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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

unter dem Fuß weicht hoch aufgeschichteter Kies. Vor uns dehnt sich eine prächtige, wohlgepflegte Rasenfläche. In ihrer Mitte ruht die ungeheure Granitschale, und aus den dräuenden Löwenrachen rauschen vier gewaltige Wasserstrahlen. Die Kastanien stehen noch als treue Wächter um das Bassin, aber seit sie ihre Wipfel in dem freien, frischen Luftstrom baden, haben sie sich erholt und sind in diesem Augenblick mit zahllosen weißen Blüthenkerzen besteckt.

Wir biegen ein in einen der Kieswege, die das Rasenrund umschließen, wandeln zwischen geschmackvoll angelegten, freilich noch schwach entwickelten Boskets und weiden unsere Augen an blühenden Sträuchern und augenscheinlich zärtlich gepflegten Blumenbeeten, die buntfarbig auf dem Rasen liegen.

Da drüben liegt der Zwischenbau. Die Luft bestreicht jetzt seine vier Wände, die ein sauberes, helles Kleid angelegt haben, aber seine Fronte ist stattlicher geworden. An jeder Seite blitzen neue Fenster, Ferber hat das Haus um vier Zimmer erweitern lassen, denn der Oberförster will, wenn er sich in’s Privatleben zurückzieht, mit Sabine da droben wohnen.

Im Ferber’schen Wohnzimmer, dessen zwei hohe Fenster jetzt dieselbe Aussicht gewähren, wie früher nur das Bogenfenster in Elisabeth’s ehemaligem Stübchen – Herr von Walde hat die Bäume lichten lassen, damit die Eltern das Heim ihres Kindes immer vor Augen haben – also im Wohnzimmer steht die junge Frau von Walde. Sie ist mehrere Wochen an das Haus gebannt gewesen und ihr erster Ausgang führt sie auf den Berg, um ihren Erstgeborenen im großelterlichen Hause vorzustellen… Da liegt er auf ihrem Arm. Miß Mertens, oder vielmehr die längst glücklich verheirathete Frau Reinhard, hat den Kleinen heraufgetragen und schiebt vorsichtig den schützenden Schleier zurück. Das frische, rothe Gesichtchen trägt die Züge Derer von Walde, und aus dem Spitzenhäubchen fällt ein feiner, dunkler Haarstreifen auf die Stirn. Ernst will sich todtlachen über die täppischen Bewegungen der drallen, rothen Fäustchen, die sich nach allen Richtungen hin recken und strecken. Der Oberförster aber hat eigenthümlich ängstlicher Haltung seine eigenen gewaltigen Hände auf den Rücken gelegt, als fürchte er, durch irgend eine seiner kräftigen Bewegungen dem winzigen Geschöpfchen einen Schaden zuzufügen. Er ist nicht minder entzückt von seinem Großneffen, wie die Großeltern von ihrem Enkelchen. Er hat die schlimme Erfahrung bezüglich Bertha’s verschmerzt und sonnt sich in Elisabeth’s Glück, das ihm anfänglich wunderbar genug vorkam und von welchem er behauptete, er müsse jeden Morgen von Neuem lernen, daran zu glauben. Nicht etwa, daß er gemeint hätte, es sei zu außerordentlich für seinen kleinen Liebling – er hätte wohl die höchste Krone der Erde auf Elisabeth’s reiner Stirn als ganz an ihrem Platze gefunden – es war ihm nur sehr verwunderlich, das junge Wesen „mit den quecksilbernen Füßen und dem sonnigen Gesicht“ so hingebend an der Seite des ernsten, gereiften Mannes zu sehen.

Elisabeth ist glücklich in des Wortes höchster Bedeutung. Ihr Mann betet sie an und sein Ausspruch ist wahr geworden: jener Ausdruck von Melancholie und Strenge scheint für immer von seiner Stirn gewichen zu sein.

Sie blickt in diesem Augenblick glückselig auf das zarte Wesen in ihrem Arm und dann hinunter in’s Thal, wo er bald über den Kiesplatz schreiten und heraufeilen wird, um sie und das Kleine abzuholen… Einen Moment verdunkelt sich ihr Blick und wird feucht; er fällt auf ein hohes, vergoldetes Kreuz, das aus dem Wäldchen am See aufblitzt; dort, unter den rauschenden Wipfeln, in einem prächtigen Mausoleum, schlummert Helene seit einem Jahre. Sie ist in Elisabeth’s Armen gestorben, mit dem Gebet auf den Lippen, daß Gott die segnen möge, die des Grames Last treulich mit ihr getragen und sie gestützt hat, bis die gebrochene Seele sich losringen durfte von der hinfälligen Hülle.

Hollfeld hat Odenberg verkaufen lassen und Niemand weiß, in welchem Winkel der Erde er über das Scheitern aller seiner Anschläge und Pläne grollt.




„Der letzte Ritter des Frankenlandes“ und seine Tafelrunde.
I.


