine einzige Schülerin, der er nichts gewidmet, wie die Leser der Gartenlaube schon wissen – denn die auf Op. 103 der F-Moll Clavierphantasie stehende Dedication rührt nicht von ihm selbst her – weil, wie er sagte, ihr Alles gewidmet sei, sang seine Lieder und spielte seine Compositionen. So dachte er. Und siehe! Ein Wagen fuhr vorüber, die düstere Gasse entlang. Ein lieblich schönes junges Mädchen saß im Wagen, der von feurigen, muthigen Ungarpferden gezogen wurde. Die junge Dame warf einen Blick zum Fenster hinauf, es geschah unbewußt, unwillkürlich, aber er genügte, daß der am Fenster Stehende sie erkennen konnte. Ein düster-schmerzlicher Schatten fuhr über sein Gesicht. Ihrer hatte er gedacht; jetzt fuhr sie vorüber, und über seine Lippe bebte der Name: „Caroline“.

Mayrhofer, der leise mit zum Fenster getreten war, sah sein Zusammenzucken, sah, wie er die Brille zur Stirn hinaufrückte, und hub nach gewohnter Weise zu lachen an, während die Hand zugleich nach dem Stocke griff, um denselben, gleich einer Lanze, gegen den Freund anzulegen, wobei er, auf echt wienerisch, im oberösterreichischen Dialekt rief: „Was halt mich denn ab, Du Kloaner –“

Doch Schubert ging diesmal nicht auf den gutmüthigen Scherz ein, sondern wendete sich stumm dem Clavier zu und begann sein Divertissement à la Hongroise zu spielen, mit jenen schwermüthigen Zigeuner-Melodieen, wie er sie einst in Zelész gehört und vernommen. Plötzlich jedoch sprang er auf und rief, bereits halb in der Thür: „Die Theres’ erwartet mich!“ und war zum Zimmer hinaus.

Und während er dahin eilte, um später in Lichtenthal, im Grob’schen Hause, sich von der Tochter, der Theres’, deren glockenreine Stimme bis in das hohe D reichte, seine Lieder singen zu lassen, während er in den Pausen nicht unterließ, dem Mädel in das Auge zu schauen, saß der Poet daheim und brütete vor sich hin. Er verfiel mehr und mehr mit sich selbst und mit der Welt. Und ob auch die Wirthin, die Frau Sanssouci, eintrat und das oft Erwähnte wieder erzählte, daß der Theodor Körner während seines Aufenthalts in Wien auch in diesem Zimmer gewohnt habe und daß derselbe ein so heiterer, froher junger Mann gewesen sei – er beachtete es nicht. Er konnte es nicht fassen und begreifen, daß der Franz sich einer andern Liebe hingab, um seine Liebe zu vergessen. Stumm griff er zur Feder, um in einer geschichtlichen Arbeit für Hormayr’s Archiv die inneren Wirren seines Innern zu tödten.

Am Abend aber, als Schubert eintrat, hatte er nach angestrengter Arbeit seiner Muse Audienz gegeben und trat dem Freunde mit einem neuen Liede entgegen. Es war das in der Sammlung seiner Gedichte sich unter dem Titel „Der Einsame“ vorfindende. Schubert hörte es an, nickte mit dem Kopfe zum Zeichen seines Einverständnisses, warf sich auf das Bett, rückte die Brille zur Stirn hinauf und verharrte einige Zeit in dumpfem Schweigen. Dann sprang er plötzlich auf, trat zum Clavier, sagte: „Ich hab’s!“ und spielte die soeben entstandene neue Composition.

So arbeiteten Dichter und Tonsetzer sich gegenseitig Hand in Hand.


Jahre gehen dahin. Mayrhofer und Schubert wohnen nicht mehr zusammen. Während aber Ersterer, mehr und mehr dem Leben entfremdet, in starrer Pflichterfüllung seines Berufs – er ist Beamter bei der Censurbehörde geworden – den Zwiespalt zwischen Ideal und Leben auszugleichen suchte, während er kränklich und verdrießlich jeden heitern Umgang floh, besonders nachdem die Sammlung seiner Gedichte, die er auf Drängen der Freunde herausgegeben, nicht den Anklang und die Beachtung, die er erwartet und die sie verdiente, gefunden, während er nur noch bei seines Schubert’s Liedern zu lächeln vermochte und sich blos von ihnen in den Kreis einzelner Freunde locken ließ, warf sich Letzterer in das volle, sprudelnde Leben hinein.

Im Gasthaus zur „Ungarischen Krone“ in der Himmelpfortgasse

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_614.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)