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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Du mußt zu mir kommen, wenn Du willst, daß ich leben soll! Besinne Dich in aller Einsamkeit darauf, wie sehr Du mich liebst. Ich erwarte die Entscheidung mit Zuversicht, denn ich schließe diese Zeilen, wie ich sie begann, – mit dem magischen Worte: Auf Wiedersehen!

Jeanneton.

Ich werde unter dem Schutze meiner alten Freundin als Deine Frau still in meinem alten Stübchen leben, ich werde wieder arbeiten, wie zuvor. Dein Geld brauche ich nicht. Ach, Liebster, Du weißt, ich habe es immer beklagt, daß Du ein reicher Mann bist. Jetzt ist wieder Alles wie einst, aber doch noch schöner, denn wir sind unzertrennlich. Hörst Du?“

Im ersten Augenblick nach Lesung dieses von Thränen halb verwischten Blattes wollte er nach Paris abreisen, im zweiten sank er vernichtet in seinen Sessel, im dritten brauste er im wilden Zorn auf, um endlich in Isidorens Zimmer zu erscheinen, die vor seinem Anblick laut aufschrie. Eine lange Unterredung fand nun zwischen Bruder und Schwester statt – als sie geendet, war Eugen ruhiger. Das Städtchen wurde baldigst von der plötzlichen Abreise der jungen Frau nach Paris in Kenntniß gesetzt, und ehe Jeanneton ihre geliebte Heimath wieder betrat, hatte die Fama sie bereits in aller Form von ihrem Manne geschieden. –

Der Winter war vergangen, der Frühlingstraum ausgeträumt, der Juni zog mit seinem glänzenden Gefolge von Blüthen und Schmetterlingen über die Erde. Die Rosen blühten auf im düstern Garten des grauen Hauses in der Winkelstraße in L. und füllten Eugen’s Herz mit Sehnsucht nach ihr und trieben ihn auf den Weg nach Paris – trotz des scheinbaren Sieges der Schwester, trotz der auf ihre unablässigen Bitten und Mahnungen endlich eingeleiteten Scheidung.

Am nächsten Morgen, so hatte er ihr gelobt, sollte die Scheidungsklage eingereicht werden. Eugen hatte eingesehen, daß Jeanneton ihn böslich verlassen; daß er eine Mesalliance eingegangen; daß Jeanneton nicht leben konnte in der Atmosphäre, in der die Frauen seines Hauses sich wohl gefühlt; daß sie ihn vergessen; daß sie nur von ihm gegangen, um ihr lustiges Leben weiter zu führen, dem er sie entrissen, und daß er, wenn es ihm gelungen, sie gewaltsam zu halten, nur elend, unsagbar elend geworden wäre. Isidore hatte Recht, das unselige Band mußte zu seinem und ihrem Frieden gelöst werden, er wollte die Klage einreichen.

Aber am Abend ging er noch einmal hinab in den Garten und genau jene Wege, die er damals mit Jeanneton gewandelt, als Isidore den kleinen Vogel entfliehen ließ. Und die Rosen blühten und er tauchte sein Gesicht in die duftenden Kelche, und in der Nacht darauf war er abgereist. „Zürne nicht, Isidore, ich kann nicht anders! Es ist Wahnsinn, ich weiß es, aber ich kann nicht von ihr lassen. Sie ruft mich, und da ist nichts in der Welt, was mich zurückhalten könnte; auch Du nicht. Als ich heut’ Abend an den Rosenbüschen vorbeistreifte, da hörte ich deutlich ihre Stimme, die zu mir sagte: ,Komm!‘ O, Du kannst es nicht fassen, daß kein Mann widerstände, dem Jeanneton sagte: ,Komm!‘ Ich weiß nicht, was die nächste Zukunft bringen wird, ob ich wiederkehre, ich weiß nur, daß sie es ist, die meine Seele in den Händen hat!“ –

Der kleine Wagen hielt vor dem wohlbekannten Hause der Rue Faubourg Poissonnière. Die Sonne neigte sich zum Untergange. Eugen sprang über den Schlag heraus. Eine zitternde Ungeduld trieb ihn die Treppenstufen hinauf. Wie einen Strom, der alle Gedanken mit fortriß, fühlte er die Liebe zu seiner Kleinen sein ganzes Wesen durchwallen. Er wollte sie auf den Händen tragen fortan, die Süße, die Langentbehrte. Niemand sollte ihr ferner ein Leid anthun. Er wollte mit ihr in Paris leben, sie sollte seine fremde, angebetete Blume sein. Hochaufathmend blieb er endlich vor ihrer Thür stehen und mit zitterndem Finger zog er die Schelle. Eine alte Frau trat ihm entgegen und sah ihn mit blöden Augen an. Wie Eis fühlte er es plötzlich auf seiner Brust. „Wo ist Jeanneton, wo ist meine Frau?“ stammelte er.

