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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bei Königsgrätz am Tage nach der Schlacht.
Von einem schlesischen Gutsbesitzer.


Schon in Gitschin, wo ich den 3. Juli Nachmittags auf einem Marketenderwagen des vierundsechszigsten preußischen Regiments eintraf, erfuhren wir, daß eine bedeutende Schlacht bei Josephstadt oder Königsgrätz wüthe. Wir wurden dadurch überrascht, da wir den ganzen Tag, in einer Entfernung von fünf bis sechs Meilen, vergeblich auf Kanonendonner gelauscht hatten; wahrscheinlich hatte das Regenwetter und die Windrichtung die Ausbreitung des Schalles in unserer Richtung verhindert. – Nach kurzer Rast eilten wir vorwärts, um wo möglich noch am Tage der Schlacht im Lager einzutreffen; die schöne breite Chaussee füllte sich aber mehr und mehr mit Proviant-, Munitions- und Fourage-Colonnen, so daß wir die ununterbrochene Wagenreihe nicht mehr verlassen durften: Bei einbrechender Dunkelheit entstand durch Aufstauung der drei Wagenreihen ein allgemeiner Halt, und da an ein Weiterkommen vorerst nicht zu denken war, bogen wir auf einem Seitenwege in das Dorf Konetzchlum ein.

Im Wirthshause fanden wir natürlich weder Wirthsleute, noch Lebensmittel, noch Stroh, im Hofe aber glücklicherweise Wasser. Nach vieler Mühe erlangten wir im Dorfe etwas Heu und bereiteten uns in der Wirthsstube ein Lager. Um zwei Uhr Nachts kamen einige siebenzig Verwundete auf Leiterwagen vorgefahren und schleppten sich in das dunkle Zimmer, wo sie ermattet über einander fielen und sich an die zerschossenen Glieder stießen. Durch den Ruf nach Licht und Wasser wurde ich erweckt, erlangte auch von einem Soldaten ein kleines Endchen Licht, zündete dies an und vertheilte das wenige Heu meines Lagers, damit wenigstens die Kränksten eine Unterlage bekämen. Immer mehr füllte sich indeß der Fußboden, auch die kleine anstoßende Küche lag gedrängt voll, so daß ich sogar strohigen Pferdedünger zu Kopfkissen verwenden mußte. Alle Verwundeten zeigten großen Durst, die meisten auch Hunger; ich holte denn einen Eimer Wasser, fand eine zersprungene Bierflasche und tränkte so die Lechzenden der Reihe nach; einige harte Commißzwiebacke, die ich bei mir hatte, vertheilte ich in kleinen Stücken. Das Licht war ausgebrannt, noch aber nicht alle Verwundeten versorgt, ich versuchte daher im Dorfe Licht aufzutreiben, doch vergeblich. Ich ging darauf nach einem an der Chaussee befindlichen Bivouak, weckte den in einer Strohhütte schlafenden commandirenden Officier und erhielt sehr bereitwillig das Licht seiner Wagenlaterne. Von Brod besaß er aber selbst keinen Bissen und nur ein Mann seiner Colonne konnte uns eine handgroße alte Commißbrodkruste geben; die Mannschaften banden mir das Stroh ihres Lagers zusammen und brachten es mit. Da begegneten wir, o Freude! auf der Straße einem Wagen mit Brod, von diesem wurden durch den gefälligen Officier sofort acht Brode für mich requirirt.

Die Verwundeten in unserem Gasthofe bildeten den ersten Transport von Blessirten aus der großen Schlacht bei Königsgrätz. Fast alle waren Preußen, sie hatten schon Vormittags das Schlachtfeld auf Wagen verlassen und kamen hier ohne jede ärztliche oder militärische Begleitung mit abgematteten böhmischen Pferdejungen an. Zwar war der größte Theil nur leicht verwundet, doch hatten Viele zerschmetterte Arme und Beine, ein Mann hatte einen Schuß im Kreuz, ein anderer einen Schuß durch die Brust und das fortwährende Röcheln desselben mag wohl sein Todesröcheln gewesen sein. Wir revidirten jetzt auch die Leiterwagen und fanden hier noch mehrere Schwerverwundete fast erstarrt durch die Kälte der Nacht.

Um vier Uhr Morgens setzten wir unsere Reise fort, nachdem ich die Verwundeten der Fürsorge des Officiers der Colonne empfohlen hatte. Der schönste Morgen folgte auf das Regenwetter des vorigen Tages und erfrischte die gesegneten Fluren. Prachtvoller Weizen, Raps und Klee erfreuten das Auge, so weit man blicken konnte, und nur zu beiden Seiten der mit doppelten Pflaumenbaumreihen eingefaßten Straße und an den Bivouakplätzen waren die Feldfrüchte in einer Breite von zehn bis zwanzig Ruthen total niedergetreten. – Im Wirthshause zu Wojic trafen wir einmal ausnahmsweise die böhmische Wirthin an; dieselbe erweckte unsere Theilnahme, da sie das anwesende Militär beim Kaffeekochen unterstützte, uns die Milch ihrer letzten Kuh ohne Bezahlung lieferte und beim Reinigen und Verbinden der Verwundeten freundlich half. Nach kurzer Erquickung schickten wir den Wagen voraus, als uns die freundliche Wirthin händeringend und schluchzend nachgeeilt kam und erzählte, wie ihr die soeben vorbeigezogene Munitions-Colonne ihre letzte Kuh aus dem Stalle mitgenommen hätte! Die Frau jammerte uns; wir vermochten deshalb einen nach dem Hauptquartier Horzitz reitenden Husaren, die Kuh wieder zurückzufordern, und erlebten die Freude, daß unsere Bemühungen erfolgreich waren.