Es war ein lachender Septembertag, als vor dem äußersten Thore seiner Burg der alte Freiherr hoher Gäste harrte. Eine rechte Rittergestalt, so stand er da, den herannahenden Wagen entgegenschauend. Viel Volks drängte sich freudig um sie, denn aus ihnen grüßten die bildschöne Kronprinzeß des Königreichs und deren Mutter, die Herzogin eines kleinen Nachbarlandes. Und als die beiden fürstlichen Frauen, von ihrem adeligen Gefolge umringt, ausstiegen und der Freiherr den Arm zum Geleit der Herzogin bot, trat diese bescheiden zurück, auf die Kronprinzessin hinweisend, der sie im Rang nachstehe. Da erhob der alte Freiherr seine tiefe, sonore Stimme und sprach Allen vernehmbar: „Ew. Durchlaucht, wir stehen hier vor einer alten Ritterburg und in einer solchen hat immer die Mutter den Rang vor der Tochter gehabt.“

Wo liegt diese Burg? Und wer war der Freiherr, der auf gute, alte Sitte so ritterlich hielt?

Im gesegneten Frankenland, dem alten Kern des deutschen Reichs, ragt auf einem der Hügel, welche in dem weiten wonnigen Winkel zwischen dem Fichtelgebirgskinde, dem Main und der Thüringer Waldtochter, der Itz, wie letzte, ausschaukelnde Wellen der Berghochfluth der Rhön, des Thüringer-, Franken- und Steigerwaldes sich formenlieblich und laubwaldbedeckt erheben, ein Schloß aus ritterlicher Vorzeit auf, noch heute das alte, umschlossen vom alten Mauergürtel und bewohnt von den Sprossen des alten Herrenstammes: das ist die Bettenburg, das Besitzthum des Freiherrn Christian Truchseß von Wetzhausen. Die sinnigen Inschriften, die wir darin über jeder Thür finden und die werthvollen Bilder, welche alle Wände schmücken, würden allein den Namen des „alten Truchseß“ nicht so weit getragen haben, wie es seiner Zeit geschah, wenn nicht er selbst ein Liebling und seine Burg ein Lieblingssitz der Ritter vom Geiste seiner Zeit gewesen wäre. Der Verkehr mit ausgezeichneten Menschen in der Literatur, in der Kunst und im Leben, einerlei, weß Standes oder Glaubens, war sein höchster Genuß, er lebte mit ihnen in ihren Werken und zugleich durch die emsigste briefliche Unterhaltung, und so viel solcher Ritter an sein Burgthor pochten, sie waren des Freiherrn liebste Gäste. Und ebendeßhalb verdienen sicherlich Beide, der Liebling wie der Lieblingssitz so manches noch heute gefeierten Dichters und Schriftstellers, Staatsmannes und Fürsten, daß auch ihnen die „Gartenlaube“ vor den Augen der Gegenwart ein Denkmal setze.

Wenn wir nun unsere Leser auf die Bettenburg des „alten Truchseß“ führen, so gehen sie mit uns zugleich in eine Zeit zurück, welche, die Jahre von 1788 bis 1826 umfassend, zu den ideen- und thatenfruchtbarsten aller Geschichte gehört. Zwei Riesengeister zogen damals in ihre Reihe ein, der eine die Herzen seiner Nation adelnd und für die Kämpfe der Zukunft stärkend, der andere die Geister befreiend im ganzen Erdtheil: hier der der deutschen classischen Literatur, dort der der französischen Revolution. Beide vollbrachten einen mächtigen „Umschwung der Gesellschaft“ in Deutschland. Bis in höchste Kreise stieg der Athem der Freiheit; Freisinnigkeit und Patriotismus wurden dort wieder Tugenden, und Achtung des Talents galt als ehrende Pflicht. Insbesondere lebte damals in den sächsischen Herzogthümern Thüringens und Frankens, in Weimar, Gotha, Meiningen, Hildburghausen, Coburg, ein Kranz von fürstlichen Personen, die theils auch ohne Fürstenhut zu den Hervorragenden jener Tage gehört hätten und schon darum die Geister anzogen, theils ihre fürstliche Stellung benutzten, um – mit den oft bescheidensten Mitteln, so genügsam war man noch! – eine Tafelrunde Unsterblicher um sich zu versammeln.

Nicht in dieser Weise der Höfe, denen bei aller Freude an der Pflege und am Genuß der Schöpfungen und der Schöpfer des Schönen doch auch der Anspruch auf mäcenatischen Nimbus nahe stand, sondern von Haus aus auf dem einfachen, aber festen Grund einer großartigen Gastfreundschaft bildete sich allmählich die Tafelrunde der Bettenburg.

Nach in kurhessischen Kriegsdiensten verlebten Jugendjahren nahm der Freiherr im Jahr 1788, ein blühender Mann von dreiunddreißig Jahren, auf seiner Burg, die er wohnlich und geschmackvoll einrichtete und mit einem hübschen Park umgab, seinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_292.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)