„Sind Sie es, der Mann der Kleinen? Nun, es ist gut, daß Sie da sind. Sie hat vorhergesagt, daß Sie kommen. Vielleicht macht es sie gesund! Aber seien Sie leise mit ihr!“

Er hörte kaum die Hälfte der Worte – er stand im Zimmer. Die weißen Muslinvorhänge waren zurückgeschlagen, der Goldschein der scheidenden Sonne füllte den kleinen Raum. Aber er war anders eingerichtet, als damals. Ein Himmelbett stand drüben an der Wand und daneben etwas Rosenrothes, Blumenbekränztes. Großer Gott, war es eine Wiege? Er warf aber keinen Blick hinein auf das leise athmende, sanft schlummernde Etwas, das darin lag; er trat mit stockendem Athem an das Bett. Da sah er sie, die Kleine, da ruhte der blasse, reizende Kopf auf den Kissen still und müde, aber groß und glückselig schauten die Augen zu ihm auf, so glückselig, so geheimnißvoll, so strahlend, wie nie zuvor.

„Eugen, ich wußte, daß Du kommen würdest, wir sind unzertrennlich für Zeit und Ewigkeit – da ist das Kind! Und es soll – Isidore heißen. Hörst Du?“

Es war ein qualvoll entzückender Augenblick, als er vor ihrem Bette auf die Knie sank und das schlafende Kind in ihre Arme legte und immer und immer wieder ihre wachsbleichen Hände küßte und wie in alter Zeit tausend und abertausend thörichte Zärtlichkeiten in ihr Ohr flüsterte. „Du sollst jetzt nicht mehr mich bewundern, nur das Kind! Gott segne Euch!“

Arme Jeanneton, es war der letzte Sonnenstrahl für dich! Drei Tage später war sie eingeschlafen in seinen Armen, ahnungslos und lächelnd wie ein Kind. Draußen blühten die Rosen und die kleine Isidore lächelte im Schlaf.


Das Töchterchen Jeanneton’s wurde der angebetete Liebling der ganzen Familie ihres Vaters und das Sonnenlicht für sein Herz. Jeder, der sie sah, war von ihr entzückt, und sie gehörte zu jenen seltenen Wesen, denen das „Verzogenwerden“ in keiner Weise schadet. Dank ihrer Tante, die mit abgöttischer Zärtlichkeit an ihr hing, lernte sie Waschlisten schreiben, das Ausgabebuch führen und mit der Köchin den Speisezettel berathen. Ihre Stimme war von dem süßesten Klang und ihr Musiklehrer stolz auf den Erfolg, mit dem sie besonders Lieder sang. Aber allabendlich, in dem Zimmer ihres Vaters, Niemand durfte dabei sein, da sang die Kleine jene drei französischen Chansons, die er sie gelehrt: „Die braune Therese“, „Hans, der nicht lügt“ und „Ach, wüßtest Du, wie ich Dich liebe“. Wenn sie ihn dabei mit den Augen der todten Mutter anblickte und mit hinreißender Grazie das Köpfchen dazu neigte, als ob sie’s ihr abgelauscht, da geschah, was eben sonst Niemand sah: der ernste Mann mit den melancholischen Augen lächelte.




Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine.
Von Maximilian Heine.
I.


In einer aufgeregten Stunde gab ich dem theuren Bruder Heinrich das Versprechen, und er meinte, der jüngere dürfe dieses dem älteren Bruder nach den Naturgesetzen schon zusagen, sein künftiger Biograph zu werden. Es war vorauszusehen, daß nach des Dichters Ableben eine Fluth biographischer Schriften über ihn erscheinen würde; dictirt von der innigsten Liebe und heitersten Verehrung, oder von dem blassesten Neide und persönlichsten Hasse. Die Einen versetzten ihn in einen Himmel, welchen wir mit den schärfsten Teleskopen nicht erreichen können, die Anderen in eine Hölle, deren Gluth, Gott Lob, weder dem Verstorbenen, noch seinen Feinden schaden wird.

Das muß sich jeder große, geniale, den wichtigsten Zeitfragen sich rücksichtslos hingebende Schriftsteller gefallen lassen, zumal wenn er bei Lebzeiten die Peitsche der Satyre, den Morgenstern des Witzes und die Herkuleskeule der Verachtung alles Geistlosen und Niedrigen so glorreich wie unbarmherzig geschwungen hat.

Kaum ist ein Jahrzehnt dahin, daß sein Grab geschlossen wurde, noch stehen sich die Meinungen auf dem politischen, religiösen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_073.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)