Jetzt wurde die Straße von Courieren aller möglichen Cavalerieregimenter, von Officieren mit Depeschen, einem vorwärtseilenden Divisions- oder Brigadestab, mehreren Wagen der Feldpost, des Telegraphenamtes, von requirirten Wagen mit Civilbeamten oder Aerzten, Colonnen und Fouragewagen aller Art belebt – Alles eilte vorwärts nach dem Hauptquartier, nach dem Lager oder dem Schlachtfelde. Vor Horzitz begegnete uns ein Transport von ungefähr eintausend und fünfhundert österreichischen Gefangenen verschiedener Truppengattungen; alle sahen niedergedrückt, abgehungert und in ihrer Kleidung arg mitgenommen aus, besonders die Kopfbedeckung war sehr verschiedenen Ursprungs. So trug ein kleiner brauner Italiener seine Uniform und einen schwarzen Cylinderhut; Civilmützen der verschiedensten Form und Altersclasse sah man häufig an den Verwundeten. Hiergegen nahmen sich die Kaiserjäger mit ihren Tirolerhüten und Federbüschen natürlich sehr stattlich aus.

Horzitz selbst zeigte weniger Kugelschäden, als Gitschin, war aber so überfüllt mit Colonnen und requirirten Fuhren, daß man kaum durchkommen konnte. Die überaus große Zahl der durch ihre weiße Fahne kenntlichen Lazarethe überraschte uns; mitunter hatte zu diesen Fahnen jedoch der passende Stoff gefehlt und weiße Schürzen oder gar ein weißer Unterrock vertraten wohl auch die Stelle der Fahne. Wir schlossen uns einer Proviant-Colonne an und im scharfen Trabe ging es vorwärts. Die Felder hatten hier sehr gelitten; zu beiden Seiten der Straße waren die Früchte so niedergetreten, als wären die Fluren mit Strohmatten belegt. Die Kirschbäume an der Straße wurden von den vorübereilenden Mannschaften in der Eile geplündert und mancher Ast ward mit Bajonnet, Säbel oder Hirschfänger abgehackt, an die Cameraden vertheilt und beim Weitermarsch abgespeist. Mannschaften aller Regimenter trieben requirirtes Schlachtvieh, kleine Landkühchen, Zugochsen, Kälber, Schweine vor sich her, ein Infanterist sogar zur allgemeinen Erheiterung fünf bis sechs Stück allerliebste junge englische Schweinchen, die ihm nicht wenig zu schaffen machten. Bei dem Dorfe Klenitz erreichten wir das preußische Lager. Mit seinen zweimalhunderttausend Mann von allen Truppengattungen nebst den zu beiden Seiten der Chaussee weite Flächen bedeckenden Colonnen bot dasselbe einen wahrhaft großartigen Anblick dar.

Mein Marketender verfügte sich zu seinem Regiment, welches auf einer Anhöhe links von der Straße lag, ich jedoch erstieg einen Proviantwagen, um zunächst erst einen raschen Ueberblick über das Schlachtfeld zu gewinnen; die genauere Besichtigung versparte ich für den Rückweg.

In langen Colonnen fuhren die Verwundeten auf gewöhnlichen landwirthschaftlichen und in Lazarethwagen an uns vorüber; die Leichen wurden auf Frachtwagen nach ihren Ruhestätten geschafft und lagen in ihren verschiedenen Uniformen hoch aufgeschichtet bis über die Leitern hinaus. Die Felder zu beiden Seiten waren mit Tausenden von Laubhütten bedeckt, in denselben hatten die österreichischen Jäger und Infanterie den Angriff abzuhalten gesucht. Der Saum des Waldes war niedergeschlagen, doch hatte man die Stammenden zwei Fuß hoch stehen lassen, um die Erstürmung zu erschweren. Reisig und Laub hatte zur Errichtung jener Hütten dienen müssen. Vielfach waren Merkstangen aufgestellt und die Rinde von den Stämmen abgeschält, um Zeichen der Entfernung für die österreichische Artillerie abzugeben; es ist daher eben nicht zu verwundern, daß dieselbe in einer ohnedies vorzüglichen Position so gut geschossen hat. Der Wald war von den österreichischen Kartätschen so verwüstet, als wären die alten Fichten und Kiefern von einem furchtbaren Hagelwetter zerschmettert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_512.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)